Arbeit, die krank macht

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„Hauptsache, du hast Arbeit“ heißt es oft, so man sich Anderen gegenüber, zumal Älteren, über Streß und Zeitdruck im Beruf beklagt. Und wiegelt damit zumeist jedwede detaillierte Schilderung der Arbeitsbedingungen ab. Dabei ist dieses Problem eben alles andere als ein privates ...

Umso verdienstvoller ist es, dass das alljährlich im Frühjahr erscheinende Memorandum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, das sich nicht zuletzt als Alternativpapier zu den Gutachten der Wirtschaftsweisen versteht, ein Unterkapitel der aktuellen Ausgabe speziell den gesundheitlichen Auswirkungen einer Politik widmet, die sich der Gewinnmaximierung, dem Exportwahn und dem Marktradikalismus verschrieben hat. Unter der Überschrift „Arbeitsmarktmisere und gesundheitliche Belastung“ können wir erfahren, dass die Arbeitsintensität EU-weit und auch in der Mehrzahl deutscher Unternehmen seit 1990, wie verschiedene Untersuchungen belegen, deutlich gestiegen ist. Insbesondere in gut aufgestellten und auch gut zahlenden Unternehmen stellen diese Entwicklungen die Schattenseite von Wirtschaftsaufschwung, Flexibilisierung der Arbeit und Erhöhung ihrer Effizienz dar. Auch die von 2002 an im Zeichen von AGENDA 2010 betriebenen Arbeitsmarktreformen und die Deregulierung resp. radikale Liberalisierung der Märkte haben einen Anteil an der Beschleunigung dieser Prozesse.

Parallel und „just in time“ zu betreibende Projekte, ein nur schwer zu bewältigendes Arbeitspensum, Überstunden, scharfer Zeit- und Termindruck führen zu Belastungen und bringen viele Beschäftigte an den Rand ihres Leistungsvermögens. Dies ist beispielsweise auch im Engineering großer Unternehmen längst Realität. So sind bei einem Schienenfahrzeughersteller in der Lausitz gerade in diesem Bereich seit einigen Jahren vermehrt Fälle von Burn out-Syndrom und Depressionen zu beobachten. Und während Tarifauseinandersetzungen in der Öffentlichkeit regelmäßig thematisiert werden, bleiben die Gesundheitsrisiken infolge der Erhöhung des Leistungsdrucks nach wie vor weitgehend unbeachtet. Nicht einmal die spektakulären Selbsttötungen von Mitarbeitern der France Telecom im Jahre 2009 vermochten hierzulande eine Sensibilität für diese Frage herzustellen, geschweige denn eine öffentliche Debatte auszulösen, obgleich zur selben Zeit auch in Bezug auf deutsche Firmen gleichartige Fälle bekannt wurden. In einem Land allerdings, in dem Arbeitsmarktpolitik nach dem Gusto "Sozial ist, was Arbeit schafft" betrieben wird und ein entsprechender Sanktionskatalog greift, ist das kein Wunder ...

Die AutorInnen beziehen sich in ihrem Beitrag auf die Studien verschiedener Krankenkassen, die bei den Erwerbstätigen eine erhebliche Zunahme von psychischen Erkrankungen (Burn-out, Depressionen) attestieren. Im Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse ist z.B. zu lesen: Bei Berufstätigen haben Fehlzeiten unter der Diagnosepsychischer Erkrankungen von 2006 bis 2009 stetig um insgesamt 39 Prozent zugenommen. Und bei Erwerbslosen vermeldet dieselbe Studie eine Zunahme psychischer Störungen im Zeitraum von 2000 bis 2009 um insgesamt 107 Prozent (prekär Beschäftigte sind im Übrigen in etwa vergleichbarer Höhe von diesen Entwicklungen betroffen). Wo auf der einen Seite, der Arbeitslosigkeit, Demütigung, Ausgrenzung und Statusverlust als Krankheitsauslöser stehen, ist es auf Seiten der Beschäftigten oft genug die permanente Überforderung. Die Überforderung der einen ist die Arbeitslosigkeit der anderen und umgekehrt heißt es treffend an einer Stelle. Die Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und chronischem Streß als auch Beschäftigungsunsicherheit sind empirisch belegt. Und damit letztendlich auch, was die angestrebte höhere Effizienz pro Arbeitskraft jeden Einzelnen und unsere Gesellschaft kostet ...

Memorandum 2011. Strategien gegen Schuldenbremse, Exportwahn und Eurochaos. Herausgegeben von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, PapyRossa Verlag Köln, 2011. Zu beziehen über den Verlag oder im Buchhandel.

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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