Von Revolution bis Rave

Highlights Eins der Highlights der Ausstellung ist die rostige und tonnenschwere Tür des weltberühmten Techno-Clubs „Tresor“. Was erzählt dieses zwei Meter große Objekt von Enteignung und Verfolgung? Warum ist es Sinnbild für die Partyszene der 1990er Jahre?
Eines der Highlights der Ausstellung: die tonnenschwere Tür des Techno-Clubs „Tresor“
Eines der Highlights der Ausstellung: die tonnenschwere Tür des Techno-Clubs „Tresor“

© Stadtmuseum Berlin | Foto: Anne Preussel

Das Erbe des Kolonialismus: Das Wandbild „Weltdenken“

Wie ist Berlin mit der Welt verbunden? Am Beginn der Ausstellung BERLIN GLOBAL, die dieser Frage anhand von sieben Themen nachgeht, schweift der Blick weit zurück in die Geschichte und über alle Kontinente hinweg. Die Besucher*innen finden sich inmitten eines Weltpanoramas wieder, das alle vier Wände des ersten Ausstellungsraumes von oben bis unten bedeckt. Das Wandbild ist das Werk der Brüder How and Nosm, die sonst große Murals auf Brandwände und Mauern in der ganzen Welt sprühen und malen. Hier haben sie historische Ereignisse und Personen in eine popfarbene Weltenlandschaft eingewebt und mit universell lesbaren Symbolen wie gesprengten Ketten und ineinandergelegten Händen verbunden. Die Vorlagen für die Bildgeschichten sind historische Bücher und Karten, Karikaturen, Gemälde und Zeichnungen.
Schon die ersten Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spanier im 15. Jahrhundert führten zur Unterwerfung von Völkern, wie die Eingangswand zeigt. Das Kurfürstentum Preußen gründete im 17. Jahrhundert seine erste Kolonie in Ghana und ließ Menschen von dort wie Ware nach Amerika verschiffen. Auf der langen Wand zur Linken sind die Humboldt-Brüder zu erkennen, der große Naturforscher und Weltreisende Alexander und der Sprachforscher Wilhelm. Für sie waren alle Kulturen gleichwertig, machten den Reichtum menschlichen Geistes aus. Alexander von Humboldt, der als ökologischer Vordenker gilt, sah die Welt als zusammenhängendes Ganzes, entdeckte immer neue Wechselwirkungen zwischen Naturprozessen.
Forschergeist und Neugierde auf außereuropäische Kulturen aber ließen sich selten von Besitzansprüchen und Hegemoniedenken trennen, wie die gegenüberliegende Wand zeigt.

Die Berliner Wissenschaftler*innen um 1900 nutzten die ungleichen Machtverhältnisse aus, wenn sie sich Artefakte und Schädel aus den Kolonien schicken ließen, die sich zum größten Teil noch heute in den Berliner Sammlungen befinden.

Anhand dieser Objekte versuchten sie die Überlegenheit ihrer eigenen Kultur zu begründen. Die Europäer*innen teilten zu jener Zeit ganze Kontinente wie Tortenstücke zwischen sich auf und schreckten auch vor extremer Gewalt nicht zurück, bis hin zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, den deutsche Kolonialsoldaten an Herero und Nama im heutigen Namibia verübten. Erst auf der vierten Wand zeichnet sich die die vage Hoffnung auf eine globale Gemeinschaft ab, in der die Völker auf Augenhöhe miteinander kommunizieren.

