Lea T, das erste transsexuelle Supermodel, steht für das Androgyne in der Haute Couture. Doch ihr brasilianischer Vater tut sich schwer mit der Wandlung seines Sohnes
Auf den ersten Blick ist das einzig Auffällige an Lea T ihre Schönheit. Mit ihren vollen Lippen, ausgeprägten Wangenknochen und den dunklen Locken, die in Wellen über ihre Schultern fallen, ist sie prädestiniert für die Welt der Haute-Couture: verführerisch, gertenschlank und ein Gesicht, das zu markant ist, als dass man es einfach nur hübsch finden könnte. Kein Wunder, mögen Sie nun denken, dass sie innerhalb weniger Monate von der kleinen Assistentin zur Mode-Sensation aufgestiegen und in der Herbst/Winter-Kampagne von Givenchy und in der italienischen Vanity Fair zu sehen ist und – die absolute Krönung – nackt auf den geheiligten Seiten der französischen Vogue posiert.
Dass diese brasilianische Granate ein solches A
Übersetzung: Christine Käppeler
brasilianische Granate ein solches Aufsehen erregt, liegt vielleicht aber auch daran, dass mehr hinter ihr steckt, als man auf den ersten Blick meint. Lea T wurde auf den Namen Leandro getauft, sie ist nicht nur Model und Muse, sondern auch Transsexuelle.Tochter eines FußballheldenFür Riccardo Tisci, Kreativdirektor von Givenchy und der Mann, der seinen „äußerst femininen“ Freund als erster ermunterte, in Frauenschuhen eine Party zu besuchen, war es ein naheliegender Schritt. Für die 28-jährige Lea selbst war die Verwandlung – vom Mann zur Frau, vom Außenseiter zum Vorbild – alles andere als das. Nicht nur, dass sie dadurch zu einer Person wurde, auf die Fremde mit dem Finger zeigen, auch ihre katholische Familie reagierte mit Ablehnung. Ihr Körper musste mit Hormonen vollgepumpt werden, die auf die Stimmung schlugen und sie ist gezwungen, der „inhärenten Einsamkeit der Transsexualität“, wie sie es nennt, ins Auge zu sehen. Trotz alledem, sagt sie, sei der „Krieg in ihrem Kopf“ es wert gewesen. „Man hat die Wahl“, erklärte sie in einem Interview mit der italienischen Vanity Fair, „ob man für immer unglücklich sein möchte oder versuchen will, glücklich zu sein.“Leandro Cerezo, auch Leo genannt, wurde 1981 in Brasiliens drittgrößter Stadt Belo Horizonte geboren und wuchs im privilegierten Umfeld einer Familie auf, die gewohnt war, im Scheinwerferlicht zu stehen, lange bevor einer aus ihren Reihen es auf die Seiten der Modemagazine schaffte. Und so enthüllte die Tageszeitung Extra aus Rio, als die ersten Fotos erschienen, auf denen Leonardo als Lea T zu sehen war, mit unverholenem Entzücken, dass es sich bei ihr um niemand anderen als die Tochter des Fußball-Helden Toninho Verezo handelte, WM-Veteran und Zeitgenosse legendärer brasilianischer Spieler wie Falcão, Sócrates und Zico. Dieser habe, so die Zeitung, Anfragen bezüglich der neuen Existenz seines Kindes, nicht besonders gut aufgenommen.Schwul sein, das kleinere Übel„Wir haben den ehemaligen Star kontaktiert, doch er war verärgert und beschränkte sich darauf zu sagen, er habe vier Kinder, von denen eines Leandro heiße“, schrieb das Blatt. „Auf unsere Frage, ob sein Junge in der Givenchy-Kampagne zu sehen sei, legte er den Hörer auf.“ Die Zeitung schrieb auch, Cerezo, der heute Trainer des Zweitligisten Sport ist, habe 2007 behauptet, er habe nur drei Kinder. Leas Bruder Gustavo wies die Behauptung, es habe einen Bruch mit der Familie gegeben, zurück: „Es ist Leas Erfolg, nicht der der Familie. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass wir an ihrer Seite stehen und sie unterstützen.“Das Model selbst jedoch gab zu, dass Toninho nicht gerade erfreut über ihre Verwandlung ist. „Er möchte dieses Thema nicht ansprechen“, erklärte sie gegenüber dem brasilianischen Radio. Im Interview mit Vanity Fair sagte sie darüber hinaus, sie habe mit ihrem Vater nie direkt darüber gesprochen, dass sie eine Hormonbehandlung durchführt, die ihr schließlich den Körper einer Frau geben wird. Ihre Unterhaltungen, so sagte sie, hätten sich auf Belanglosigkeiten beschränkt. Diese Reaktion, sagen Beobachter, sei vielleicht unglücklich, aber nicht überraschend. „In der lateinamerikanischen, katholischen Macho-Kultur ... ist [die Antwort einer Familie auf so etwas] eine Totalverweigerung“, erklärte die transsexuelle Walkiria la Roche, die in Belo Horizonte den Transsexuellen- und Transvestiten-Verband Asstrav gegründet hat. „Wir werden von der Grundschule an ausgeschlossen, doch die allerersten, die uns meiden, sind unsere eigenen Familien.“Lea zufolge entging Toninho schon früher nicht, dass sein Sohn anders als die anderen Jungs war, auch wenn die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, auf die sporadischen Besuche des Fußballers beschränkt blieb. „Wenn Papa nach Hause kam, dann sah er mich an und sagte, mit mir stimme etwas nicht. In den darauffolgenden Jahren beteten alle dafür, dass ich schwul sei. Für eine religiöse Familie mit strengen Wertvorstellungen wäre es das kleinere Übel gewesen“, sagt sie. Doch schon als Heranwachende, als sie in Italien zur Schule ging, erkannte Lea, dass ihre Situation nicht so einfach war. Sie fühlte sich zu Mädchen und Jungen hingezogen und erinnert sich, dass sie „keine festgelegte Sexualität oder eine feste Richtung hatte, der sie folgen konnte.“ Doch von dieser Unsicherheit bis zur Akzeptanz der Idee, dass sie als Frau glücklicher sein könnte, war es ein langer Weg. „Als ich erfuhr, dass es Transsexualität gibt, war ich zunächst neugierig, dann erfüllte es mich mit Angst und ich sagte mir: „So bin ich nicht.“Der Skandal als Verkaufstrick?Erst später, als sie Riccardo Tisci, einen jungen Absolventen der Londoner Modeschule Central Saint Martins kennenlernte, begann sie die Idee ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Mit dem durchdringenden Blick des Künstlers, erkannte der aufstrebende junge Designer aus Italien die angeborene Weiblichkeit seines Freundes. „Eines Abends ermunterte er mich, in Pumps zu einer Party zu gehen“, erinnerte Lea sich in der französischen Vogue. „Wir gingen Shoppen, um die richtigen „Drag Queen“-Schuhe zu finden und bleichten meine Augenbrauen. Es war eine Offenbarung.“Sieben Jahre später war Tisci einer der Großen der Modewelt bei Givenchy. Doch er vergaß seine alte Freundin nie und stellte Lea als seine persönliche Assistentin ein. Hinter den Kulissen des renommierten Modehauses arbeitete sie für ihn als Anprobe-Model. Gegenüber der Branchen-Bibel Women’s Wear Daily lobte er sie in den höchsten Tönen: „Sie ist eine wahre Göttin. Sie war immer äußerst feminin – extrem zerbrechlich, sehr aristokratisch.“ Als Tisci sich, einem Trend der Branche folgend, entschied, Androgynität zum Thema seiner Herbst/Winter-Kollektion zu machen, gab es eine Person, die er vor allen anderen unbedingt dafür haben wollte. Und sie sagte – zu seiner Freude – ja.