S21: Stresstest für Demokratie und Rechtsstaat

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Ich nenne es einfach mal Identitätskrise, was im Stuttgarter Widerstand gerade stattfindet. Dass der Technikfaschismus Hand in Hand mit der herrschenden Kaste die Barbarei21 ohne jede Rücksicht und Moral weitertreiben würde, war vorauszusehen, wenn man sich nicht selbst die Augen verschloss, um seine Utopien weiter träumen zu können – womit ich nichts gegen die Notwendigkeit sagen möchte, auch träumend Realität weiter zu treiben.

Jedenfalls ist Stuttgarts Kern, den der Widerstand retten wollte, jetzt geschändet und zerstört. Geschichtliches Erbe, Träume und Erfahrungen, die uns vergangene Generationen als Geschenk und/ oder Erblast hinterlassen haben ist unwiderruflich vernichtet. Und wie schon bei der Tradition der „Bücherverbrennungen“ , die in jener der Nazis am 10. Mai 1933 gipfelte, wurden hier nicht nur Geist, Kultur und Erinnerung vernichtet, sondern auch Moral und jener Bereich des „Rechts“ zerbrochen, das hinter und über Gesetzen und Juristereien (Winkeladvokatentum) steht.

Mehr noch: Während wir aus der deutschen Geschichte mit Sicherheit wissen, dass auf die Verbrennung von Büchern die von Menschen folgt, können wir bei Stttgart21 mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass in dem mit Ausnahmegenehmigungen gepflasterten Stuttgarter Tunnel-Wahn-System früher oder später Menschen brennen und elend krepieren werden. Wer an dem Projekt in seiner jetzigen Form festhält, will dies ganz bewusst in Kauf nehmen. Auch Kretschmann und Hermann. Auch sie stellen sich – wie die Faschos aus der „S“PD – damit in die Tradition der Menschenvernichtung aus Profitgier.

de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCcherverbrennung

de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCcherverbrennung_1933_in_Deutschland

Damit ist eine Grenze überschritten worden, die eine menschliche Gesellschaft nicht - jedenfalls nicht ohne große Not - überschreiten darf. Und das hat den Stuttgarter Widerstand – zu Recht – in seinem Kern getroffen. Gerade für die bürgerliche Mitte, die diesen Widerstand zumindest in seiner öffentichen Erscheinung prägt und trägt, ist dieser Zivilisationsbruch nicht vorstellbar und schon gar nicht hinnehmbar. Erst recht nicht, wenn er von einer täglich krimineller werdenden Regierung vollzogen oder geduldet wird, deren grüner Teil in der Erwartung von Wahrheit und Klarheit gewählt worden ist. Und es ist auch nicht das Scheitern, das dem grünen Teil der Regierung angelastet würde. Es ist das miese, mafiöse und postdemokratische Geeiere, Gewinde und Gelüge des Herrn Kretschmann, das für jeden, der meinte, der Faschismus und sein Gedankengut seien hierzulande mittlerweile überwunden, unerträglich ist. Der Mann fällt mental in übelste Weimarer Denkstrukturen zurück, wenn er zur Frage der Demokratie emittiert. Mal abgesehen davon, dass er für seine widerwärtigen Betrügereien auch noch Hannah Arendt missbraucht, die sich dagegen nicht mehr wehren kann.

Gut, ich wiederhole mich. Aber vielleicht ist dies ja auch nötig, um durchzudringen. Und die Lerntempi sind ja auch unterschiedlich. Auf einer neuen Erkenntnisstufe bewegt sich jedenfalls die neue Gesamtschau: Der Prozess, den der Stuttgarter Widerstand von den anfänglichen Montagsdemos (beginnend mit ca. 4-5 Teilnehmern) über die Großdemos nach dem Abriss des Nordflügels des Bonatzbau, Gewaltexzessen des Staates, „Schlichtung“, Landtagswahl, „Stresstest“ und „Volksentscheid“ durchlaufen hat, war ein Stresstet der hiesigen Demokratie und des hiesigen Rechtsstaates, der in dem zentralen Glauben stattfand, dass unser System (noch) demokratisch und von Recht und Gerechtigeit getragen ist, friedlichen Interessenausgleich zulässt und der Vernunft zugänglich ist.

Stand heute: Solches scheint nicht (mehr) möglich. Chance heute: das Projekt scheitert an seiner eigenen Unzulänglichkeit – hoffentlich nicht in einer Katastrophe. Mögliche extreme Optionen heute: Resignation oder Gewalt (als Fortsetzung bürgerlicher Demokratie mit anderen Mitteln). Es sei denn, der Blick reicht über Bahnhof, Park, Stuttgart und den Stand heute hinaus. Dann mag man weiter nach anderen/ neuen Wegen suchen. Mögliche Fragestellungen heute: Wie soll man es mit den gegebenen Parteien halten ? (Wird jetzt die Linkspartei die neue politische Speerspitze?) Wie kann außerparlamentarischer Widerstand sich organisieren, um besser durchhalten und mächtiger werden zu können? Wie kann das Durchregieren der herrschenden Kaste klug und effektiv gestört werden? Kann die Basis des Widerstandes erweitert werden und wie? Wie und in welche Richtung muss sich der Horizont des Stuttgarter Widerstandes erweitern? Und ganz aktuell und konkret: Wie hält man es bei der OB-Wahl im Herbst?

Und genau diese Debatte hat jetzt in Stuttgart begonnen. Am 17. März 2012 soll es einen „Großen [basisdemokratischen] Ratschlag“ unter dem Thema „Perspektiven für Stuttgart“ geben. Bereits am 12.03.2012 fand im Anschluss an die Montagsdemo eine Diskussionsveranstaltung im Stuttgarter Gewerkschaftshaus mit Jutta Dithfurth, Bernd Riexinger, Jens Löwe und Thomas Puls unter dem Titel „Stuttgart 21 ist überall“ statt. Diese Debatte befasste sich mit den ganz zentralen Themen um den Themenkomplex Kapitalismus und Demokratie und schaute dabei auch über den regionalen und nationalen Tellerrand hinaus. Sie dürfte daher für alle interessant sein, die nach Wegen des Widerstandes gegen die aktuell herrschenden Verhältnisse suchen.

Fluegel.tv hat die Veranstaltung aufgezeichnet:

1. Teil 1 mit Einführung von Henning Zierock

vimeo.com/38416020

2. Teil 2 Podiumsdiskussion

vimeo.com/38465148

3. Teil 3 mit Einbeziehung des Publikums

vimeo.com/38465607

4. Teil 4 Abschlussdiskussion

vimeo.com/38466514


Hinweis zum Großen Ratschlag:

www.bei-abriss-aufstand.de/

Siehe auch die „Kretschmann“-Debatte bei der kontext:wochenzeitung:

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/02/gruene-kreidefresser/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/02/weiter-kaempfen/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/02/kahlschlag-als-rache/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/02/das-laehmende-gift/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/02/stoert-der-buerger/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/03/unser-kretschmann/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/03/pflicht-zur-macht/

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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