„Ich bin mir meiner Endlichkeit bewusst“

Interview Für die Ausstellung haben sich der Ausstellungsmacher Detlef Vögeli, Theater- und Ausstellungsdesigner Tom Piper und sein Kollege Alan Farlie zusammengetan. Entstanden ist eine einzigartige Ausstellung. Im Gespräch erzählen sie von den Hintergründen
Ausstellungsansicht „un_endlich. Leben mit dem Tod“
Ausstellungsansicht „un_endlich. Leben mit dem Tod“

Foto: Alexander Schippel

Detlef Vögeli, als Kurator der Ausstellung un_endlich. Leben mit dem Tod haben Sie sich intensiv mit der Endlichkeit des Menschen befasst. Wie halten Sie es mit dem Tod?

DETLEF VÖGELI: Das ist eine große Frage – und die Antwort sicher auch von den Lebensumständen abhängig. Ich befinde mich statistisch gesehen mitten im Leben, in einem friedlichen und ökonomisch gesicherten Umfeld. Ich werde mir dennoch meiner Endlichkeit zunehmend bewusst. Die jamaikanische Sterbebegleiterin Patrice Dwyer sagt in der Videoinstallation in der Ausstellung: „Don’t fear death, fear not living“. Das scheint mir eine lebenssteigernde Einstellung zum unvermeidlichen Ende zu sein.

Wie stellt man ein Thema wie den Tod aus?

DV: Ich verstehe die Ausstellung als vielstimmiges Forum und meine Rolle als die eines Moderators, der verschiedenen Stimmen und Fragestellungen einen Raum gibt. Die Besucher*innen kommen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Einstellungen und Haltungen zum Thema Sterben und Tod in die Ausstellung. Die dramaturgische Grundidee war, die Ausstellung als Drama in fünf Akten zu konzipieren, und die Besucher*innen als Sterbliche und Akteur*innen direkt anzusprechen. Räume als Bühnen zu schaffen für die Besucher*innen, auf denen sie mit unterschiedlichen Vorstellungen und Fragen zu Sterben und Tod konfrontiert werden, die hinter dem Vorhang des Alltages oft verborgen verbleiben. Das war auch der Grund, mit dem britischen Bühnenbildner Tom Piper zusammenzuarbeiten.

Tom Piper, was hat Sie als Bühnenbildner an dem Thema gereizt?

TOM PIPER: Ich arbeite viel für die Royal Shakespeare Company. Und wie Sie wissen, Shakespeare hat extrem viel mit dem Tod zu tun. Ich habe Biologie studiert, bevor ich ans Theater gegangen bin, daher interessieren mich immer alle Formen der Überlappung von Wissenschaft und Kunst – ich verstehe mich selbst als Humanisten. Daher reizt mich das Thema sehr, auch weil mich interessiert, wie unterschiedlich die Menschheit mit ihrer Sterblichkeit umgeht.

Welche wissenschaftliche Recherche liegt dem Thema und dem Konzept zugrunde?

DV: Kulturelle und historische Zeugnisse zeigen, dass die Menschheit über alle Zeiten und rund um den Globus vieles unternommen hat, um den Tod hinauszuschieben oder sogar zu überwinden. Doch trotz aller wissenschaftlichen und biotechnologischen Fortschritte bleibt der Tod bis heute die vielleicht letzte unverfügbare Grenze – auch wenn sich die Perspektive auf den Tod gewandelt hat. Von einem metaphysischen Phänomen ist der Tod zu einem technischen Problem geworden, das wir lösen und damit überwinden wollen, so hat es der israelische Universalhistoriker Yuval Harari formuliert. In einer säkularen, fortschrittsgläubigen Erzählung haben der Tod und die Endlichkeit keinen Platz. Die traditionellen kulturreligiösen Erzählungen und Rituale haben an Bedeutung verloren. Dadurch ist im Umgang mit Sterben und Tod eine kulturelle Leerstelle entstanden. Davon zeugen die zahlreichen Angebote von Bestattungsunternehmen, die unterschiedliche nicht-religiöse Bestattungsrituale und -formen anbieten. Inspirierend für die Ausstellung war auch das Buch des Kulturanthropologen Ernest Becker, The Denial of Death. Er vertritt die These, dass das Wissen um den Tod, die damit verbundene Angst und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit die unbewusste Triebkraft alles menschlichen Verhaltens ist.

