Ostdeutscher Selbsthass? Nein ostdeutscher Furor

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Als die Schriftstellerin Monika Maron kürzlich ein Buch über Bitterfeld veröffentlichte, jenes ostprovinzlerische Bitterfeld über dessen zunehmende Verschmutzung sie in den 70er Jahren so anklagend mit ihrem Roman „Flugasche“ angeschrieben hatte, da resümierte ein Rezensent der Frankfurter Rundschau: „Und auch wenn "Bitterfelder Bogen" weit weg ist von der Darstellung eines Idealzustandes oder eines Idylls - von Monika Maron hätte man ein solches Buch dennoch nicht erwartet; ein Buch, das als Therapieversuch gegen den von den Medien potenzierten ostdeutschen Selbsthass zu lesen ist“...

Ostdeutschen Selbsthass kenne ich nicht, sondern eher einen ostdeutschen Furor, über den sich der Herausgeber dieser Zeitung, Jakob Augstein, in einem Mediengespräch so verwundert geäußert hat. Das sei doch alles zwanzig Jahre her, meinte er.

Das dachte ich ja auch. Aber in diesem Jubiläumsjahr erinnere ich mich und werde ständig daran erinnert. Vor zwanzig Jahren hatte ich überhaupt keinen Zorn, sondern fand – auch gegen weinerliche SED-Altgenossen – wir müssten lernen, auch einmal von Fremden, von Außen beurteilt zu werden und nicht komplettes Verständnis für alles und jenes einfordern. Gelassenheit sei am Platze. Da wusste ich allerdings noch nicht, wie westdeutsche Zeitgenossen auf Beurteilung von außen reagieren. Die Goldhagen-Debatte stand noch aus.

Osttrotz fand ich damals übertrieben
heute nicht mehr

Damals schon war "Freitag"-Mitherausgeberin Daniela Dahn zugange mit dem Osttrotz und ich wollte ihr in dieser Intensität eigentlich gar nicht folgen. Aber jetzt – nach zwanzig Jahren – bin ich genau dort angekommen. Und zwar nicht durch ständige Beeinflussung durch ostdeutsche Lehrer, die in mir das Gefühl nährten, ich gehörte zu den Besiegten, wie Monika Maron in einer Preisrede andeutet, sondern durch eine westdeutsch bestimmte und herbeigezeterte Ostalgie, die mich restlos ratlos, ohnmächtig und zornig macht.

Wer beschwört denn die DDR andauernd wieder herauf? Ein DDR-Bürger doch nicht, der hin und wieder meint, sein Arbeitsplatz sei sicher gewesen und die Kinder hätten keine Drogen genommen, der manchmal die Zwänge der Gegenwart mit den Zwängen der Vergangenheit in Beziehung setzt und nicht immer zu den gewünschten Resultaten kommt (Freiheit, Freiheit, ist das Einzige was fehlt“)

Neue Bundesländer als
„Bad Bank“ der Gesellschaft

Heraufbeschworen wird die alte DDR, wenn es darum geht Probleme, die die gegenwärtige Gesamtgesellschaft betreffen und belasten, in den Osten abzuschieben. Die ostdeutschen Bundesländer – mit ihren Wurzeln der ehemaligen DDR – sie sind die „Bad Bank“, in die die Gesellschaft der bundesdeutschen Mitte ihre dunklen Seiten entsorgt.

Keine Sorge, ich leugne nicht, dass es im Osten prozentual verstärkt Neonazis gibt, aber die sind einmal aus dem Westen sehr ermutigt worden und als die ersten Aufmärsche im Osten waren, hat man denen im Osten erklärt, sie müssten lernen, dass zur Demokratie auch diese polizeilich geschützten rechten Aufmärsche gehörten.

Eine Art von materialisierter „Totalitarismus-Doktrin“, das sind die neuen Bundesländern nach dem Willen mancher definitionsmächtigen Zeitgenossen. Was sich an diktatorischen, autoritären, undemokratischen Strukturen findet, ob rechts oder links, alles, alles hat seine Ursprünge in der DDR. Die vergangenen zwanzig Jahre haben nichts an Erleuchtung gebracht, weswegen man die Freiheitsbeschwörungen und die Erziehungsprogramme verstärken muss.

An der Erziehung der alten DDR liegt es, dass die Menschen fremdenfeindlich sind, in der Erziehung der alten DDR liegt es, dass sie gewalttätiger geworden sind, in der Erziehung der DDR liegt es, dass sie kirchenfremder und entbürgerlicht sind. Rechtes Gedankengut hat schnell Eingang gefunden – wegen der alten DDR. Und – Totalitarismusdoktrin hallo - Linkes Gedankengut hält sich hartnäckig und – wie passend – ebenfalls wegen der alten DDR. Ist das nichtbequem und einfach. Nicht die gegenwärtigen Verwerfungen sind schuld, sondern totalitäre Erziehung an sich. Die verdirbt die Ostdeutschen und macht sie zu einem herrlichen Projektionsfläche für viele geleugneten Probleme.

Das Beispiel des Pfarrers Neuschäfer

Im vergangenen Jahr gab es ein Riesenmedien-Echo, weil der evangelische Pfarrer Neuschäfer aus Westdeutschland sein Tätigkeitsgebiet in Rudolstadt verließ, wie er angab, sehr schnell, weil er wegen seiner indischstämmigen Frau ständig angepöbelt worden ist.Die Medien stürzten sich darauf. Alle Erklärungsversuche wurden als typische Beschönigung abgeschmettert. Die ARD meldete eine Art Nacht- und Nebel-Flucht. Sie hat sich später für diese verkürzte Sicht entschuldigt. Dass es seit Jahren ein internationales großes Liederfestival in Rudolstadt gibt, mit beachtlichtem Zuspruch, wurde noch nie erwähnt, hingegen die Irritation um Neuschäfers Abgang allerorten. Auch er – der gern die Erwerbsneigung der Frauen im Osten und den Verfall der Familien brandmarkte - forderte, es sei dringend die DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten, weil sie – wie das Dritte Reich - Ursache sei für die ihm wiederfahrende Diskriminierungserfahrung. Da ist sie erneut, die Totalitarismusdoktrin!!.