Revolution interaktiv: Das Rad der Geschichte

Geschichte begreifbar machen auf neue, manchmal überraschende Weise, die Besucher*innen eintauchen lassen in visuelle und akustische Welten: Das ist ein Grundzug der gesamten Ausstellung. An manchen Stellen wird der Rundgang sogar zum gemeinschaftlichen Erlebnis, wie zum Beispiel am „Rad der Geschichte“ im Raum „Revolution“. Revolutionen werden gemeinsam gemacht – so lässt sich die Medieninstallation in der Mitte des Raumes leichter aktivieren, wenn sich mehrere Besucher*innen um sie verteilen. Sie können dann entscheiden, zu welchem historischen Umbruch sie etwas erfahren wollen: ob über die Märzrevolution 1848, die Novemberrevolution 1918, die Friedliche Revolution 1989, den Aufstand vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin oder die West-Berliner Studierendenproteste 1967/68. Wenn sie die drehbare Scheibe an der entsprechenden Jahreszahl einrasten lassen, beginnt eine Projektion auf den elliptischen Wänden. In großen Bildern ziehen eindrucksvoll Aufständische vorbei, werden Barrikaden gebaut, während ein*e Erzähler*in die Geschichte der jeweiligen Revolution zusammenfasst. Für die Projektionen wurde das Bildmaterial der jeweiligen Zeit genutzt, zunächst zeitgenössische Bilderbogen und Stiche, später Fotografien, Filme und Fernsehaufnahmen. Die Bilder werden von eingespielten Revolutionsliedern, Sprechchören und Rufen untermalt. Parallel werden auf einem auf den Medientisch projizierten Stadtplan die Orte hervorgehoben, an denen sich die Ereignisse abspielten. Wer den Blick nach oben richtet, sieht Berlin in seinen jeweiligen historischen Grenzen. Die Stadt steht Kopf.

Schwindende Freiräume: Die beweglichen Wände

Berlin bot schon immer Raum für Menschen, die anderswo nicht leben durften, wie sie wollten, oder denen es in der Provinz zu eng war:

ob den Glaubensflüchtlingen im 17. und 18. Jahrhundert, den jungen Leuten, die in den 1970er- oder 80er-Jahren nach Kreuzberg oder Schöneberg zogen, oder den Künstler*innen und Musiker*innen in den 1990er-Jahren. Der Themenraum „Freiraum“ erzählt von Projekten und Utopien, die in den Nischen der großen Stadt gediehen. Ein Beispiel ist das Institut für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld, das in den 1920er-Jahren erstmals die Vielfalt der Geschlechter erforschte, Homo- und Transsexuelle vernetzte und beriet; ein anderes Beispiel sind die selbstverwalteten Jugendzentren Drugstore und Potse in Schöneberg, die seit den 1970er-Jahren Punk- und Rockkonzerte, Kino und Diskussionsveranstaltungen organisierten. Jedes Thema hat einen eigenen Bereich innerhalb des Ausstellungsraums, abgeschirmt durch Projektionswände, auf denen Filme und Fotos gezeigt werden. Das Besondere ist, dass sich diese Wände bewegen: Langsam fahren sie vor und zurück, und zwar synchron zu den Inhalten der projizierten Filme. Wenn die lebendige Szene in den Schöneberger Jugendzentren geschildert wird oder die Befreiung, die die neue Sexualwissenschaft für Menschen bedeutete, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen konnten, fahren die Wände zurück, der umschlossene Bereich wird größer. Wenn hingegen von der Schließung des Jugendzentrums oder der Institutsplünderung durch die Nationalsozialist*innen erzählt wird, kommen die Wände wieder auf die Betrachter*innen zu. Die Freiräume, die sich auftun oder verkleinern, werden auf eindrückliche Weise körperlich erfahrbar. Das gilt auch für den fließenden Bereich in der Raummitte, der den Wandel des Potsdamer Platzes vor Augen führt: Parallel zu den Fotos, die die Nutzung der Brachfläche nach dem Mauerfall zeigen, weichen die Projektionswände zurück, weitet sich der Raum, während er sich wieder verengt, als der Platz in den 1990er-Jahren bebaut wird.