Tom Piper, Sie arbeiten vorwiegend am Theater. Wie sind Sie bei der Gestaltung dieser Ausstellung vorgegangen?

TP: So wie Shakespeare in Hamlet versucht, mit dem Tod umzugehen, wollen wir die Menschen ermutigen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Ich denke, dass dies ein Hauptziel der Ausstellung ist: keine Angst vor dem Tod zu haben, sondern diesen als Teil unseres Lebens zu betrachten – als Theater des Lebens. Das ist die übergreifende Metapher, die durch die Vorhänge zu Beginn jedes Aktes symbolisiert werden. Für un_endlich. Leben mit dem Tod habe ich wie bei allen anderen Ausstellungen mit dem Ausstellungsarchitekten Alan Farlie zusammengearbeitet. So können wir das Beste vom Theater in das Ausstellungswesen einbringen. Das Spannende ist, dass man als Bühnenbildner Raumwelten schaffen kann, in die der Betrachter hineingezogen wird und auf die er sich einlassen kann: kreative Bilder, die sowohl imaginativ sind und zugleich die vorhandene Story transportieren. Das haben wir vom Theater gelernt: wie man eine Dramaturgie entwickelt, wie man eine Geschichte erzählt, wie man den Besucher*innen mit auf eine Reise durch die Ausstellung nimmt.

Und wie sieht diese Reise aus?

ALAN FARLIE: Im Zentrum steht die Idee des Theaters des Lebens, das Gesamterlebnis. Man sitzt wie im Theater zusammen – man teilt den Raum, man teilt das Erlebnis. Durch eine Ausstellung geht man immer irgendwie allein, selbst wenn man in Begleitung ist. Das Objekt steht Dir gegenüber. Wir dagegen bemühen uns, eine Art Bewegung zu entwickeln: von einem Akt zum nächsten, von einem Raum in den nächsten. Nicht wie in einem einzigen Stück, aber als eine Reihe von Akten, die wie auf der Bühne immer etwas anders aussehen.

TP: Und bei dieser Ausstellung kommt dazu: Man weiß nicht, wohin die Reise geht. Diese Ausstellung ist so offen wie ihr Thema. Von jedem Raum aus entdeckt man einen neuen, als wäre man auf der Reise des Todes selbst. Man kann höchstens zurückblicken – und dort fast auch noch einmal das Theatralische daran sehen: den Vorhang, die Lichter, die Texturen und all die weiteren Elemente der Performance. Aber man kann nicht voraussehen, was als Nächstes passieren wird.

Wodurch zeichnet sich die Gestaltung der Ausstellung aus?

AF: Diese Ausstellung ist sehr intuitiv gestaltet und hat bewusst wenige Objekte und Ausstellungstafeln. Das Erleben, das Sich-Einlassen auf das Thema, auf die unterschiedlichen Ideen und Vorstellungen des Todes, steht im Zentrum. Im Bereich der Sterbebetten etwa sind die Menschen eingeladen, über ihre Sterblichkeit zu reflektieren. Auch in der abschließenden Videoinstallation Kosmos Biosphäre kann man lange verweilen und eintauchen in den Kosmos des Werdens und Vergehens.

TP: Die Besucher*innen können ihre eigene Imagination nutzen. Selbst eine Art von Humor, wie wir ihn mitbringen, ist da möglich und zulässig. Natürlich werden auch und gerade in dieser Ausstellung schwierige Themen verhandelt, aber es gibt auch sinnlich positives Erleben. Etwa die große Sorgfalt, die Menschen den Körpern kürzlich Verstorbener angedeihen lassen – und die Liebe, in denen in Religionen der Toten gedacht wird. Am Ende ist es immer die sinnliche Reise durch die Ausstellung, das Gesamterlebnis, das zählt.

