Einleitung
Als Präsident Donald Trump im Januar 2021 aus dem Amt schied, galt seine Regierung fast überall als gescheitert. Er hatte die selbst gesetzten Erwartungen – den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze, die Wiederbelebung der amerikanischen Industrie und die Umgestaltung der Wirtschaft – bei weitem nicht erfüllt und in der Corona-Pandemie, die das Land schwer getroffen hatte, planlos und unkoordiniert agiert. Nach der deutlichen Wahlniederlage im November 2020 versuchte Trump mit einer Reihe von Scheinprozessen und anderen Methoden, die Stimmenauszählung zu untergraben. Dieses unverhohlene Streben nach Machterhalt gipfelte im gewaltsamen Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. In einem Amtsenthebungsverfahren durch den Senat wurde Trump zwar nicht verurteilt, doch Wähler aus allen politischen Lagern gaben ihm die Schuld an dem Aufstand,1 ebenso wie viele gewählte Amtsträger der Republikanischen Partei.2
Noch während die Presse die politischen Nachrufe auf Trump schrieb, kam jedoch eine kleine Gruppe ehemaliger Regierungsmitglieder zu einem anderen Schluss: Trump war nicht gescheitert, sondern sabotiert worden. Die Gruppe war davon überzeugt, dass die Wahl gestohlen worden war – obwohl es keine Beweise dafür gab. Zwar waren diese Leute nicht unbedingt anderer Meinung als jene Kritiker, die Trumps Regierungszeit als politisches Versagen beurteilten. Die Ursache jedoch sahen sie darin, dass Trump vom ihn umgebenden System im Stich gelassen worden sei. Ihrer Ansicht nach waren eine vielversprechende Regierung und ein visionärer Präsident durch faule Angestellte, alten Parteidogmen verpflichtete Republikaner und Karrieristen in der Bürokratie ausgebremst worden.
Diese Andersdenkenden glaubten, der einzige Weg zur Verwirklichung der von ihnen angestrebten christlichen, rechtsgerichteten Nation sei ein sorgfältig organisierter Angriff auf die US-Regierung in ihrer damaligen Form. Der nächste republikanische Präsident müsste nicht nur Programm und Politik neu denken, sondern auch grundlegende Fragen der Arbeitsweise der Regierung klären sowie ausloten, welche Akteure an der Umsetzung dieser Neuausrichtung beteiligt sein sollten. Dieses Verständnis von Regierung war nicht einfach nur konservativ. Es war bewusst radikal und gründete in der Überzeugung, dass es keine verfassungsmäßige Ordnung mehr zu retten gab. Die Vertreter dieser Sichtweise glaubten nicht nur, dass ihre Chance bald kommen würde, sondern dass es nur einen Mann gab, der sie verwirklichen konnte und würde: Donald J. Trump.
Während der vierjährigen Präsidentschaft von Joe Biden widmeten sich Menschen wie Paul Dans, Russell Vought und Kevin D. Roberts der Vorbereitung einer zweiten Trump-Regierung, die die erste bei weitem übertreffen sollte. Zwar waren einige von ihnen auch Teil von Trumps Wahlkampfteam, aber hauptsächlich ging es um alles, was nach dem erneuten Wahlsieg geschehen sollte. Unter der Schirmherrschaft der Heritage Foundation, einer konservativen Denkfabrik mit fünfzigjähriger Geschichte, entwarfen sie einen aus vier Säulen bestehenden Plan. Er umfasste eine detaillierte programmatische Plattform, eine riesige Datenbank mit potenziellen Mitarbeitern für die Verwaltung, Schulungen für angehende Mitarbeiter sowie ein Handbuch für die blitzschnelle Übernahme der Regierung am ersten Tag: das sogenannte Project 2025.
Project 2025 ist der Generalschlüssel zum Verständnis der zweiten Präsidentschaft Trumps, der Zukunft der Republikanischen Partei und der amerikanischen Rechten. Das Projekt ist nicht vollständig identisch mit der Trump-Agenda, doch durch die sorgfältige, zu Trumps chaotischer Improvisation3 im Gegensatz stehenden Planung ist es in der Lage, die Regierung zu dominieren und die intellektuelle Blaupause für programmatische und politische Entscheidungen der nächsten vier Jahre und darüber hinaus zu liefern.
