Wissen gegen Täuschung

Leseprobe Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit: Diese Erkenntnis aus dem Ersten Weltkrieg ist bis heute gültig. Immer wieder haben seither Kriegsanlasslügen zu militärischen Konflikten geführt – meist verschleiert von zielgruppenspezifischer Propaganda
An vorderster Front: Ein Fotograf im Ersten Weltkrieg
An vorderster Front: Ein Fotograf im Ersten Weltkrieg

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Lassen Sie sich nicht täuschen

Vorwort

Klima-Apokalypse, globaler Finanzkollaps und atomares Armageddon. Killerviren, Dauerlockdown und Blackout. Riennevaplus– nichts geht mehr! Den in den letzten Jahren gezeichneten Endzeitszenarien scheinen im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen gesetzt zu sein. Begleitet werden sie aber alle von einer meist aggressiven politisch motivierten Propaganda, deren Methode das Erzeugen von Angst ist, hinter der sie ihre eigentlichen Ziele zu verbergen vermag. Eine ganz reale Katastrophe wird zwar nicht das Ende der Welt bedeuten, doch sie spielt sich direkt vor unserer Haustür ab und kann entscheidend für den Fortbestand eines geeinten Europas sein, so wie wir es bisher kannten. Eine Lösung für den am 24. Februar 2022 von Russland begonnenen Krieg gegen die Ukraine ist bis heute deshalb nicht in Sicht, weil auch in diesem Konflikt von Beginn an Propaganda die Kontrolle übernommen hat. Selbst wenn es anders verlautbart wird – sowohl in Russland als auch in der Ukraine –, sind Medien und Medienarbeit durch Kriegsgesetze bereits so eingeschränkt und überwacht, dass sie einer Gleichschaltung nahekommen. Staatliche Propaganda, wenngleich ganz unterschiedlich in Form und Inhalt, kann nahezu ungehindert in die Köpfe derjenigen Menschen eindringen, die täglich dazu gezwungen sind, sich gegenseitig zu töten. Unabhängiger Journalismus ist wie in allen Kriegen nicht nur in den verfeindeten osteuropäischen Nachbarländern unmöglich geworden, sondern er steht längst auch in Deutschland auf dem Prüfstand. Durch fehlende Optionen zur eigenen Kriegsberichterstattung fließen Propagandainhalte ungefiltert in unsere Nachrichten ein, ohne als solche erkannt oder kenntlich gemacht zu werden. Diese dankbare Möglichkeit haben sowohl die russischen als auch die ukrainischen Militärführungen in ihren sorgfältig aufgebauten Informationskriegen für sich entdeckt und ihre psychologische Kriegsführung auf uns alle ausgerichtet. Doch Medien in Deutschland werden nicht nur von außen manipuliert, sondern sie betätigen sich unter maßgeblicher Beeinflussung deutscher Regierungspolitik selbst propagandistischer Methoden, indem sie zum Beispiel ausklammern, beschönigen oder dämonisieren. Umso wichtiger ist es, dass wir als Medienkonsumenten und demokratische Bürger nicht nur über die von Propaganda ausgehenden Gefahren aufgeklärt werden, sondern dass wir sämtliche ihrer Methoden kennen, um uns weitestgehend vor Manipulation aller Art schützen zu können. Diesem Anspruch stellt sich das vorliegende Buch, in dem Sie von der Pike auf lernen können, was Propaganda war und ist und wie Sie ihre manipulativen Techniken in Zukunft erkennen und selbst entlarven können. Sie werden erfahren, dass Kriege schon immer gleichen Prinzipien folgten, dass Kriegspropaganda auch in Friedenszeiten betrieben wird und dass die Weisheit, die Wahrheit sei stets das erste Opfer eines jeden Krieges, wahrscheinlichder Wahrheit entspricht.

