„Das richtige Leben im Falschen“

Kommentar Robert führt ein Leben auf der Flucht vor seinen Gefühlen – er ist ein Wrack, der seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle macht. Als er als verdeckter Ermittler eine „Beziehung“ zu Leni anfangen soll, gerät er zusehends aus dem Gleichgewicht
Schnell vermischen sich die Ebenen und die Linie zwischen Spiel und echten Gefühlen verschwimmt
Schnell vermischen sich die Ebenen und die Linie zwischen Spiel und echten Gefühlen verschwimmt

Foto: Grandfilm

Regienotizen

Von Christoph Hochhäusler

Was mich angezogen hat an Bis ans Ende der Nacht ist der Splitter im Auge des Protagonisten. Robert ist blind für sich und andere, gefangen in Widersprüchen. Seine Beziehungen: gescheitert, der Weg zurück: verbaut; ein Mann auf der Flucht vor seinen Gefühlen, die ihn auch im falschen Leben, als verdeckten Ermittler, bald einholen.

Schon zu Beginn des Films ist er ein Wrack, das mühsam aufgetakelt werden muss. Halb aus Verachtung für sein deviantes Begehren, halb aus Respekt für seine manische Kraft, soll er mit der trans* Frau Leni ein Paar spielen, um einen Kontakt anzubahnen. Leni hat man dafür aus dem Gefängnis „ausgeliehen”, mit dubiosen Versprechungen. Die Polizei will einem Online-Drogenhändler das Handwerk legen, Robert soll die Organisation infiltrieren, Leni für ihn bürgen.

Also spielen die beiden „Beziehung”, und Robert hasst die Rolle, und hasst Leni, und macht ihr das Leben zur Hölle, aber irgendwann stolpern sie in einen anderen Rhythmus – und verlieben sich, für den Augenblick. Mehr werden kann darf daraus nicht, glaubt Robert, der sich fürchtet, seine Sinne sind verwirrt, und er ist mit seiner Verwirrung nicht allein. Victor, das kriminelle Zielobjekt, lernt Robert vertrauen, und weil er die Gefühle der Anderen klarer als die eigenen sieht, bringt er Robert unverhofft auf den richtigen Pfad – im falschen Leben. Ein Mehrfrontenkrieg der Gefühle entbrennt, in dem jede Entscheidung mindestens eine Seite gefährdet.

Ich wollte einen Film machen, der hitzig ist, schmerzhaft, rau, ein Melodram mit deutscher Popmusik, langen Brennweiten und einer Schärfentiefe auf Messers Schneide. Einen Film, in der die Krise der Männlichkeit als Oper aufgeführt wird, aber zugleich ein „Außen” sichtbar wird.

Das richtige Leben im Falschen, und umgekehrt: Florian Plumeyers Buch ist ein dunkles Spiegelkabinett, in dem sich der Held wieder und wieder den Kopf stößt. Relief bekommt der Charakterkopf durch eine atemlose Kriminalgeschichte, die keine Eskalation scheut.

Schon lange wollte ich tiefer ins Genre, und tiefer in einen Charakter vordringen. Gleichzeitig beschäftigen mich Identitäts- und Täuschungsgeschichten seit jeher, von Falscher Bekenner bis Die Lügen der Sieger. Ich habe deshalb das Gefühl, mit diesem Film „etwas Neues fortzusetzen”.

18.06.2023, 15:00

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