500 Jahre Widerstand (II)

Dunkle Seele Pruß: Frieden als Ausnahmesituation... der Weg nach oben

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Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun,
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

klagt ein bekanntes Sonett von Andreas Gryphius.

Die Hohen Herren des ersten Standes treiben den Kontinent Europa in eine ruinöse Katastrophe. Von geschätzten siebzehn Millionen Einwohnern verlieren über vier Millionen ihr Leben, in einigen deutschen Regionen jeder Dritte. Erst 1648 enden die unzählbaren Kriegshandlungen auf dem Boden deutscher des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation mit dem Westfälischen Frieden.

In den Machtverwerfungen des Dreißigjährigen Krieges wächst ein neuer Kurfürst heran, geboren in Berlin, der mit unversöhnlichem Ehrgeiz, mit visionärer Großmannsucht den Krieg auf eigene Rechnung weiterführt, jederzeit bedacht auf die Erweiterung des eigenen, zersprengten Machtbereichs, stets zum Seitenwechsel bereit, ein gequälter Tyrann mit Sendungsbewusstsein: Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm zieht der Krieg in jedes Haus, die Residenzstadt Berlin-Cölln wird zur Garnisonstadt. Der Kurfürst richtet ein stehendes Heer ein, 6.000 Mann stehen zunächst im Sold, davon sind 2.000 in Berlin stationiert, jeder Bürgerhaushalt hat ein bis zwei Soldaten Unterkunft geben. Wer vermögend ist, kann diese Pflicht abwenden, so verbleibt die Quartierspflicht bei den Ackerbürgern und Handwerkern. Nicht nur Lagerstatt, Feuer und Licht ist den Einquartierten zu gewähren, sondern auch Nahrung, wenn die überforderten Kriegskassen den Sold schuldig bleiben.

Zehn Jahre nach dem Westfälischen Friede beginnt der Kurfürst, die Doppelstadt zur Festung auszubauen. Die entschädigungslose Enteignung von Gärten und Grundstücken erregt heftige Empörung der Bürger, ebenso die Heranziehung zu Schanzarbeiten in den morastigen Spreeniederungen.

Einen langen, nie ablassenden Krieg führt der Kurfürst, den man seit dem Sieg über die Schweden 1675 nicht ohne Ironie „den Großen“ nennt, verbündet sich abwechselnd mit den alten Mächten Europas,baut ein Flotte, erwirbt eine afrikanische Kolonie, erreicht die Lösung Ostpreußens von der polnischen Krone, aber das Territorium seiner Herrschaft ist am Ende seiner Regentschaft nicht größer, sein Volknicht glücklicher als zuvor.

Nichtsdestotrotz wächst die Bevölkerung der Doppelstadt, die am Ende des dreißigjährigen Krieges bei etwa 6.000 Einwohnern lag, durch Einquartierung, Aufbau der zentralisierten Verwaltung, Ansiedlung von Handwerkern und allgemeiner Zuwanderung auf 16.500 Menschen.

Mit der Straffung des Staates hielt eine erste Zentralbehörde im Berliner Schloß Einzug: das Generalkriegskommissariat, das die Verwaltung der Kontribution und der Akziseeinnahmen übernahm, die Versorgung der Armee überwachte und damit immer größere Teile des Wirtschaftslebens unter seine Regie bekam. Die Zahl der Beamten und Hofbediensteten wuchs, und das halbverfallene, im Dreißigjährigen Krieg oft unbewohnte Schloß wurde deshalb einer umfassenden Rekonstruktion unter Memhardts Leitung unterzogen. Holländische Bauleute und Künstler waren dabei in großer Zahl tätig. Ein Lustgarten nach holländischem Geschmack entstand. Die ganze Lebensweise des Hofes war bis hin zu den Möbeln und der Trinkschokolade von holländischem Einfluß geprägt. (Preussenweb)

Der Hof des preußisch-brandenburgischen Fürsten lässt sich täglich aus Amsterdam und Hamburg beliefern, die Erzeugnisse der Berliner Handwerkszünfte finden keine Abnahme bei den anspruchsvollen Beamten und Hofbediensteten. Das Steueraufkommen aus der Akzise ist offensichtlich für den Kurfürst und seine Leute sehr auskömmlich...: Als kombinierte Konsumtions- und Nahrungssteuer lag das Schwergewicht auf dem Lebensmittelverbrauch und auf Handwerks- und Tagelohnarbeit. Der durchgehende Handel wurde gar nicht und der Großhandel gering belastet.... Unruhen unter den Handwerkern und Tagelöhnern erzwangen jedoch dreimal die Einstellung der Akzise. Der Massenkonsum und die Gewerbe waren unverhältnismäßig hoch besteuert worden. (Preussenweb)

Weitere Einnahmequellen findet der geldhungrige Landesherr, indem er außerhalb des Berlin-Cöllner Stadtkerns Grundstücke in neu erschlossenen Quartieren gegen Erbzins vergibt. Die Neuansiedler sind von Kontributionen und Einquartierungen befreit.