Schwelle zu einer anderen Welt: Die Stahltür des Techno-Clubs Tresor

In den Freiräumen, die sich nach dem Mauerfall auftaten, entstand eine vielfältige und lebendige Clubkultur. Die Geschichte des Techno-Clubs Tresor ist dafür typisch: Auf der Suche nach Party-Locations stießen Dimitri Hegemann und zwei Freunde 1991 auf dem Gelände am Leipziger Platz, das dreißig Jahre lang Mauerstreifen gewesen war, auf eine unterirdische Stahlkammer. Es war der Tresorraum des legendären Kaufhauses Wertheim, das in den 1950er-Jahren abgerissen worden war. Sie machten ihn zum berühmtesten Club Berlins, der 15 Jahre lang junge Leute aus aller Welt anzog, bis er umziehen musste, weil der Leipziger Platz bebaut wurde.

Die tonnenschwere, rostige Stahltür, das größte Originalobjekt in der Ausstellung BERLIN GLOBAL, markierte einst die Schwelle zu jener anderen Welt, in der Leute aus Ost und West zu hartem Techno tanzten, die Zeit und alle Grenzen aufgehoben schienen.

Nicht jede Person, die davor wartete, wurde eingelassen. So verbindet die Tresortür die drei Themen der angrenzenden Räume: Freiraum, Grenzen und Vergnügen.
Sie erzählt darüber hinaus auch noch eine andere Geschichte. Unter den Nationalsozialist*innen waren die jüdischen Wertheim-Besitzer*innen 1937 enteignet worden, einige flüchteten ins Ausland, drei Familienmitglieder wurden ermordet. In den Schließfächern an den Seiten verwahrten die Kund*innen der kaufhauseigenen Bank einst ihre Wertsachen.

Gebietsaustausch am grünen Tisch: Die koloniale Landkarte

Ein anderes, sprechendes Originalobjekt findet sich nur wenige Schritte weiter im Raum „Grenzen“: eine Landkarte aus dem Archiv des Auswärtigen Amts. Die Karte von 1906 zeigt einen Ausschnitt des westlichen Zentralafrikas, das die Europäer*innen bereits weitgehend unter sich aufgeteilt hatten. Mit blauem Buntstift ist ein großes zusammenhängendes Gebiet östlich und südlich der Grenze der deutschen Kolonie Kamerun markiert. So machte der französische Botschafter Jules Cambon seinem deutschen Verhandlungspartner 1911 deutlich, welches Gebiet sein Land Deutschland abtreten würde, wenn dieses im Gegenzug das französische Protektorat über Marokko akzeptierte. Der kurz darauf geschlossene Vertrag beendete die Zweite Marokko-Krise.
Die Karte zeigt anschaulich, wie die Kolonialmächte am grünen Tisch – fernab der Länder, um die es ging – um Gebiete feilschten, ohne Rücksicht auf die dort lebenden Menschen, ihre Rechte und Interessen. Mit ein paar Strichen schufen sie neue Verhältnisse, verlegten Grenzen, deren Willkürlichkeit noch heute den afrikanischen Kontinent belastet. Was die Karte nicht zeigt: Die koloniale Machtausübung funktionierte nicht flächendeckend. Immer wieder waren weiße Europäer*innen mit dem Widerstand der afrikanischen Bevölkerung konfrontiert, so auch das deutsche Kolonialregime in Kamerun.
Die koloniale Karte ist eines von vier Objekten in diesem Themenraum, die auf Grenzziehungen in der Geschichte Berlins verweisen. An Medienstationen, die an Vermessungsgeräte erinnern, kann man erkunden, welche – oft unsichtbaren – Grenzen die Stadt heute noch durchziehen.