Detlef Vögeli, Sie zeigen in der Ausstellung unterschiedliche Vorstellungen des Todes. Inwiefern ist der Umgang mit dem Tod kulturell geprägt?

DV: Für die Videoinstallation World Death Conference haben wir zwölf Menschen aus verschiedenen Kontinenten mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen zu ihren Erfahrungen befragt. Dabei zeigte sich: Der Sterbeprozess ist auf der körperlichen Ebene eine universelle, aber auch eine individuelle Erfahrung. Die Rituale in der Begleitung von Sterbenden sind stark geprägt von Weltanschauungen und Vorstellungen einer Existenz jenseits des Diesseits. Für Menschen, die an ein Weiterleben in einer anderen Form glauben, ist der Sterbeprozess ein Übergangsritual in eine andere Daseinsform. Rituale dienen dazu, diesen Übergang zu begünstigen. Das Bedürfnis am Lebensende mit sich und der Welt ins Reine zu kommen, scheint ein kulturund religionsübergreifendes Phänomen zu sein.

Durch die Corona-Pandemie und den UkraineKrieg ist der Tod in den Medien in den vergangenen Jahren noch präsenter geworden. Hat dies einen Einfluss auf das Kuratieren der Ausstellung gehabt?

DV: Die Corona-Pandemie rückte Sterben und Tod stärker in die öffentliche Wahrnehmung. Der Ukraine-Krieg brachte eine Art des Todes nach Europa, der überwunden schien. Durch die Pandemie und den Krieg wurden der frühzeitige oder gewaltsame Tod nicht bloß medial, sondern auch in der persönlichen Erfahrung wieder gegenwärtiger. Doch auch wenn die Ausstellung un_endlich. Leben mit dem Tod eine gegenwärtige Perspektive einnimmt, ist sie nicht in der Aktualität verhaftet. Sie stellt aus einer gegenwärtigen, westlichen Perspektive grundsätzliche und zeitlose Fragen zum menschlichen Verhältnis zu Sterben und Tod in den Raum und lässt vielstimmige Antworten zu. Dabei geht es auch um die Frage der Verantwortung, welche das menschliche Wissen um die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens und allen Lebens mit sich bringt.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie sich dies in der Ausstellung darstellt?

DV: Exemplarisch begegnen die Besucher*innen auf dem Rundgang den letzten Dingen, von Menschen, die bei der Flucht übers Mittelmeer in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ihr Leben verloren haben. Diese Tragödie und die dahinterliegenden Fragen betrifft die Besucher*innen als Europäer*innen direkt. Neben dieser globalen Perspektive öffnet die Ausstellung mit der Thematisierung des laufenden Artensterbens auch eine planetare Perspektive auf die drohende Endlichkeit der Menschheit als Spezies.

Warum ist das menschengemachte Zeitalter, das sogenannte Anthropozän, Thema der Ausstellung?

DV: Die erfolgreiche Geschichte des Homo sapiens ist auch eine Geschichte der Naturbeherrschung. Die Entdeckung des Feuers verlieh dem Menschen mehr Energie als seine Muskeln liefern konnten. Heute verbrennen wir weltweit an einem Tag so viel Erdöl, Erdgas und Kohle, wie in 500.000 Jahren entstanden sind. Das Paradox ist, dass die gegenwärtig vorherrschende „westliche“ Idee von Wohlstand auf einem Lebensstil beruht, der im Zuge des Artensterbens auch unsere Lebensgrundlage bedroht. Das ist das eigentliche Drama: Der Homo sapiens droht zu seinem eigenen Totengräber zu werden. Die Ausstellung endet im „Open End“, zwischen Katastrophe und Katharsis: Die Besucher*innen durchlaufen eine Spirale des Aussterbens mit Präparaten von ausgestorbenen Tieren. Und eine raumgreifende Videoinstallation bettet die Besucher*innen ein in einen (Mikro-)Kosmos des Werdens und Vergehens – ein multimedialer Kommentar zur Vernetzung und Verbundenheit des Menschen mit der Natur.

26.09.2023, 13:15

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