Eine neue Stufe der politischen Machtakkumulation erreicht das Haus Hohenzollern um 1700: „Berlin wird König!“ Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg lässt sich im ostpreußischen Königsberg zum ersten König in Preußen krönen, in die Geschichte geht König Friedrich I. als verschwenderischer Barockherrscher ein, großzügiger Förderer der Kunst und der Wissenschaften, spendabler Bauherr und Begründer von „Spree-Athen“. Auf der Spree wartet seine Lustyacht Liburnica. Das Berliner Schloss muss jetzt ein Königsschloss werden, der Erneuerungsbau beginnt 1698, der Hofbildhauer Andreas Schlüter wird beauftragt, den Bau neu zu gestalten. Diese Aufgabe wird ihm entzogen, als der Umbau eines alten Wasserturms misslingt: der sogenannte Münzturm stürzt 1706 ein. Eosander von Göthe und Martin H. Böhme führen das Werk an der Residenz fort, groß wie zwei moderne Fussballfelder ist der neue Schlosskomplex, der 1716 vollendet wird, fünfundzwanzig Meter in die Höhe ragt und 1210 Räume zählt.

Der erste König in Preußen erlebt die Fertigstellung seiner imposanten Residenz nicht mehr. Die astronomische Verschuldung des Landeshaushalts bei seinem Tode 1713 zwingt seinen Nachfolger in einen bitteren Sanierungskurs: hohe Steuern, karger Lohn für die Beamten, karge Hofhaltung.

Und diese Tyrannei des Königs von Preußen, der er sich unterwarf, machte aus dem derbfrommen, biederen, polternden, im Grunde gutmütigen Mann selbst einen Tyrannen. Sie bringt das Treibende und Getriebene in seine Lebensäußerungen und seinen Regierungsstil, das Niezufriedene, Gewalttätige, Jähzornige, die wilden Drohgebärden, das Prügelregiment, die Ungeduld, das ewige „Cito! Citissimo!“ unter seinen Reskripten. Als irgendwelche Kriegs- oder Domänenräte gegen eine königliche Order Einwände machen, bricht dieser König von Preußen aus: „Die Leute wollen mich forcieren: Sie sollen nach meiner Pfeife danzen oder der Deuffel hole mir: ich lasse hängen und braten wie der Zar und tractiere sie wie Rebellen..... Ein Biedermann, den der Staatsdienst zum Wüterich macht. Das ist Friedrich Wilhelm I, so charakterisiert Haffner den Nachfolger, den man später den Soldatenkönig nennt. (Preußen ohne Legende)

Das Schloss hat nun seinen äußeren Umriss gefunden, der als schwerer, lastender Schatten in die kollektive Erinnerung an die preußischen Expansionsjahre zur Großmacht in Europa eingesunken ist: der Soldatenkönig rüstet sein Heer auf 83 000 Mann in Friedenszeiten, vier Fünftel der Staatseinnahmen verbraucht das Militär.

Jeder Neuansiedler ist willkommen, verordnet sind religiöse und konfessionelleToleranz, alle Nationalitäten können Preußen werden, erfüllen sie nur ihre Staatsbürgerpflichten pünktlich.... In seinem Testament hinterlässt der Soldatenkönig die zynische Rechnung: „Ich wünschte, daß wir Provinzen genug besäßen, um 180 000 Mann, also44 000 mehr als jetzt, zu unterhalten. Ich wünschte, daß nach Abzug aller Ausgaben ein jährlicher Überschuß von 5 Millionen erzielt würde... Diese 5 Millionen machen ungefähr die Kosten eines Feldzuges aus. Mit ihnen könnte man den Krieg aus eigenen Einkünften bestreiten, ohne in Geldverlegenheiten zu geraten und irgend jemandem zur Last zu fallen. In Friedenszeiten könnte diese Einnahme zu allen möglichen nützlichen Ausgaben für den Staat verwendet werden.“ (Preußen ohne Legende)

Frieden als Ausnahmesituation....

Sein Nachfolger raubt Schlesien, zerstört das Königreich Polen und gliedert ohne Skrupel polnische und österreichische Gebiete in seinen Herrschaftsbereich ein....... In den Kriegen Friedrich des Großen ist das Recht fast immer auf Seiten seiner Feinde. Und doch ist der Held dieser Kriege Friedrich, und sein Unrecht verblasst vor seinen Heldentaten. So ungerecht ist Geschichte manchmal, stellt Haffner fest (Preußen ohne Legende).