Laut Kevin D. Roberts, Präsident der Heritage Foundation, verfolgt Project 2025 vier Ziele: »Die Wiederherstellung der Familie als Mittelpunkt des amerikanischen Lebens und den Schutz unserer Kinder; den Abbau des Verwaltungsstaats und die Rückgabe der Selbstverwaltung an das amerikanische Volk; die Verteidigung der Souveränität, der Grenzen und des Reichtums unserer Nation gegen globale Bedrohungen; [und] die Sicherung unserer von Gott gegebenen individuellen Rechte auf ein freies Leben – also das, was unsere Verfassung als die ›Segnungen der Freiheit‹ bezeichnet.«
Diese Zusammenfassung lässt auf einige eher ungewöhnliche Ideen schließen, insbesondere angesichts der Hervorhebung von Familienthemen und des Angriffs auf den ›Verwaltungsstaat‹ – ein akademischer Begriff für weite Teile der Bundesbürokratie, wie wir sie kennen. Dabei beschönigt Roberts den Radikalismus des Vorhabens. Project 2025 ist ein Plan zur massiven Erweiterung der Macht des Präsidenten. Die Beteiligten wollen Trump in die Lage versetzen, die Exekutive mit politisch genehmen Kandidaten zu besetzen, Beamte nach Belieben zu entlassen, die historische Unparteilichkeit des Justizministeriums aufzugeben, die gesetzlich verankerte Unabhängigkeit von Behörden wie der Federal Communications Commission (FCC, Bundeskommunikationskommission) anzugreifen und die Befugnisse des Kongresses an sich zu reißen.
Ein Glaubensgrundsatz des Project 2025 besagt, die Linke sei im Gegensatz zur Rechten hochgradig organisiert und reglementiert. Diese Perspektive überrascht jeden, der die Linke in den letzten zehn Jahren in Aktion erlebt hat. Doch die Autoren meinen es todernst. Linke Politiker bezeichnen konservative Führungskräfte manchmal abfällig als Zyniker, aber hinter den hier vorgetragenen Ansichten steht eine tiefe Überzeugung.
»Amerikas bittere Wirklichkeit ist, dass wir uns in der Endphase einer vollständigen marxistischen Übernahme des Landes befinden, wobei unsere Gegner bereits die Waffen des Regierungsapparats in der Hand haben und sie auf uns richten«, so Russell Vought, Trumps Haushaltschef und eine der Schlüsselfiguren im Project 2025. »Und sie werden sie weiter auf uns richten, bis sie keine Wahlen mehr gewinnen müssen.«4 Paul Dans, Direktor des Projekts und in der ersten Trump-Administration auf mittlerer Ebene tätig, warnte einmal, die Amerikaner lebten »unter einer Art tyrannischer Herrschaft von Joe Biden«5 und befänden sich »inmitten einer neomarxistischen Revolution hier in den Vereinigten Staaten«; sie müssten »aufwachen und sehen, was vor sich geht«.
Die düstere Sichtweise erinnert an den Artikel »The Flight 93 Election« aus dem Jahr 2016, erschienen in der Claremont Review of Books. 6 Er wurde zu einem Schlachtruf für rechtsradikale Intellektuelle. (Der Titel bezieht sich auf den entführten Flug vom 11. September, bei dem die Passagiere und die Besatzung ihr Leben opferten, indem sie die Terroristen zwangen, das Flugzeug weit entfernt vom eigentlichen Ziel, dem Kapitol, zum Absturz zu bringen.) Der Autor beschreibt die Wahl 2016 in apokalyptischen Worten und argumentiert, dass drastische Maßnahmen und möglicherweise persönliche Opfer zur Rettung der Rechten, der Amerikaner und des Westens als Ganzes erforderlich seien.