Von New York über Berlin nach Istanbul: HipHop

Ein Turm von Flight Cases, dahinter ein großes, grellbuntes Graffiti, davor ein Turntable: So sieht das Ausstellungsmodul zum Berliner HipHop der 1980er- und 1990er-Jahre im Themenraum „Vergnügen“ aus. Auf einigen der schwarzsilbernen Würfel laufen Filme, andere enthalten Dinge, zu denen es eine besondere Geschichte gibt:

der bemalte Ghettoblaster, die Jacke mit dem Schriftzug der Band „Cartel“, der Vertrag für einen Auftritt im Palast der Republik, das in der DDR selbstgebaute DJ-Equipment.
HipHop ist ein Beispiel für eine globale Musikkultur, die sich auf ihrem Weg über die Kontinente wandelte. Schwarze und hispanische Jugendliche hatten ihn im New Yorker Stadtteil Bronx erfunden. Anfang der 1980er-Jahre waren in Berlin die ersten Songs zu hören, unter anderem im Sender der in West-Berlin stationierten US-Soldaten. Berliner Jugendliche in West- und Ost-Berlin begannen, selbst zu rappen, als DJ zu mixen und zu scratchen, am Breitscheidplatz oder am Alexanderplatz Breakdance vorzuführen. Die Mauer auf der Westseite wurde zur Graffiti-Leinwand. Deutschtürkischen Jugendlichen bot HipHop die Möglichkeit, selbstbewusst ihr Lebensgefühl auszudrücken und Position zu beziehen, auch in der Zeit nach der Wiedervereinigung, als sich rassistische Übergriffe mehrten.

Gruppen wie „Islamic Force“ begannen damit, HipHop-Rhythmen mit orientalischen Melodien zu verbinden. Der Oriental HipHop entstand, der dann auch in der Türkei populär wurde.

Ferne Länder ganz nah: Das Kaiserpanorama

Das Kaiserpanorama ist eine Art Vorläufer des Fernsehens. Im Inneren des hölzernen Zylinders werden im Minutentakt Stereofotografien reihum transportiert. Bis zu 24 Besucher*innen können im Raum „Vergnügen“ davor Platz nehmen und durch ein Linsenpaar die dreidimensional wirkenden Bilder anschauen. Die kleinen, meist handkolorierten Glasphotogramme brachten den Menschen um 1900 die Welt nah: Sie zeigten Feierlichkeiten der Königsfamilie, sportliche Wettbewerbe, Unglücke, ferne Städte und als exotisch wahrgenommene Landschaften. Darunter waren auch Bilder aus Deutschlands Kolonien, gesehen mit den Augen der weißen Europäer*innen.
Sein erstes Panorama stellte Adolf Fuhrmann 1883 in der Kaisergalerie, einer Passage zwischen Friedrichstraße und Unter den Linden, auf. Bald darauf belieferte der Berliner Unternehmer Panoramen in ganz Europa und Übersee mit immer neuen Bildserien. Das funktionstüchtige Gerät in der Ausstellung BERLIN GLOBAL ist ein getreuer Nachbau des Originals im Märkischen Museum.

Die Welt zu Gast in Ost-Berlin: Lampen aus dem Palast der Republik

Die mit Metallstäben verbundenen Glaskugeln an der Decke des Raumes „Vergnügen“ werden manchen Besucher*innen bekannt vorkommen. Solche Kugelleuchten hingen im Foyer des Palastes der Republik und gaben diesem den Spitznamen „Erichs Lampenladen“. Wie die gesamte Ausstattung des Gebäudes waren sie im neuesten Siebzigerjahre-Design.

Hier präsentierte sich die DDR ästhetisch auf der Höhe der Zeit, gab sich einladend, weltoffen, ungezwungen, und so war auch das Unterhaltungsprogramm, das im Großen Saal geboten wurde: Neben Musik- und Tanzgruppen aus den sozialistischen Bruderländern und den blockfreien Staaten traten hier internationale Stars wie Carlos Santana, Harry Belafonte oder Udo Lindenberg auf. Viele Besucher*innen, die die Cafés, Restaurants oder die Bowlingbahn besuchten, verbinden mit dem Palast der Republik unvergessliche Abende und weniger den Sitz der Volkskammer. Die Raum-Inszenierung von Kugellampen, nachgebauten Sitzgruppen und dem Gemälde „Weltjugendlied“ von Lothar Zitzmann, auch sie aus dem Foyer des Palastes der Republik, erinnert an den Vorgängerbau des Humboldt Forums. An mehreren Stellen der Ausstellung wie im gesamten Gebäude gibt es solche Verweise auf die Geschichte des Ortes.

