52 Bücher in 52 Wochen: In seiner Kolumne schaut Mikael Krogerus diese Woche, was in der Bibel so an Erstaunlichem steht. Sehr lustig - und wieder mal kontrovers...
Was habe ich gelesen? „Das Neue Testament“ (in: Die Bibliothek des Neuen Testaments), übersetzt und herausgegeben von Jörg Scholz.
Gelesen habe ich, genaugenommen, nur die Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas, Johannes) und die Paulusbriefe – dann gab ich einem infantilen Impuls nach und blätterte mich durch das Ende, also Teile der Johannesoffenbarung und die Kirchenbriefe; woraufhin ich mich verwirrt von hinten nach vorne las, bei den Hebräerbriefen die Übersicht verlor und einschlief. Als ich aufwachte, las ich weiter bei Paulus und merkte erst nach 30 Seiten, dass ich die Stelle bereits vor zwei Tagen gelesen hatte.
Seitenzahl: 600
Amazon-Verkaufsrang: 820.854
Warum habe ich es gelesen? Eine Empfehlung meiner Mutter. Sie sagte mir auch
820.854Warum habe ich es gelesen? Eine Empfehlung meiner Mutter. Sie sagte mir auch noch: „Lies nicht alles auf einmal!“, ein bisschen wie in: „Trink nicht alles auf einmal“.Worum geht es? Der uneheliche Sohn einer Jungfrau und eines Geistes zieht als Wanderprediger durch Galiläa. Jesus, so heißt er, vollbringt Wunder (Fernheilung, Soforttherapie eines Mondsüchtigen, Verwandlung von Wasser in Wein etc.), und redet in wundersamen Gleichnissen. (Von der verdrehten Art her scheint mir Jesus übrigens näher bei Monty Pythons Life of Brian als Mel Gibsons Die Passion Christi. Als ein Schriftgelehrter ihm zum Beispiel eine spitzfindige Frage stellte, „Welches Gebot ist das wichtigste?“, konterte Jesus mit einer diffus-dialektischen Gegenfrage „Wenn der Messias der Sohn Davids ist, wieso nennt David selbst den Messias Herrn?“ (Matthäus, 22). Anschließend, notiert Matthäus trocken, „wagte niemand mehr, ihm noch eine Frage zu stellen“.) Jesus erfreut sich großer Beliebtheit, unter anderem bei Gott („Dieser ist mein Sohn, der Geliebte, an ihm habe ich Gefallen gefunden“, Matthäus 3) und schart viele Anhänger um sich. Wo Liebe ist, ist Neid. Im Cormack-McCarthy-artigen Finale wird er verraten, gefoltert, gekreuzigt. Die letzten Worte sind in ihrer Dramatik kaum zu überbieten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Matthäus, 27).Dieses starke Intro des Neuen Testaments, das sogenannte Evangelium, wird insgesamt vier Mal erzählt, aus der Sicht von vier verschiedenen Autoren. Eine Erzähltechnik, die Bibelfremde vielleicht aus den Quentin-Tarantino-Filmen kennen, und die zunächst verwirrt, manchmal auch langweilt, aber letztlich vor allem eines erreicht: die Einsicht, dass es keine objektive Wahrheit gibt, sondern dass jedes Erinnern an ein Ereignis dieses neu erschafft. Oder wie Anaïs Nin schrieb: „Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen sie wie wir sind“.Was bleibt hängen? Vieles kennt man. Die Bonmots („Ein Kamel kommt eher durch ein Nadelöhr“), die kruden Gleichnisse („Das Himmelreich ist einem Grundbesitzer vergleichbar“), das Epische („Am Anfang war das Wort“), das Moralische („Willst du vollkommen sein, dann geh los, verkaufe deinen Besitz und schenke das Geld den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben“). Vieles mir Unbekannte wirkte erfrischend und klug („Was in der Welt als töricht gilt, das hat Gott sich erwählt, um die Weisen zu beschämen; und was schwach ist, vor der Welt, das hat Gott sich erwählt, um die Starken zu beschämen“, Paulus an die Gemeinde in Galatien) oder der Hinweis darauf, sich vom Urteil Dritter unabhängig zu machen: „Ein jeder prüfe sein eigenes Tun, und dann mag er für sich selbst Anlass haben, sich zu loben“ (ebd.). Was nervt ist das Lustfeindliche, das zwinglianisch Selbstkontrollierende („Führt euern Lebenswandel im Geist und ihr braucht sicher keine selbstsüchtigen Wünsche zu befriedigen“ - ebd.). Was richtig nervt, ist die Nettobotschaft der Bibel, der Imperativ des Altruismus: man tut Gutes, wenn man sich selbst aufopfert. Nach 500 Seiten Bibellektüre fragt man sich: wie unschuldig ist diese Opferposition eigentlich? Sie wirkt auf mich wie eine Geste der Selbstermächtigung. Wie die Dauerbestätigung, immer auf der moralisch richtigen Seite zu stehen.Es ist kein Buch der einfachen Antworten. Eher eines der vielen. Man soll seine eigene suchen. Und wer dann sucht, der findet klare moralische Antworten und Lebensanweisungen. Man kennt das aus den Sonntagspredigten. Die machen aber nicht gläubig. Die machen müde. Je älter ich werde, desto eher bin ich mir sicher, dass Fragen zum Glauben führen. Und nicht Antworten.Wie liest es sich? Die Bibel liest sich gut. Das ist weniger Martin Luther als dem evangelischen Pfarrer Jörg Scholz zuzuschreiben. Dieser hat vor einigen Jahren, genervt von dem sperrigen Lutherdeutsch, mit wissenschaftlicher Akribie den altgriechischen Originaltext neu übersetzt. Nicht in einen pubertär-atheistischen Jugendjargon, sondern in eine verständliche, präzise Sprache, die der Größe des Gegenstands gerecht wird.Das beste Zitat? In Bezugnahme auf die fehlende Bereitschaft der Menschen, sexuell enthaltsam zu leben, zitiert Paulus Jesus im Korintherbrief: „Ich wollte schon, alle Menschen wären wie ich, aber jeder hat eine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.“Wer sollte es lesen? Weiß ich nicht.Was lese ich als nächstes? Das Mädchen seiner Träume von Donna Leon.