»Die Wahl 2016 ist wie Flug 93: Wer nicht das Cockpit stürmt, stirbt. Möglicherweise schaffen wir oder unser Parteiführer es ins Cockpit, wissen aber nicht, wie man ein Flugzeug fliegt oder landet«, warnt der Essay. »Nichts ist garantiert. Außer eines: Wenn man es nicht versucht, ist der Tod sicher. Um die Metapher zuzuspitzen: Eine Präsidentschaft von Hillary Clinton ist wie russisches Roulette mit einer halbautomatischen Waffe. Mit Trump kann man zumindest den Zylinder drehen und sein Glück versuchen.«
Der Verfasser, der sich später als Michael Anton entpuppte, trat bald darauf Trumps Nationalem Sicherheitsrat bei. Später wurde er Mitarbeiter vom Project 2025, das seinen Ton und seine Vision aufgreift. Einem zentralen Grundsatz des Projekts zufolge besteht der einzige Weg, die gefährliche Politisierung der Exekutive rückgängig zu machen, darin, sie weiter zu politisieren. Das erinnert an den berüchtigten Spruch über den Vietnamkrieg, demzufolge wir das Dorf zerstören müssen, um es zu retten. Diese nihilistische Sichtweise findet bei der wachsenden Zahl jener Wähler Anklang, die laut Meinungsforschung das amerikanische System für so verrottet halten, dass sie einfach alles niederbrennen wollen.7
Die Diagnosen des Project 2025 mögen dramatisch sein, aber die Ambitionen sind noch größer. Dans prophezeite: »Es wird ein JFK-Moment. Es handelt sich, wenn man so will, um eine echte Renaissance der Staatsführung.«8 Vought erklärte, 2024 werde in seiner Bedeutung für die Nation »mit 1776 und 1860 konkurrieren«.9 Und Roberts formulierte deutlich, um welchen Preis man sich diesem Projekt in den Weg stellt: »Wir befinden uns mitten in der zweiten amerikanischen Revolution, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke es zulässt«, sagte er in einem Interview im Juli 2024.10 Diese Art von Rhetorik sowie Voughts leicht an einen Bond-Bösewicht erinnernder Name erklären, warum das Project 2025 vor der letzten US-Wahl so viel mehr Aufmerksamkeit erhalten hat als ähnliche Dokumente, die alle vier Jahre in den Denkfabriken der Parteien produziert werden. Das Hauptdokument unter dem Titel Mandate for Leadership (Mandat zur Führung) ist eine verwirrende Lektüre. Es enthält trockene, objektive Beschreibungen der Ämter der Exekutive, die sich den Platz mit ausgefallenen politischen Ideen teilen müssen – manchmal auf ein und derselben Seite. Politiker werfen ihren Gegnern oft vor, schändliche, unpopuläre Absichten vor den Wählern zu verbergen. In diesem Fall jedoch hat die Heritage Foundation alle Ideen eineinhalb Jahre vor der Wahl zusammengetragen und sie in einer von jedermann einsehbaren PDF-Datei online veröffentlicht.
Kritiker schlugen bereits Alarm, als Mandate 2023 veröffentlicht wurde, aber viele Wähler hörten erst im Sommer 2024 davon. Bei den BET Awards am 30. Juni ermutigte die Schauspielerin Taraji P. Henson die Zuschauer, sich mit dem Namen vertraut zu machen. »Der Plan von Project 2025 ist kein Spiel. Lesen Sie es nach«, forderte sie. Viele Menschen taten dies; die Suchanfragen vervielfachten sich. Während des Parteitags der Demokraten im August hielten die Redner eine übergroße Reproduktion des Buchs hoch, um die Aufmerksamkeit der Wähler auf Project 2025 zu lenken.
Trump war wütend. »Ich habe nichts mit Project 2025 zu tun«, erklärte er während seiner Debatte im September 2024 mit Kamala Harris, die ihm vorwarf, er wollte den Plan umsetzen.11 »Es schwirrt da draußen herum. Ich habe es nicht gelesen. Ich will es nicht lesen, absichtlich. Ich werde es nicht lesen.« (Das stimmte wahrscheinlich: Dans hoffte zwar, dass »die Augen des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten diese Passagen lesen werden«, aber Trump liest selten etwas.) Obwohl er behauptete, nichts darüber zu wissen, bezeichnete er einige der Ideen als »absolut lächerlich und abgründig« und beharrte: »Ich habe keine Ahnung, wer dahintersteckt.« Trumps Behauptungen waren absurd. Project 2025 stand zwar offiziell nicht mit seinem Wahlkampf in Verbindung, war aber Bestandteil seines engen Umfelds. Drei Viertel der Autoren und Mitwirkenden hatten in der ersten Trump-Regierung gearbeitet, vier von ihnen – Vought, Ben Carson, Chris Miller und John Ratcliffe – sogar auf Kabinettsebene. Zahlreiche weitere Mitwirkende bekleideten ebenfalls bereits während Trumps erster Präsidentschaft bestimmte Ämter. Während seiner zweiten Präsidentschaftskandidatur ernannte er Vought zum Politischen Leiter des Plattformkomitees der Republican National Convention 2024.12 Vizepräsident J.D. Vance schrieb das Vorwort zu einem Buch von Roberts, dessen Erscheinungstermin verschoben wurde, nachdem Project 2025 negative Aufmerksamkeit erregt hatte.13
»Präsident Trump ist davon sehr angetan«, so Dans 2023.14 Im folgenden Jahr sagte er gegenüber der Australian Broadcasting Corporation: »Wir haben Verbindung zu Leuten aus dem Wahlkampfteam. Tatsache ist, dass wir oft Ideen liefern.«15 Er fuhr fort: »Dies wird wirklich der Maschinenraum der nächsten Regierung. Viele dieser Leute hatten schon Ämter inne und werden erneut auf bestimmte Posten berufen.«16
Trumps Distanzierung von Project 2025 hatte ganz praktische Gründe: Viele der darin enthaltenen Ideen sind äußerst unpopulär und erschwerten seine Versuche, heikle Themen zu vermeiden. Trumps Wahlkampfteam veröffentlichte nur ein vages 20-Punkte-Programm, das die umstrittensten Entscheidungen und Kompromisse ausblendete.17 Mandate stößt auf seinen fast 1000 Seiten direkt in diese Minenfelder vor.