Christian Hardinghaus, im April 2023

Kapitel 1: Propaganda erkennen – Macht, Medien, Massenmanipulation

Ein Mann versucht, seine Ehefrau in den Wahnsinn zu treiben, indem er ihr mittels Licht- und Geräuscheffekten suggeriert, in ihrem gemeinsamen Haus spuke es. Während sie verzweifelt ausgerechnet bei ihm Hilfe sucht, ist sein Ziel, sie davon zu überzeugen, sie bilde sich den Horror nur ein und laufe Gefahr, geisteskrank zu werden. So passiert es in dem mehrfach verfilmten Theaterstück des britischen Dramatikers Patrick Hamilton GasLightvon 1937 (in den USA unter dem Titel AngelStreetam Broadway inszeniert), nach dem zunächst im englischen Sprachraum Extremfälle von Mobbing bezeichnet wurden, bei denen einer Person weisgemacht wird, sie sei verrückt. Gaslightingist eine zunehmende Form psychischer Gewalt, über deren Folgen inzwischen auch deutsche Krankenkassen und Präventionsstellen aufklären. Nachdem sich im vergangenen Jahr die Suchanfragen zu dem Terminus um 1740 Prozent gesteigert haben, wählte das amerikanische Merriam-Webster-Wörterbuch Gaslightingzum Wort des Jahres 2022. Besonders häufig wird es in Kombination mit dem Begriff Mediain die Suchmaschinen eingegeben, was Schlüsse darüber zulässt, dass weltweit immer mehr Menschen unter der Horrorvorstellung leiden, ihre Regierungen könnten gezielt Medien dazu benutzen, um sie einer Massengehirnwäsche zu unterziehen, bei der sie am Ende selbst für verrückt erklärt werden sollen.

Das mittlerweile auch unter dieser Bezeichnung untersuchte Phänomen MediaGaslightingkennzeichnet also die Angst vor einer Utopie nach orwellschem Vorbild, die sich nahtlos in die Endzeitstimmung unserer Zeit einbauen lässt. In dieser verbreiten sich immer häufiger Hysterien apokalyptischen Ausmaßes und erwarten »letzte Generationen« das Ende der Welt, sodass inzwischen der Glaube an den Great Reset, bei dem wenigstens noch ein bisschen was von der Erde übrig bleiben würde, als optimistische These erscheint. Dabei haben alle großen Untergangsszenarien gemeinsam, dass sie genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sind wie die Unterwerfung der Welt durch eine die Medien kontrollierende Machtelite. Trotzdem scheinen fernab der entworfenen Worst-Case-Szenarien Menschen, deren größte Sorge Medienmanipulationen von staatlicher Seite aus sind, weniger ernst genommen zu werden als solche, die vor menschengemachtem Klimawandel, mutierenden Killerviren und atomarem Weltkrieg warnen. Wo ein »hypochondrischer Umweltschützer« noch als nachsichtiger Mensch gelten darf, muss sich der bloße Medienkritiker nicht selten schon als Verschwörungstheoretiker diskreditieren lassen, obwohl die beidseitigen Zusammenhänge auf der Hand liegen könnten. Dafür, dass Massenmedien inzwischen den größten Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben haben und letztendlich über Katastrophen und Kriege aller Art entscheiden, werden Sorgen über staatlich gesteuerte Medienmanipulation zu leichtfertig abgetan. Dabei sollte im Anblick dieser nie da gewesenen Fülle von Macht, die von modernen Massenkommunikationsmitteln ausgeht, eigentlich jedem klar sein, dass die Tyrannen der Gegenwart und Zukunft alles daransetzen werden, dieser habhaft zu werden. Eben ganz so wie es ihre Vorgänger mit den Medien ihrer Ära getan haben. Um hier vernünftig vorzubeugen, bedarf es sicherlich einer Sensibilisierung der Gefahren zunächst im Kleinen, wie es auch anderen bedrohten Bereichenmenschlichen Zusammenlebens zuträglich wäre, nicht gleich das Ende von Zivilisation oder Demokratie herbeizuschreien, sondern zu schauen, was logisch, möglich und machbar ist.