Pläne für die Weltherrschaft: Der Großglobus von 1936

Im Themenraum „Krieg“, in dem die raumhohe rostfarbene Skulptur, die einzuschlagen oder auch zu bersten scheint, einen dramatisch-unheimlichen Ton vorgibt, fällt besonders ein Objekt ins Auge: ein großer Globus in einem Holzgestell. Solche repräsentativen Großgloben wurden für die nationalsozialistischen Ministerien und öffentlichen Einrichtungen gefertigt, auch in Hitlers Reichskanzlei stand einer. Dieses Exemplar stammt vermutlich aus dem Haus des deutschen Handwerks. Es zeigt, wie die Welt in den 1930er-Jahren vernetzt war: Schifffahrts-, Eisenbahn- und Fluglinien, Telegraphenverbindungen und Karawanenwege überziehen die Weltkugel. Für die Nationalsozialist*innen waren viele der abgebildeten Länder Terrain, das es zu erobern oder zurückzugewinnen galt. So sind die 1919 verlorenen Kolonien in Afrika und in der Südsee hervorgehoben und tragen noch die deutschen Namen. An solchen Globen entzündeten sich die Phantasien der Weltbeherrschung, wurden die kommenden Kriege vorweggenommen. In den Klassenzimmern hingen geschichtsverfälschende Wandkarten wie „Deutschlands Kolonien“, die den Schüler*innen die Ideologie der Herrenrasse und des „Volks ohne Raum“ einimpften.

Die Schattenseite der Mode: Das Protestschild der Textilarbeiter*innen

Heute wird so gut wie jedes Kleidungsstück, das es in Berlin zu kaufen gibt, in anderen Teilen der Welt produziert, oft unter unwürdigen Bedingungen und zu Lasten der Umwelt.

Lange waren hierzulande den wenigsten Konsument*innen die Lebensverhältnisse der Textilarbeiter*innnen von der Türkei bis China bewusst.

Es war eine Katastrophe, die im April 2013 die Weltöffentlichkeit auf die gefährliche, ermüdende und schlecht bezahlte Arbeit in den Textilfabriken von Bangladesch aufmerksam machte, der Einsturz des maroden Fabrikgebäudes Rana Plaza in Sabhar. Mehr als tausend Menschen, mehrheitlich Frauen, kamen dabei ums Leben. Bekannte internationale Modeunternehmen hatten dort produzieren lassen. Im August 2013 demonstrierten Arbeiter*innen beim Global Day of Action vor der Ruine und forderten internationale Modekonzerne auf, sich zur Einhaltung von Brandschutzstandards und Gebäudesicherheit zu verpflichten. Dabei kam das Protestschild mit den handgeschriebenen Sätzen „We sew your clothes. Make our factories safe“ zum Einsatz. Zu finden ist das Schild im Themenraum „Mode“. Es gehört zu einer großen Infografik, welche die globalen Verflechtungen der Modeproduktion seit dem 18. Jahrhundert und die Arbeitsbedingungen von Textilarbeiter*innen – meist überwiegend Frauen – beleuchtet.

In der Welt zuhause: Die Installation „Verflochtene Leben“ von Tape That

Berlin ist eine Stadt der Zugezogenen: Jede*r Zweite kommt nicht von hier, sondern aus anderen Dörfern und Städten in Deutschland und anderen Ländern der Welt. Der Raum Verflechtung stellt Berliner*innen vor, die anderswo noch eine zweite oder dritte Heimat haben:

Menschen, die hier Arbeit fanden, ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen mussten oder beruflich überall auf der Welt zuhause sind. Viele halten Kontakt zu ihrer Familie oder ihren Freund*innen, über Telefon und Internet, indem sie sich schreiben, Päckchen schicken, sich gelegentlich besuchen, sofern sie die Möglichkeit dazu haben. Ihre Erfahrungen sind in die Audioporträts eingegangen, die in diesem Raum zu hören sind.
Das Berliner Künstler*innenkollektiv Tape That hat sich davon zu einer Installation inspirieren lassen. Zu jedem der 15 Audioporträts wurde eine eigene Arbeit mit farbigem Klebeband auf einer dünnen Aluminiumplatte realisiert. Die rechteckigen Werke wurden anschließend in schmale Streifen geschnitten und diese versetzt unter die Decke gehängt. 15 solcher fragmentierten Bänder laufen quer durch den langen Raum, kreuzen sich, so wie sich Lebenswege kreuzen. Ein Bild für die Verflechtungen der Porträtierten quer über den Globus.
Jedem und jeder von ihnen ist eine Farbe zugeordnet, die sich auch an den Drehreglern der Hörstationen wiederfindet und an den Wandvitrinen der Stirnseite des Raumes. In den Vitrinen sind wiederum Leihgaben der Porträtierten ausgestellt. Der Stil der fünf Tape-Art-Künstler ist unterschiedlich:

Während der eine chiffrenhafte, dreidimensional wirkende geometrische Formen verwendet, arbeitet ein anderer mit splittrigen Streifen oder mit Wellen- und Netzmustern, wieder ein anderer gegenständlich. Wer die Audiogeschichten hört, wird einiges wiedererkennen: Auf den orangefarbenen Streifen, die sich auf den ehemaligen Funktionär und jetzigen Imbissbudenbetreiber Yang beziehen, ist unter anderem der kommunistische Stern Nordvietnams zu erkennen. Der fragmentierte pinkfarbene Kontrabass verweist auf Inge Kapphahn, die in den fünfziger und sechziger Jahren als Sängerin und Musikerin in den sozialistischen Bruderländern der DDR auftrat. Hier und da scheinen kürzelhaft bekannte Berliner Orte wie Brandenburger Tor, Fernsehturm oder Kottbusser Tor auf. In Berlin laufen die Verbindungen in die Welt zusammen: nach Nürnberg und Hanoi, Leipzig und Accra, Izmir und Osaka.

Raum zur Vernetzung: Die Berliane

Am Ende des Ausstellungsrundgangs lädt die Lounge dazu ein, mit anderen Besucher*innen ins Gespräch zu kommen. Anlass kann die Auswertung des Ausstellungsrundgangs sein, die alle hier zuvor erhalten: Das „Ticket zur Vernetzung“. Es setzt sich aus den Ergebnissen der Abstimmungen an den interaktiven Stationen und den Entscheidungen bei den Dilemma-Fragen zusammen.

Als Grundlage für das Ticket und dem daraus entstandenen Werte-Profil dienen vier Werte, die das gesellschaftliche und politische Leben beeinflussen und für alle Weltkulturen Bedeutung haben. Diese Werte sind Tradition, Freiheit, Sicherheit und Gleichheit.
Das Büro Stammpunkt hat für die Lounge eine „Begegnungsarchitektur“ entwickelt, die sogenannte Berliane.
Drei 50 Meter lange gebogene Skulpturen winden sich frei durch den langen Raum, steigen zur Decke empor, schlängeln sich um die Pfeiler und kommen zum Boden zurück, wo sie runde oder halbrunde Sitzinseln ausbilden. Sie bestehen aus Metallröhren, die mit Schaumstoff ummantelt und mit einem robusten Stoff überzogen sind. Die grüne Berliane, die an Dschungelpflanzen erinnert, ist ein weiteres Bild für die weltweiten Vernetzungen, wie den Besucher*innen schon mehrere auf ihrem Rundgang begegnet sind. Als Architektur, die soziale Räume kreiert, zum Erkunden und Sich-Niederlassen einlädt, schafft sie zugleich ein Ambiente, in dem man leicht mit anderen zusammenkommt, um sich auszutauschen.

27.03.2024, 10:05

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