In einer Umfrage der Heritage Foundation Ende Juli und Anfang August 2024 stellte sich heraus, dass zwei Drittel der Wähler von Project 2025 gehört hatten, aber nur 14 Prozent es unterstützten. Weitere 47 Prozent lehnten es ab.18 Die Zahl der Wähler, die das Projekt kannten und ablehnten, war in den wichtigsten Swing-States sogar noch höher. Inmitten des Aufruhrs verließ Dans Ende Juli 2024 die Stiftung.19 Die Arbeit an Project 2025 war zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschlossen.
Während des Wahlkampfs hatte Trump viele Berater, von denen manche andere Ansichten vertreten als die Autoren des Projekts. Kaum war die Wahl jedoch vorbei, gab er die vorgetäuschte Distanz zu Project 2025 auf. Zu den ersten von ihm ernannten Spitzenbeamten gehörten viele Mitwirkende des Projekts, darunter Tom Homan (Grenzschutzbeauftragter), John Ratcliffe (CIA-Direktor), Brendan Carr (Vorsitzender der Federal Communications Commission), Paul Atkins (Vorsitzender der Securities and Exchange Commission, Börsenaufsichtsbehörde), Peter Navarro (leitender Berater), Michael Anton (Direktor der Politikplanung des Außenministeriums), Pete Hoekstra (Botschafter in Kanada) und Russell Vought (Leiter des Office of Management and Budget, OMB, Amt für Verwaltung und Haushaltswesen). Doch Project 2025 braucht keine prominenten Namen in den wichtigsten Positionen, um erfolgreich zu sein – besagt doch seine ureigene Theorie, dass der Aufbau von Systemen und die Besetzung der unteren Ränge der Exekutive der Schlüssel zur effektiven Kontrolle der Regierung sind. Eine Analyse der Informationsagentur Bloomberg Government ergab, dass 37 der 47 Exekutivmaßnahmen, die in Trumps ersten Amtstagen ergriffen wurden, direkt oder teilweise mit Empfehlungen aus dem Project 2025 übereinstimmen.20
Im ersten Teil dieses Buches werde ich den revolutionärsten Aspekt des Project 2025 untersuchen, nämlich inwiefern es nicht nur die Arbeit der Regierung neu erfinden will, sondern auch die grundlegendere Frage nach der Ausgestaltung dieser Arbeit, neu beantwortet. Ich werde aufdecken, wie die Autoren versuchen, die Exekutive zu politisieren, indem sie Ideologen noch die alltäglichsten Aufgaben übertragen, den an sich unpolitischen öffentlichen Dienst aushöhlen und den Kongress entmachten. Ich werde auch erläutern, wie seriöse und mitunter obskure Teile der Exekutive – darunter das bereits genannte Office of Management and Budget, das Office of Presidential Personnel (OPP, Büro für Präsidialpersonal) und das Justizministerium – für diese Zwecke eingesetzt werden.
Im zweiten Teil dieses Buchs befasse ich mich mit den radikalen politischen Maßnahmen, welche die Autoren von Project 2025 mit diesen neuen Befugnissen umsetzen wollen. Ich erläutere die bemerkenswertesten und wichtigsten Veränderungen, die sie in den Bereichen Geschlechter-, Familienund Bürgerrechte, Einwanderung, Wirtschaftspolitik und Handel, Umwelt sowie Außenpolitik und Verteidigung anstreben.
Roberts schreibt in seinem Vorwort zu Mandate: »Die Konservativen haben nur zwei Jahre und eine Chance, um es richtig zu machen.« Sie sind entschlossen, diese Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.