Ich möchte mit diesem Buch nicht die Welt retten und strebe auch keine Generalabrechnung mit ihr an, sondern will vor den alltäglichen Gefahren von Propaganda warnen, die sich in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts als eine der tödlichsten Waffen erwiesen hat. Und da diese Art der Manipulation immer abhängig ist von Medien, die eben für die Masse so lebensbestimmend sind wie nie zuvor, ist es auch ein Buch über den Missbrauch der Medien durch politische Machthaber, insbesondere zu Kriegszeiten. Mit dieser Absichtserklärung haben wir die vier Kernbestandteile von Propaganda bereits aufgeführt, und weil sie passenderweise alle mit dem Buchstaben M beginnen, kann man sie sich schon an dieser Stelle am besten leicht anhand einer 4-M-Formelmerken: Propaganda beschreibt die Manipulation der Massen durch Machthaber (oder Mächtige/nach Macht Strebende) mittels Medien. Diese Elemente finden sich in nahezu jeder modernen Propagandadefinition wieder; sie ist eng verwandt mit der Definition für Manipulation, die ein undurchschaubares, trickreiches Verhalten beschreibt, mit dem sich jemand Vorteile über andere verschaffen will. Medienmanipulation bewerkstelligt dies der Bestimmung nach, indem eine vermittelnde Instanz zu Hilfe genommen wird – ein Medium. Um moderne Propagandastrategien im Zeitalter von Informationskriegen zu analysieren, richtet sich das vorliegende Buch nicht auf Individualmedien aus, sondern auf Massenmedien, die immer darauf abzielen, einen größtmöglichen Adressatenkreis zu erreichen. Innerhalb dieser sind Unterhaltungsmedien bei der Erforschung von Propaganda weniger von Interesse als vielmehr diejenigen, die sich der Nachrichtenvermittlung verschrieben haben – also hauptsächlich Presse und journalistische Formate, die Politikern ein Sprachrohr verschaffen und die öffentliche Meinung beeinflussen. Eines der mächtigsten Werkzeuge von Massenmedien aller Art ist heute nach wie vor die Kamera.

SeienSiesichdeshalbimmerdessenbewusst,dasseineKamera niedieWirklichkeitabbildet,sondernstetsnurdaszeigt,wasSiesehensollen!EinPerspektivenwechsel,eineinfacher KameraschwenkaufdiegegenüberliegendeSeitekönnteIhnen einevollkommenandereRealitätpräsentieren.SchauenSiesichdaherwannimmermöglichAufnahmenmehrererKamerasunterschiedlicherTeamsanundvergleichenSieverschiedeneDokumentationenüberdasselbe Ereignis!

So eindrucksvoll Bilder auch sein mögen, sie heißen so, weil sie eben nur abbilden, also etwas nachstellen. Fotos und Videos können niemals die Realität ersetzen. Oder wie es der britisch-amerikanische Journalist und Kriegsberichterstatter Harold Evans einst treffend formulierte: »Die Kamera kann nicht lügen, aber sie kann Mittel der Unwahrheit sein.« [1]

Nie zuvor in ihrer Geschichte sind Menschen einer solchen Flut von inszenierten Bildern ausgesetzt gewesen wie in unserer rasanten Informations- und Kommunikationsgesellschaft, in der sie sich täglich zurechtfinden müssen. Da heutige Erdenbewohner gleichzeitig über Dutzende Medienkanäle rund um die Uhr erreichbar sind oder sein wollen, ist die Gefahr, die allein von technischer Medienmanipulation ausgeht, unermesslich hoch für sie. Medien sind die wichtigste Waffe der Herrschenden und all derer, die an die Macht kommen oder an solcher hinzugewinnen wollen. Je mehr mediale Präsenz Politiker, Parteien oder politische Organisationen wie etwa eine Aktivistengruppe erhalten, desto größer werden automatisch ihr gesellschaftliches Standing und ihr Einfluss. Heute prasselt eine solche Fülle von vorsortierten Informationen und medial verkauften Wahrheiten auf uns ein, dass wir zunehmend Orientierung, Halt und Glauben verlieren und geneigt sind, uns schnell irgendeiner vorherrschenden Meinung anzuschließen, ohne diese selbst verinnerlicht zu haben. Sollte der uneingeschränkte Zugang zu Nachrichten über das Internet eigentlich Aufklärung und demokratische Teilhabe für jedermann bereitstellen, überfordert mittlerweile schier die Masse an verbreiteten Daten und Fakten samt ihrer unterschiedlichen Deutung die Wahrheitsfindung und den damit verbundenen Wunsch nach Identifikation, Halt und Haltung.