Das Berliner Schloss der Hohenzollern wird ab 1845 mit einer Kuppel gekrönt: Der Kuppelbau wurde im März 1848, genau 400 Jahre nach dem Berliner Unwillen, durch die revolutionären Kämpfe für einige Zeit unterbrochen. Man hatte gehört, dass die Aufständischen planten, die Holzkonstruktion des Kuppelbaues in Brand zu setzen. In Berlin war der Schlossplatz Ausgangspunkt der schweren Kämpfe des 18. März, nachdem Wilhelm I. befohlen hatte, die friedliche Massenversammlung vor dem Schlossportal mit Waffengewalt auseinander zu treiben. ( www.schlossplatz.net )

Als ein Hohenzollernprinz aus der süddeutschen Familienlinie im Jahr 1870 Ansprüche auf den spanischen Thron anmeldet, eröffnet der Ministerpräsident von Preußen als Kanzler des Norddeutschen Bundes durch eine gezielte Provokation den letzten Vorhang im Drama des Hauses Hohenzollern in Preußen. Widerstand erhebt sich aus Frankreich, weil zu erkennen ist, dass sich verschiedene deutsche Staaten unter der Führung Preußens zu einem neuen nationalen Bündnis finden wollen. Der französische Regent will der militärischen Vormachtstellung und dem Machtstreben Preußens und seiner Bündnispartner Grenzen setzen, der Interessenskonflikt kulminiert in einer Kriegserklärung Frankreichs an die deutschen Bündnispartner. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wird Frankreich vernichtend geschlagen. Im Spiegelsaal von Versailles wird der preußische König zum deutschen Kaiser gekrönt.

Ein halbes Jahrhundert steht das Haus Hohenzollern danach an der Spitze Preußens wie auch in der Verantwortung als Kaiser des Deutschen Reichs.

Ob der aufsässige Bürgermeister Bernhard Ryke das erste Opfer der preußischen Zwingburg war, ist nicht bekannt, zum blutigen Finale aber rief Kaiser Wilhelm II., der vom Balkon seiner Wohnung im 1. Stock des Schlosses im August des Jahres 1914 seine Untertanen an die Waffen schickte, verkündete er doch von hier: "Es muss denn das Schwert nun entscheiden.... Mitten im Frieden überfällt uns der Feind ..."

Die Einwohnerzahl der Stadtgemeinde Berlin hat im Jahr 1910 die Zwei-Millionen-Grenze überschritten: neun Millionen Soldaten verlieren in den vier Kriegsjahren ab 1914 ihr Leben, darunter zwei Millionen unter den Fahnen des Deutschen Kaisers. Die blutigen Auseinandersetzungen desErsten Weltkriegswerden inEuropa, imNahen Osten, inAfrika,Ostasienund auf denWeltmeerengeführt und fordern je nach Schätzung insgesamt rund 17 Millionen Menschenleben.

Mit der Revolution 1918 wurde Preußen ein sozialdemokratisch regiertes Land, das durch den sog. Preußenschlag (v. Papen) mit dem Reich gleichgeschaltet und dann von den Nazis okkupiert wurde. Die Besatzungsmächte lösten dann 1947 den Preußischen Staat auf, da er angeblich der Hort des Militarismus und der deutschen Aggression war, so spröde wird im Preussenweb das Ende einer Ära skizziert.

Die Sprengung der baufälligen Schlossruine in Berlin erfolgt am 7. September 1950, veranlasst durch die Führungsspitze der Deutschen Demokratischen Republik, besonders befürwortet von Walter Ulbricht, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates und ab 1950 Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, die Beräumung der Trümmer dauert bis zum April 1951.

Preußen musste nicht sein, schreibt Sebastian Haffner in Preußen ohne Legende. Die Welt konnte es entbehren. Es wollte sein. Niemand hatte dies kleine Land in den Kreis der europäischen Großmächte eingeladen. Es drängte sich auf, und es drängte sich ein. Aber wie es das ein halbes Jahrhundert lang schaffte – mit Geist, List, Frechheit, Tücke und Heroismus, das ist ein sehenswertes Schauspiel.

Gewalt taugt als Schauspiel nur für die oben auf den Rängen, möchte man ergänzen, nicht für die Kriegsgefangenen unten im blutgetränkten Circusrund.

So vergeht das preußische Haus Hohenzollern ungetröstet in den weiten, leeren Sandböden der armen, heimatlosen Märkischen Lande.

Die Überlebenden schreiben die Geschichte um.

Was tut man mit Greueln, wie wird man mit ihnen fertig? Aufrechnung hilft nicht weiter; Gedanken an Rache machen alles noch schlimmer. Irgendeiner muß die Seelengröße aufbringen, zu sagen: „Es ist genug.“ Daß sie dazu fähig gewesen sind, ist ein Ruhmestitel, den keiner den vertriebenen Preußen nehmen kann. Und wer will, kann die Nüchternheit, mit der sie, ohne einen Gedanken an Rache, bald auch ohne einen Gedanken an Rückkehr, sich im westlichen Deutschland heimisch und nützlich gemacht haben, eine preußische Nüchternheit nennen. Sie gibt der traurigen Geschichte von Preußens langem Sterben schließlich doch noch einen hellen Schlussakkord, schließt Haffners Preußen ohne Legende.

Sie machten das Schloss des gierigen Herrschergeschlechts dem Erdboden gleich und bauten eine neue Stadt..... mit diesen Worten enden die glücklichen Märchen.


Hier endet der 206. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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archinaut

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