„Ich erklärte mich bereit, mich fotografieren zu lassen, im Namen all meiner transsexuellen Freunde“, wurde Lea zitiert. Auch das Foto in der Vogue ist äußerst mutig und zeugt von ihrem wachsenden Selbstvertrauen und der Entschlossenheit, ihre Transsexualität nicht zu verstecken: Einen Arm hat sie um ihre Taille geschlungen, der andere verdeckt nur zum Teil ihr männliches Geschlechtsorgan.Carine Roitfeld, die formidable Chefredakteurin der französischen Vogue, ist bekannt dafür, dass sie gerne schockiert – und die Mode benutzt, um die Grenzen dessen, was zulässig ist und was nicht, zu sprengen. In der Vergangenheit hat sie Bilder von Karen Elson in einem glamourösen Bondage-Look gezeigt und Eva Herzigova als blut-bespritzte Metzgerin, die liebevoll ein Hackbeil streichelt.Einige Kritiker tun die Art und Weise, wie Tisci und Roitfeld Lea benutzen, als „Verkaufstrick“ ab. Andere begrüßen den Mut der Geste, welche Motive auch immer sich dahinter verbergen mögen. „Carine Roitfeld ist immer eine Vorreiterin, wenn es um sexuelle Standards geht“, bemerkte ein US-Blogger und fügte hinzu, dass die Bilder aus der französischen Vogue „niemals in einem Modemagazin in den USA gezeigt würden.“Auch in Leas Heimatstadt fällt die Reaktion der Aktivisten positiv aus. Sie sehen ihren Ruhm als einen Schritt hin zu einer größeren Toleranz. „Ich sehe es als ein gutes, positives Beispiel, das sehr selten ist“, erklärte La Roche, die einer Regierungsabteilung vorsteht, die für die Rechte von Transvestiten und Transsexuellen kämpft und von sich selbst behauptet, eine von gerade mal drei Transsexuellen weltweit zu sein, die für eine Regierung arbeiten. „Es ist wichtig, dass Lea in den Zeitschriften ist. Jede Form von positiver Presse zeigt der Gesellschaft, dass wir auch etwas anderes als Prostituierte oder Friseurin sein können.“Der Preis des AlleinseinsMit den anhaltenden Schwierigkeiten, die Menschen ertragen müssen, wenn sie sich dafür entscheiden, ihr Geschlecht zu verändern, ist Lea nur allzu gut vertraut. Angesichts der alltäglichen Demütigung, dass Fremde sie einfach auslachen bis hin zu den verwirrenden Auswirkungen der Medikamente – „Ich lief durch die Straßen, vollgestopft mit Hormonen, depressiv, während die Leute hinter meinem Rücken lachten“ – stellt Lea sich als eloquente Anwältin einer Community heraus, die auf der ganzen Welt immer noch marginalisiert und missverstanden wird.Selbst heute, mit ihrer Ausbildung und ihrem privilegierten Hintergrund und all den Annehmlichkeiten, die ihr wachsender Celebrity-Status mit sich bringt, macht Lea sich keine Illusionen darüber, dass vor ihr noch viele emotionale Herausforderungen liegen – nicht nur angesichts des starken Medieninteresses, das seit der Veröffentlichung der Givenchy-Kampagne gnadenlos war.Lea, die von sich selbst sagt, dass sie sich „den Luxus, sich zu verlieben, nicht leisten kann“, ist sehr pessimistisch, was ihre Chancen betrifft, mit einer anderen Person glücklich zu werden. Transsexuellen, die eine feste Beziehung begännen, sagt sie, gelänge das oft nur, indem sie ihre Vergangenheit vor ihren Partnern geheimhielten. „Sie leben als Heuchler; das ist nur eine Variante der Einsamkeit“, sagt sie. „Wir Transsexuellen werden allein geboren und wachsen alleine auf. Nach der Operation werden wir neu geboren, aber wieder allein. Und wir sterben allein. Das ist der Preis, den wir bezahlen.“