Mit Krissi Murison rückt beim legendären Magazin "New Musical Express" zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Frau in die Chefredaktion auf. Ein wichtiges Rolemodel!
"Frauen waren so selten wie UFO-Sichtungen“, erzählte mir die Sängerin Emmylou Harris einmal. Sie sprach über die Musikszene der siebziger Jahre. Aber sie hätte genauso gut mein Arbeitsleben als Musikjournalistin beimNew Musical Express (NME) in den Achtzigern beschreiben können. Als ich dort anfing, kamen alle der wenigen anderen Musikjournalistinnen wie Julie Burchill, Vivien Goldman und Jane Suck aus der Punkszene – um in den NME einzudringen brauchte man die Haut eines Rhinozerosses.
Nun soll Krissi Murison die erste Chefredakteurin des NME seit seiner Gründung 1952 werden. Und keine Minute zu früh. Das Blatt hatte eine Tradition des Schreibens über Rock, die offenbar fast völlig auf Männer ausgerichtet war. Murisons Berufung
Übersetzung: Steffen Vogel
ns über Rock, die offenbar fast völlig auf Männer ausgerichtet war. Murisons Berufung bedeutet daher nicht nur einen Erfolg für sie – sie steht für einen Wandel der Musikindustrie. Künstlerinnen schlagen sich gut in den Charts, von La Roux bis Lily Allen, Florence The Machine und Lady GaGa. Und vergangene Woche wurde bekannt, dass auf der Shortlist für den traditionell von männlichen Acts beherrschten Mercury Prize fünf starke weibliche Anwärter stehen. Außerdem finden sich im ganzen Geschäft mehr Frauen hinter den Kulissen, wo sie in einstmals rein männliche Domänen vordringen wie Produktion und A – die schicken Jobs mit großen Budgets und Einfluss.Aber als ich dort anfing, war der NME ein abschreckender Ort – nicht unähnlich dem Gemeinschaftsraum einer sechsten Klasse. Starautoren bewohnten kleine Lehnsgüter innerhalb des Büros: Nick Kent und Charles Shaar Murray in den frühen Siebzigern oder Tony Parsons in der Punk-Zeit. Als neuer Autor wurde dir das kulturelle Vermächtnis vor Augen gehalten. Vielleicht gewährte man dir einen Probelauf, ein paar Besprechungen, aber wenn du dem nicht gerecht wurdest, war es das. Und als Frau war es doppelt einschüchternd. Die allgemeine Auffassung besagte, dass du nicht wirklich über Musik schreiben könntest. Frauen würde es an Haltung, Mumm oder Wissen fehlen. Neil Spencer, früher Chefredakteur des NME, erinnert sich: „Ich hatte mich wirklich sehr bemüht, weibliche Autoren zu gewinnen. Und als ich ausschied, entdeckte ich, was passiert war – so schnell, wie ich die Autorinnen angeworben hatte, wurden bestimmte Leute im Blatt sie wieder los, indem sie sie mit chauvinistischem Spott vor den Kopf stießen.“Männliche FachidiotieSeien es Fußballergebnisse oder die Einzelheiten von Band-Line-Ups – Männer legten großen Wert darauf, alles über ein Thema zu wissen. Die meisten Frauen hingegen waren zu vernünftig, um den Grad an Fachidiotie zu erreichen, der seinerzeit von Musikjournalisten verlangt wurde. Um mithalten zu können, bewaffnete ich mich mit DEM WISSEN. Ähnlich wie angehende Taxifahrer, die mit einem Klemmbrett durch die Stadt fahren, lernte ich so viel wie möglich über die Musik von gestern und heute. Ich ging zu zahllosen Gigs, kaufte mir einen kleinen roten Karteikasten und schrieb die Namen neuer Bands auf Karten, zusammen mit einer einzeiligen Beschreibung. Ich hatte zum Beispiel eine Karte für die June Brides („Kreissägen-Pop mit Bratsche und Trompete“) und die Fire Engines („Post-Punk Gitarren-Band aus Edinburgh“). Schließlich erhielt ich das ultimative Lob von anderen männlichen Journalisten, dass ich „meinen Stoff beherrsche“.Mitte der Achtziger war ich etabliert. Aufgrund der traurigerweise fehlenden Berichterstattung über Musikerinnen, machte ich es mir zur Aufgabe, wann immer möglich eine zu interviewen. Ich setzte mich für die aufkommende weibliche Hip Hop-Szene ein, indem ich Rapper wie Salt ‘N Pepa und die kein Blatt vor den Mund nehmende Roxanne Shante interviewte. Ich sprach mit den Soul Sisters Dionne Warwick und Nona Hendryx, die dankbar waren, dass ich sie ernst nahm. Viel zu oft wurde in Artikeln über Musikerinnen auf ihr Aussehen oder ihr Privatleben abgehoben und ihrer Musik nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Ich musste hart darum kämpfen, Frauen herauszustellen oder neue Perspektiven auf etablierte Stars wie Madonna und Whitney Houston zu eröffnen.Sexismus der StarsAber nach einer Zeit registrierte ich, dass „ernsthafte“ Features unvermeidlich an männliche Autoren gingen – obwohl die meisten Musiker, gleich welchen Geschlechts, sich einer Frau genau so geöffnet hätten. Ich hatte einige wenige Begegnungen alter Schule: Die betrunkenen Pogues beispielsweise erzählten sexistische Witze, Prince musterte mich von oben bis unten, als käme ich für seinen Harem in Frage, und selbst Rod Stewart zeigte auf mein Aufnahmegerät und fragte: „Hast Du es angemacht, Schatz?“. Aber die meisten Acts, die ich interviewte, verhielten sich positiv. Sexismus trat heimtückischer auf, in der Musikindustrie selbst.Da Frauen in der Rock-Presse selten in die Position kamen, Aufträge an andere Autoren zu vergeben, hielten nur wenige Musikjournalistinnen bis zum Ende durch. Die meisten zog es zu anderen Medien, zu Qualitätszeitungen oder Frauenmagazinen.Manchen mag die Berufung einer weiblichen Chefredakteurin beim NME schlicht als symbolische Geste erscheinen. Ich denke, sie ist ein Grund zum Feiern. Wie die Zulassung weiblicher Priester in der Anglikanischen Kirche, verkündet sie einen bedeutenden Wandel. Junge Autorinnen verfügen nun über ein Role Model. Sie haben jetzt das Gefühl, dass auch sie legitimer Weise über die Rock-Welt schreiben dürfen, und das inspiriert sie.