Ortwin Runde liebt manchmal große Worte. "Nicht Gräber, sondern Menschen" müssten von den Zahlungen profitieren. Der Hamburger Bürgermeister mahnte damit eine schnelle "Entschädigung" der heute noch lebenden Zwangsarbeiter an, die im Dritten Reich in deutschen Fabriken und in der Landwirtschaft zum Wohle der NS-Diktatur schuften mussten. Wenn es allerdings darum geht, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, hat derselbe Bürgermeister keine Eile. Der Hamburger Senat unter Führung seines sozialdemokratischen Stadtchefs lehnte ab, einer polnischen Zwangsarbeiterin 13.000 Mark symbolische Wiedergutmachung für ihren Einsatz zu zahlen.
Stanislawa R., die von 1943 bis 1945 auf einem landwirtschaftlichen Gut Hamburgs arbeiten musste, klagt zur Zeit vor dem
it vor dem Hamburger Arbeitsgericht gegen die Hansestadt auf rund 26.000 Mark Lohn und Schmerzensgeld. Am 30. August hatte das Gericht in einem Gütetermin per Vergleichsvorschlag eine Zahlung von immerhin 13.000 Mark an die heute 72jährige Klägerin angeregt. Die Stadt aber lehnte den Vergleich ab. Statt zu zahlen, beantragte sie am 29. September die Aussetzung des Verfahrens. Um trotzdem nicht in ein schlechtes Licht zu geraten und das Verfahren möglichst lautlos zu beenden, organisierte der Senat daneben eine "Privat spende" von 5.400 Mark an die Klägerin. Die Rechnung aber wird nicht aufgehen: Die polnische Klägerin gab sich mit dem Almosen nicht zufrieden und beharrt nun auf der juristischen Klärung ihrer Ansprüche.In seinem Aussetzungs-Antrag verschanzte sich der Senat hinter einem beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren, dessen Ausgang abgewartet werden sollte. In diesem Rechtsstreit allerdings geht es mitnichten um Zwangsarbeit, sondern um Entschädigungsansprüche an die Bundesrepublik, die von griechischen Staatsbürgern erhoben werden, deren Eltern 1944 von der SS getötet und deren Haus zerstört worden war. So konnte das Hamburger Arbeitsgericht auch nicht erkennen, wieso das BGH-Verfahren "mittelbar oder unmittelbar" etwas mit der ihm vorgelegten Klage von Stanislawa R. zu tun haben könnte. Den Aussetzungsantrag der Landesregierung wies der Vorsitzende Richter Heinz Uthmann mit deutlichen Worten zurück und setzte für den 8. Dezember den Beginn der Hauptverhandlung an.Dass Hamburg sich jeder staatlichen Schmerzensgeld-Zahlung verweigert, hat vor allem einen Grund: Es ist ein offenes, nicht dementiertes Geheimnis, dass das Büro von Otto Graf Lambsdorff - er vertritt die Bundesregierung bei den Verhandlungen um eine Industriestiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter -, in Hamburg vorstellig wurde. Die Botschaft des Grafen: Die Hansestadt solle doch bitte kein Präjudiz durch die Annahme des gerichtlichen Vergleichs schaffen. Die Vergleichsannahme könnte die Stiftungsverhandlungen möglicherweise gefährden.Ein Präjudiz will der Hamburger Senat aber auch aus wohlkalkuliertem Eigeninteresse nicht schaffen. Nach Schätzungen des Hamburger "Amtes für Wiedergutmachung" gibt es noch rund 30.000 überlebende Hamburger Zwangsarbeiter, die sich durch eine Schmerzensgeldzahlung an Stanislawa R. ermuntert fühlen könnten, ihre eigenen Ansprüche an die Hansestadt anzumelden. Auf die Hamburger Stadtkasse könnten so bis zu 400 Millionen Mark Entschädigung zukommen.Deshalb reicht Hamburg in seiner offiziellen Begründung für die Zahlungsverweigerung die Verantwortung gleich an den Bund und die Industrie weiter. Statt vereinzelter Regelungen auf Landesebene müssten der geplante Industriefonds und die ebenfalls versprochene Bundesstiftung die Betroffenen entschädigen.Dabei verschweigt der Senat tunlichst, dass die sechs Milliarden Mark umfassende Offerte des Industriefonds - von Kanzler Schröder als "würdiges Angebot" klassifiziert - bei allen Opferverbänden auf einhellige Ablehnung und Empörung gestoßen ist. Zudem sieht der Vorschlag für die große Zahl der wie Stanislawa R. in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nur minimale Entschädigungszahlungen von nicht einmal 1.000 Mark pro Person vor.Dass auch von der geplanten Bundesstiftung wenig zu erwarten ist, machen zahlreiche Stellungnahmen aus den Reihen der Koalition deutlich. So erklärte etwa der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, unlängst ganz unverhohlen, "das Budget der Bundesregierung bei Zahlungen für die Entschädigung der Zwangsarbeiter" sei nun mal "auf Grund der engen Haushaltslage begrenzt". Dass es der Staat war, der die Zwangsarbeiter ins Land holte, sie verteilte, überwachte und Zehntausende von ihnen der Vernichtung preisgab, findet sich in der Erklärung des Grünen mit keinem einzigen Wort.Vor dem Hintergrund des kläglichen Stiftungsvolumens sorgt die durchsichtige Entschädigungsblockade des Hamburger Senats selbst innerhalb der regierenden Landes-SPD für nachhaltige Unruhe. Nachdem die Bürgerschaft am 13. Oktober den Antrag der Hamburger Grünen-Abspaltung "Regenbogen" zur Akzeptanz des gerichtlichen Vergleichsvorschlags mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen abgelehnt hatte, ging die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Silke Urbanski öffentlich auf Gegenkurs zu ihrer Partei und zur Landesregierung. Die Ablehnung des Vergleichs sei "ein respektloses Verhalten gegenüber einer ehemaligen Zwangsarbeiterin", empörte sie sich. Ihren Parteigenossen Runde forderte die Parlamentarierin auf, "im Senat darauf hinzuwirken, dass das Verfahren nicht in die zweite Instanz getragen wird".Noch deutlichere Worte fand die oppositionelle Regenbogen-Gruppe. Ihr Bürgerschaftsabgeordneter Norbert Hackbusch sieht "Senat und Bürgerschaft in einer unseligen Kontinuität": Natürlich bestreitet niemand die "Legitimität der Ansprüche. Doch wenn es konkret wird, heißt es seit Jahrzehnten: Nicht jetzt, nicht wir, nicht diese Beträge. So sind 54 Jahre vergangen. Und Hamburg setzt diese Verschleppungsstrategie unrühmlich fort". Für Hackbuschs Bürgerschafts-Kollegin Julia Koppke ist das Verhalten des Senats nur "ein unwürdiges Geschachere". Um historische Verantwortung aber ließe sich "nicht feilschen". Es ist zu befürchten, dass der Hamburger Senat alle Möglichkeiten nutzen wird, das Verfahren weiterzuführen, wenn der Klägerin eine hohe Entschädigungssumme zugesprochen wird. Die Frage ist, ob die erkrankte 72jährige Klägerin den Ausgang einer solchen Prozedur noch erleben wird.