Bis zu den bestürzenden Ereignissen um einen aus Angola stammenden Kreistagsabgeordneten der CDU in Hildburghausen hat überhaupt niemand in den Medien davon Kenntnis genommen, dass einer mit seinem Hintergrund in einem ostdeutschen Parlament wirken konnte. Seit Jahren gibt es einen indischstämmigen deutschen Bürgermeister in einem Brandenburger Ort, der jetzt auch in den Landtag gewählt wurde. Der Integrationswillen vietnamesischer Bürger wird – hin und wieder – mit der guten Ausbildung, die sie in der DDR genossen haben, erklärt. Ansonsten ist immer nur die Rede von Ausgrenzung, Isolierung.

Durchaus in der DDR begangene Fehler werden in den Vordergrund gestellt, als hätte es die – fast an KZ-Musterungen - erinnernden Bilder von der medizinischen Untersuchung türkischer Gastarbeiter in den 60er Jahren nicht gegeben. Es muss alles am Beispiel Ost abgehandelt werden, alles.Die Fremdenfeindlichkeit – sie ist kein ostdeutsches Spezialproblem. Heute wurde ein Interview mit Uwe Karsten Heye von der Aktion „Gesicht zeigen“, auf Deutschlandradio Kultur gesendet. Auch der ehemalige Regierungssprecher verwies energisch auf diese Tatsache. Auf irgendeine wundersame Weise geraten Ausschreitungen in Taucha bei Leipzig und Mülsen schneller und umfassender in die Medien als die von Hamburg oder München.

Nein, das ist keine Entschuldigung

Noch einmal nein, das ist keine Entschuldigung, es gibt sie beängstigend, die Neonazis in Ostdeutschland. Man muss sie gemeinsam bekämpfen und nicht durch Bezichtigungen alle Kraft für diesen Kampf in die falschen Kanäle lenken.

Rechtes Denken und rassistische Haltungen finden sich auch in den alten Bundesländern, aber dort werden sofort all die Entlastungsargumente eingesetzt, die man im Osten als Verdrängung oder Beschönigung brandmarkt. Und – man führt dort eine andere, verdecktere Sprache, vor allem wenn so etwasin der Mitte der Gesellschaft verhandelt wird. Hier nur ein Beispiel: tinyurl.com/mdl5ew

Die Debatte um
Hans-Ulrich Wehlers DDR-Sicht

Als vor kurzem der Wissenschaftler Hans-Ulrich Wehler den fünften Teil seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte vorlegte, da meldete sich Monika Maron mit einer sehr ungehaltenen Meinungsäußerung. „Kein Land ohne Innenleben“, so die Reaktion der jeder Art von Ostalgie Unverdächtigen auf die Art, der DDR-Behandlung in diesem Buch. Sie schrieb in der FAZ: „Von dem geistigen und emotionalen Innenleben der DDR findet sich in Wehlers Geschichtsschreibung nichts. Im Personenregister tauchen außer den Namen der Machthaber und ihrer innerparteilichen Kontrahenten von Ulbricht über Schirdewan bis Krenz und Gysi gerade einmal Havemann und Biermann auf. Selbst Stefan Heym, der ihm im Text immerhin als Zitatengeber dient, ist im Register wieder verschwunden. Weder Ernst Bloch noch Hans Mayer, noch Harich und Rudolf Bahro, kein Schriftsteller, nicht einmal der bedeutendste, Uwe Johnson, weder Bertolt Brecht noch Heiner Müller sind ihm einen Gedanken wert, kein Film, einfach gar nichts. Und so bleibt eben nichts als Sultanismus, Feigheit, Dummheit, Brutalität und Knechtschaft, eine fast überflüssige Fußnote eben.“ Zu diesem Format ist die DDR in Wehlers Buch geworden.

Eine Fußnote als
antikommunistische Reserve

Ein Land wird zu einer Fußnote als antikommunistische Reserve, jede normale Erinnerung daran verteufelt. Aber es wird ständig auf den Plan gerufen, nicht von Ostdeutschen, nein von der westdeutschen Politik, von den Medien, wenn es gilt, einen finsteren Hintergrund für die eigene strahlende Verfasstheit zu bilden. So charakterisiert auch Martin Sabrow vom Zentrum für zeithistorische Forschung die gegenwärtige Haltung, wie sie in der triumphalistischen Gegenwart und nicht nur bei Wehler deutlich wird: „Die DDR und auch ihre Gesellschaft taugen für Wehler nur als Kontrast für das erfolgreiche Land westlich der Elbe. Für den Jahrgang 1931, ganz und gar im Westen sozialisiert, bleibt die Bundesrepublik der einzige Maßstab.“

Wenn man aber einen Maßstab anlegen will, dann braucht man auch eine zur Warnung taugliche Abweichung vom Maßstab: Und da liegt sie – die seltsame West-Ostalgie, der feste Wille, die DDR Endzulagern, eigene unbequeme Wahrheiten dazu zu tun und das alles möglicherweise mitdem Gedanken, dass eine hohe Halbwertzeit auch die ständig neue Beschwörung der „Gefahren aus dem Osten“ gewährleistet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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