Der Tod als letzte große Unbekannte

Zur Ausstellung Inszeniert als Drama in fünf Akten, beleuchtet die Ausstellung „un_endlich. Leben mit dem Tod“ im Humboldt Forum verschiedene Aspekte des Sterbens und Umgangs mit dem Tod – von individuellen, persönlichen Facetten bis hin zu globalen Gesichtspunkten
Ausstellungsansicht „un_endlich. Leben mit dem Tod“
Ausstellungsansicht „un_endlich. Leben mit dem Tod“

Foto: Alexander Schippel

Der Tod ist unabwendbar. Er ist universell. Und doch ist der Tod ein Thema, über das man zumindest in Europa nicht gern spricht. Er übersteigt den Verstand des Menschen und konfrontiert ihn mit existenziellen, ethischmoralischen Fragen. Die Angst vor dem Tod und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist auch eine der großen menschlichen Triebkräfte. Dieses Wissen um die eigene Endlichkeit hat Kulturen, Zivilisationen, Wissenschaften und Weltanschauungen geprägt.

Die Ausstellung un_endich. Leben mit dem Tod, kuratiert von dem Schweizer Ausstellungsmacher Detlef Vögeli, zeigt vielstimmige Sichtweisen und Vorstellungen, unterschiedliches Erfahrungswissen und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Sterben und Tod.

Inszeniert als Drama in fünf Akten, formuliert der sorgfältig choreografierte Ausstellungsparcours eine Einladung an die Besucher*innen, sich auf die Bühne der Endlichkeit zu begeben und unterschiedliche Positionen und Rollen einzunehmen: als Individuum, als Mensch in der Gesellschaft, aber auch als Naturwesen Homo sapiens und damit Teil der Biosphäre. Auf ihrem Rundgang erkunden sie Szenen und Fragen des Todes, die oft hinter dem Vorhang des Alltags verborgen bleiben:

Kosmos. Woher kommen wir? – Jenseits. Vorstellungsräume des Todes – Sterben. An der Schwelle zum Tod – Konferenz des Sterbens – Tod. Der finale Moment – Leichenhalle. Untersuchungsraum des Todes
und Obduktion der globalen Sterbeverhältnisse – Trauer – Open End. Was wird bleiben?

Die von dem bekannten britischen Bühnenbildner Tom Piper entworfene Gestaltung spielt mit der Theatermetapher und setzt das Drama als atmosphärisch dichte Komposition um.

Für die Ausstellung hat er in Zusammenarbeit mit dem Architekten Alan Farlie Szenografien entwickelt, die im Zusammenspiel von Videos, Sounds, Stimmen, Installationen zu Momenten intensiver Raumerfahrung werden. Sie laden dazu ein, sich einzulassen auf den Kreislauf des Werdens und Vergehens, innezuhalten und sich als Besucher*in selbst zu verorten: Was ist ein guter Tod? Wie leben wir mit dem Tod? Was wird bleiben von uns?

Nach einem filmischen Prolog treten die Besucher*innen ins Zentrum der Szenografie. Sie begegnen Vertreter*innen von Glaubensgemeinschaften aus der diversen Stadtgesellschaft, die von ihren Vorstellungen des Lebens mit und nach dem Tod erzählen. Und sie können sich in der nächsten Szene selbst befragen lassen zu ihrem persönlichen Verhältnis zu Sterben und Tod.

Wenngleich das Sterben eine universelle Erfahrung ist: Der Sterbeprozess ist durch Traditionen, Religion und die Personen selbst individuell geprägt. In der Videoinstallation Konferenz des Sterbens teilen zwölf Menschen von verschiedenen Kontinenten ihr Erfahrungswissen aus der Sterbebegleitung. Sie zeichnen ein Panorama der globalen Sterbeverhältnisse. Lokale kulturelle Praktiken, aber auch internationale Perspektiven mit dem Umgang mit dem Lebensende werden sichtbar.

Was im Moment des (Hirn-)Todes auf der Ebene des Bewusstseins geschieht, bleibt ungewiss. Erkenntnisse gibt es aber darüber, was sich in den letzten Augenblicken des Lebens im Hirn abspielt. Im dritten Akt Tod. Der finale Moment können Besucher*innen sich dem Augenblick des Todes aus neurologischer Sicht nähern.

Was geschieht nach dem Ableben mit dem Toten? Was bedeutet eine würdevolle Versorgung eines Leichnams? Der modellhafte Raum Leichenversorgung gibt Einblick in die Praxis. Eine Videoprojektion erlaubt eine Annäherung an Leichenwaschungen sowohl im Rahmen der hygienischen Verstorbenenversorgung wie auch im rituellen Kontext der islamischen Totenwaschung.

Das Wissen um die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit alles Lebendigen stellt die Menschen vor ethisch-moralische Fragen. In diesem Sinne schlägt die Ausstellung einen Bogen von der persönlichen Perspektive auf eine globale Sichtweise: Die Szene Obduktion der globalen Sterbeverhältnisse zeigt anhand von zehn Infografiken die ungleichen Lebensund Sterbeverhältnisse der globalen Gesellschaft. Wie politisch unsere Verantwortung für die Toten sein kann, wird am Beispiel der Arbeit der forensischen Anthropologin Cristina Cattaneo deutlich: Sie und ihr Team engagieren sich dafür, dass auf der Flucht im Mittelmeer gestorbene Menschen identifiziert werden.

Das Verhältnis von Leben und Sterben ist untrennbar mit dem großen Zusammenhang der Natur und deren Beherrschung durch den Menschen verbunden und Thema des letzten Aktes: Open End. Was wird bleiben, wenn der Mensch weiterhin das Ökosystem Erde und damit seine natürliche Lebensgrundlage angreift? Die Besucher*innen durchlaufen eine „Spirale des Aussterbens“ mit Präparaten von bereits ausgestorbenen und vom Aussterben bedrohten Tieren – vis à vis Lebensformen, die für immer verschwunden sind oder bald verschwinden werden. Am Ende schließt sich der Kreis: Eine raumgreifende Videoinstallation bettet die Besucher*innen ein in einen (Mikro-) Kosmos des Werdens und Vergehens – ein multimedialer Kommentar zur Vernetzung und Verbundenheit des Menschen mit der Natur.

Zur Ausstellung erscheint eine kostenlose Broschüre. Sie dient als Orientierung, bietet Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Akten und Szenen und Querverweise zum Begleitbuch.

Bibliothek

Nach dem Ausstellungsrundgang können sich Besucher*innen in die angrenzende, eigens für das Programm un_endlich. Leben mit dem Tod eingerichtete kleine Bibliothek setzen und in Romanen, Sachbüchern und Kinderbüchern stöbern. Die von dem Dramaturgen und Künstler Philipp Khabo Koepsell zusammengestellte literarische Auswahl umfasst Werke von Audre Lorde, Chimamanda Ngozi Adichie, Abdulrazak Gurnah und vielen weiteren starken Stimmen der Literatur, die sich mit Sterben, Trauer und Tod auseinandergesetzt haben. Der Raum bietet für Besucher*innen die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über die Ausstellung auszutauschen.

26.09.2023, 13:15

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