In eigener Sache I

Elternhaus: Deutsch ohne Genzen - Meinen Großvater kenne ich eigentlich nur als älteren, schon weißhaarigen Herrn

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06.09.2009 der zehnte Beitrag zum Blog des archinaut: ist in die Umlaufbahn gestartet. Zeit für eine Atempause. Hier schreibt der Navigator:

Mit einem Blog-Beitrag die Grenzen zu erfassen, zu überschreiten ohne zu verletzen war nicht leicht. Wie es der Zufall will, habe ich am letzten Wochenende bei den Vorbereitungen zur Auflösung meines Elternhauses einen Aufsatz meines Großvaters gefunden:

„ Die Grenzen Deutschlands sind zweifacher Art, je nachdem sie von der Nationalität oder von der Politik gezogen sind. Deutschland hat keine von der Natur geschaffenen Grenzen; sein Grenzland war daher stetigem Wandel unterworfen.......“

Etwas später schreibt er in diesem Aufsatz von „Grenzinnendeutschen“ und „Grenzaußendeutschen“, der Aufsatz heißt "Die Betreuung der deutschen Grenzlande" und erschien im März 1937 in einer Sammlung von 14 Texten zum 60. Geburtstag des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren Dr. Wilhelm Frick, illustre Ko-Autoren wie Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich äußern sich zu verschiedenen aktuellen Themen der damaligen Zeit. Ein zweiter Text meines Großvaters beschreibt die Reorganisation des Vermessungswesens im III. Reich. Wenn ich seinen Sprachstil richtig einordnen kann, war er kein Scharfmacher, aber gewiss ein geschickter, fleißiger Ministerialdirektor. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei wechselte er dann mit der ganzen Familie nach Prag, sein Dienstsitz war oben auf der Burg, soweit ich weiß.

Von der Flucht hat meine Mutter oft erzählt: Gewarnt von freundlichen Tschechen, zu Fuß mit einem Leiterwagen, zwei Mädchen mit einer gehbehinderten Mutter, durch kalte, feindliche Landstriche, eine kurze Ruhepause im noch geordneten Erfurt, ein letzter Anlaufpunkt im Hessischen, Zuflucht im Haus von Verwandten etwas westlich vom späteren Eisernen Vorhang: so haben neue Grenzen die Zeit der Entgrenzung wieder eingeholt. In den letzten Kriegstagen fiel der Bruder als Flakhelfer bei der Verteidigung von Berlin.

Meinen Großvater kenne ich eigentlich nur als älteren, schon weißhaarigen Herrn, einen angesehenen Bürger einer kleinen Kurstadt in Hessen. Aus dem ersten Weltkrieg hat er uns viel erzählt. Wir Enkelkinder haben ihn oft gebeten, Pferde für uns zu zeichnen, das konnte er am besten.

Meiner Mutter war es immer besonders wichtig, dass ihr Vater auf der Vorbereitungsliste des Stauffenberg’schen Staatsstreichs zu finden war. Unsere Großmutter hat uns oft erzählt, dass er danach von der GESTAPO befragt wurde. Das Verhör führte ein Freund aus der Studentenzeit, und so blieb mein Großvater am Leben, hat sie uns erzählt. Die Welt erscheint manchmal sehr klein.

Für einen Moment spürte ich die Versuchung, das Laufwerk des archinaut: zu synchronisieren.

Zum Glück kam Jorge Luis Borges zu Besuch.


Hier endet der 11. Eintrag: Dieser Blog ist fiktiv und getrieben von automatischer Niederschrift. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO: Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleiben Sie dran.

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