Schulgeschichten I

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Bekenntnisfragen

Als ich in die Schule kam, war meine Mutter krank. Das war im Jahre 1952 in Leipzig. Unsere Untermieterin – eine alte Flüchtlingsfrau -brachte mich nebst einer bescheidenen Schultüte zur Einschulung und es begann ein Abenteuer mit sehr wechselnden Episoden. Zuerst war ich ein braves, recht angepasstes Kind, konnte sehr schnell schreiben, lesen und rechnen und fiel nicht weiter auf.

Aber bald kamen wir – weil meine Mutter einen Bekenntnisdrang hatte – in Konflikt mit der Schule. Meine Mutter bestand darauf, dass unser katholischer Glauben öffentlich wurde und ersuchte – bei entsprechenden Feiertagen – um Befreiung von der Schule.Fronleichnam zum Beispiel war so ein Feiertag. Fromm sein und auch noch frei kriegen, das fanden weder die Lehrer so richtig gut noch die Klassenkameraden, also gabs Ärger. Der Lehrer – ein sehr junger Mensch, der uns manchmal von seiner Flakhelferzeit erzählte – sprach mit eisiger Stimme, ich solle mir mal folgendes merken: Erst käme die Schule, dann käme noch mal die Schule dann lange lange nichts und dann käme vielleicht die Kirche, die sowieso bald abstirbt. Das war sein Bekenntnisbeitrag, mehr in die allgemeine politische Landschaft hineingerufen, schien mir, denn eigentlich waren er und alle in der Schule ganz in Ordnung. Meine Mutter diskutierte denn auch – außerhalb der Schulmauern - mit der Schuldirektorin über Toleranzfragen und all so einen Kram. Ich wurde währenddessen rebellisch, aber auch nicht in eine bestimmte Richtung. Ich trotzte meiner Mutter ab, dass ich in die Jungen Pioniere eintreten darf, damit mal Ruhe ist, sie setzte durch, dass ich nicht zur Jugendweihe ging usw. Wobei ich damit ganz einverstanden war. Aus meiner von der katholischen Jugend geprägten Sicht war das dann schon ganz in Ordnung.

Geschwisterliebe

Viel mehr als unter der Schule, die ich immer mehr so nebenbei abhandelte, litt ich unter meinem älteren Bruder, der ein schulbekannter Raufbold, ein "Problemkind" und ein Angeber war. Schon zu Hause gab es beständige Raufereien, bei denen ich – ihm körperlich sehr unterlegen - dennoch obsiegte, durch hinterhältige Bisse in den Hintern, zum Beispiel. Hin und wieder kam er mir ungebeten zur Hilfe, dadurch aber auch ins Gehege. Ich hatte Zoff mit einer Klassenkameradin und erzählte ihm dummerweise davon. Daraufhin setzte er sie in die – mit Küchenresten gefüllte – Abfalltonne. Ich musste das dann wieder ausbaden.

Geordnetes Schulschwänzen

Sehr oft fehlte ich in der Schule, meine Mutter schrieb zur Entschuldigung auf, was ich ihr vorschlug. Ich war ein faules Stück, die ganze Schulzeit lang. Alles, was ich behalten habe, ist gewissermaßen freiwillig bei mir geblieben, angeeignet habe ich mir nichts. Ich hatte Glück, ich las meist ein Gedicht zweimal durch und konnte es dann auswendig.

Das wurde meine Lebensmaxime: Bloß nichts erzwingen, das wird nischt und ich bin gut damit gefahren.

Unterschiedlichste Lehrer

In der Schule spürte man sehr deutlich die höchst unterschiedlichen politischen Auffassungen der Lehrer und meist nach den großen Schulferien kam einer nicht wieder. Der Geschichtslehrer zum Beispiel, der uns immer „ provokative“ Aufgaben mitgab: Zum Beispiel "Was wir von den Mönchen lernen können" oder der disziplinversessene Zeichenlehrer – sie verschwanden in Richtung Westen. Auch einer, der die Mitschüler noch schmerzhaft an den kurzen Nackenhaaren zog - was eigentlich in der Schule schon verboten war, wie alle körperliche Züchtigung - zog es vor, in Richtung Westen zu verschwinden.

Andere hielten sich strikt aus allem raus. Eine neue Geschichtslehrerin konnte fesselnd erzählen, ich erinnere mich noch heute an ihre Geschichte einer Handwerksfamilie und deren Untergang durch das Manufakturwesen. Sehr lebendig, ich fühlte mich da nicht wirklich eingeengt, abgesehen davon, dass Schule sowieso lästig war. Aber was ich nicht erinnere war, dass die Schule ein Ort umfangreicher Repression gewesen war. Zwänge gab es, aber die Lehrer waren auf ihre Weise alle lebendige Menschen.

Flucht vor der Schule

Sehr bald floh ich ohnehin vor der Schule – ins Schwänzen, in Bücher, wobei ich alle Sorten las. Aus der Bibliothek auch über tapfere Pioniere und Komsomolzen, aus dem katholischen Pfarrhaus Mädchenbücher und Abenteuerbücher, alles, was ich kriegen konnte. Als nächstes kam die Musik. Eine unglückliche Liebe, wie ich in einem anderen Blog schon erzählt habe. Und tief drinnen hatte ich einen durch viel Albereien und Juxerei zugedeckten Drang ins Gefühlvolle und Melancholische. Erst jetzt, da sich die ehemaligen Mitschüler treffen, bestätigen sie mir, dass sie auch das schon damals gesehen hätten.

(Fortsetzung angedroht)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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