Ich wollte den Typen zum Mond schießen, der mich vor ein paar Jahren an einem Sonnabendnachmittag versetzt hat, weil er mit seinen Kumpels im Park noch „gemütlich ein Bier trinken“ wollte. Wie habe ich das verachtet: am helllichten Tag herumlungern und sich die Kante geben. So proletarisch. Als wir uns nach einer Weile zufällig wieder sahen, hatte er wieder eine Pulle dabei. Diesmal stand er in der Tram!
Ich schaute weg, heimlich beneidete ich ihn aber um diese lässige Attitüde. Es scherte ihn nicht, ob er aussah wie ein Penner, mit der offenen Flasche, deren Hals aus seiner Jackentasche ragte. Sie wirkte bei ihm wie ein cooles Accessoire. Hatte er mich mit seiner Date-Absage-Begründung vielleicht beeindrucken wollen?
Man sah sie früher nur auf brandenburgischen Dörfern, wenn ein neuer Steg eingeweiht wurde, ein Bauer geehrt oder sich die selbst ernannte Stones-Cover-Band an Satisfaction versucht hat. Diese gelangweilten Provinzjungs hatten ja sonst wenig zu tun.
Nun aber machten auch Großstadt-Männer auf Proletarier, und die öffentlichen Verkehrsmittel zum Laufsteg für die eleganteste, oder sagen wir schluffigste Art, sein Becks oder Sternburg zu trinken. Sie wurden immer sexier.
Ich fing an, es ihnen nachzumachen.
Große Freiheit versenkt
Meine Freundin und ich holen uns jetzt regelmäßig aus dem Späti Schöfferhofer Kaktusfeige – oder Grapefruit. Wir öffnen das Bier erst in der Bahn, macht man bei uns so. Sie hat immer ein Feuerzeug dabei, sie raucht noch Kette. Den Deckel schnappt sie so gekonnt auf, dass uns die Jungs nicht mehr wie Ausgesetzte (Hamburger?) betrachten, nur weil wir Fruchtbier statt gepflegtem Pils dabei haben.
Ach, armes Hamburg. Erst darf Helmut Schmidt nicht mehr öffentlich rauchen, außer mal eine im Büro des Chefredakteurs seiner Wochenzeitung. Nun muss auch der „ehrliche Arbeiter auf sein Feierabendbier verzichten“, schreibt der Stern (wer hat eigentlich behauptet, dass der Arbeiter ein ehrlicher Mensch ist?). Ab September bekommt jeder in Hamburg eine Abmahung, der sich nicht an das jetzt beschlossene Alkoholverbot mit Strafandrohung in allen Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs hält. Ab Oktober sind 40 Euro fällig. Wer mit Bier erwischt wird, ist dran.
Frauen saufen lieber Sekt, aber Piccolo ist jetzt genauso perdu. Wenn Madame das Gesöff jedoch gleich entsorgt, muss sie nicht sofort ins Portemonnaie greifen. Noch nicht.
Was zum Teufel hält einen noch an so einem Spießer-Ort, der seine Große Freiheit gerade versenkt?
Als ich zwölf war, bestand mein rebellischster Akt darin, auf dem Weg von der Tanzgruppe nach Hause, in der S-Bahn, genüsslich Nikotin zu inhalieren - die Beine ausgestreckt auf der Sitzbank meines Gegenübers. Radikal wird man in Hamburg bald Leute nennen, die keine Autos anzünden, sondern sich mit einem Holsten mitten in den Waggon stellen.
Vorerst aber kann man sich auf Facebook bei den Gegnern des Alkoholverbots anmelden, die
zum „HVV-Abschiedstrinken“ am 30. September aufrufen, denn "Kein Alkohol ist auch keine Lösung".
Liebe Hamburger, denkt jetzt aber nicht, dass wir euch plötzlich alle bei uns aufnehmen. Ist schon genug, dass immer mehr Franzosen einwandern, die dem Bordeaux abschwören, sobald sie in Berlin gestrandet sind. Ich muss sie nun vor meinen Nase rümpfenden copines verteidigen. Und mich auch. Impossible chez nous!, rufen Marie und Lucie, so bald sie mich in der Bahn mit der Pulle in der Hand sehen. Sie klingen aber keineswegs empört. Eher sehnsüchtig.
Laisser faire? Auf Dich, Berlin!