Menschen suchen auch nicht mehr nur nach Wahrheit, sondern wollen auf die einzige, alleinige Wahrheit stoßen, quasi auf eine ultimative Anleitung, die sie durchs weitere Leben zu führen vermag. Dabei scheinen wir zunehmend zu vergessen – oder ignorieren es –, dass unsere eigene Weltsicht immer eine durch unsere Medien gefilterte ist. Die Wahl des Mediums entscheidet also maßgeblich darüber, welche Sicht wir einnehmen, und diese bekommt regelmäßig Schwierigkeiten mit der Sichtweise eines anderen, denn diese könnte die eigene ins Schwanken bringen – und das erzeugt Angst. Und obwohl sie sich als Wahrheitsverkäufer verstehen und repräsentieren, können Medien, die auf Selektion und Vorauswahl der Inhalte angewiesen sind, immer nur die Deutung einer Wahrheit verkaufen, also eine mögliche oder wahrscheinliche Richtigkeit. Der amerikanische Journalist Walter Lippmann formulierte diesen Umstand leicht zynisch schon 1922 in seinem Buch PublicOpinion, das bis heute als Begründerwerk der Medienwissenschaften gilt: »Die mir am fruchtbarsten erscheinende Hypothese besagt, dass Nachrichten und Wahrheit nicht dasselbe sind und klar voneinander geschieden werden müssen.« [2]

13.06.2023, 15:37

Buch: Weitere Artikel


Plädoyer für ein kritisches Bewusstsein

Plädoyer für ein kritisches Bewusstsein

Zum Buch Gekonnt nutzen Machthaber beteiligter Kriegsparteien Desinformation, um nicht nur die eigene Bevölkerung zu manipulieren, sondern die gesamte Weltbevölkerung. Den Anforderungen zur Aufklärung scheinen Medien neutraler Staaten nicht gewachsen zu sein
Autor mit Expertise

Autor mit Expertise

Biografie Während früher Information vorenthalten wurde, ist es heute das massive Überangebot, das die Wahrheitsfindung erschwert. Historiker Christian Hardinghaus über die Macht der Medien, die sich nach Russlands Angriff auf die Ukraine wieder deutlich zeigt
Propaganda: Kriegstreibendes Mittel

Propaganda: Kriegstreibendes Mittel

Hintergrund „Propaganda ist der Versuch der gezielten Beeinflussung des Denkens, Handelns und Fühlens von Menschen. Wer Propaganda betreibt, verfolgt damit ein bestimmtes Interesse.“

Propaganda gegen wahre Nachrichten | Arte

Video Ein Krieg um die Wahrheit tobt in den Medien zwischen der Ukraine und Russland: Um der russischen Propaganda etwas entgegenzusetzen, übersetzen ukrainische Zeitungen ihre Artikel auch auf Russisch. Sie bemühen sich der Desinformation entgegenzuwirken


Russlands deutsche Propaganda-Krieger | ZDF

Video Die Russen würden die Ukraine von Nazis befreien, so beispielsweise eine Botschaft von Alina Lipp, die über YouTube und andere Kanäle Desinformationen verbreitet. Und sie ist nicht allein: Es gibt auch deutsche Politiker, die sich daran beteiligen


Propaganda des NS-Regimes | Terra X

Video Millionen Deutsche verhelfen Adolf Hitler zur Macht. Sie ziehen für ihren „Führer“ Adolf Hitler in den Zweiten Weltkrieg – Sie werden zu Mitläufern, Mittätern und Profiteuren eines Regimes, das für unfassbare Grausamkeiten verantwortlich ist


Hetze gegen trans*Menschen | ZDF

Video Die bittere Wahrheit im freiheitsliebenden Deutschland: Es gibt Hetze gegen trans*Menschen. Journalist:innen, Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und sogar Alt-Feminist:innen gehen gegen Selbstbestimmung auf die Straße