Viele kleine Schritte: Nun auch NRW gegen die Residenzpflicht

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Da wurde gestern sehr genau in Richtung Düsseldorfer Landtag geschaut: Was wird mit dem rot-grünen Antrag zur Abschaffung der Studiengebühren? Die rot-grüne Minderheitsregierung hat die ursprünglich geplante direkte Abstimmung dann aber vertagt, für eine erste Kraftprobe war es offenbar noch zu früh.

Vor allem, weil es noch Beratungsbedarf mit der Linken gibt, auf deren Stimmen SPD und Grüne in dieser Frage setzen, die aber eine weitergehende Forderung verfolgt. „Die Koalition war nicht bereit, unseren Änderungsvorschlägen zuzustimmen, eine Abschaffung spätestens zum Sommersemester 2011 und einen finanziellen Ausgleich für die Hochschulen vorzusehen“, erklärte Özlem Demirel von der Linksfraktion. „Deshalb hätten wir den Antrag von SPD und Grünen abgelehnt.“ Die Fraktionen wollen das Thema nun erst einmal im Wissenschaftsausschuss des Landtags weiter beraten und nach der Sommerpause einen neuen Versuch starten.

Am späteren Abend zeigte das Düsseldorfer Parlament dann aber doch noch, wozu eine rot-rot-grüne Stimmenmehrheit in der Lage ist: Der Landtag verabschiedete einen von der Linken vorgelegten Antrag, mit der in Nordrhein-Westfalen die umstrittene Residenzpflicht von Asylbewerbern und Geduldeten de facto aufgehoben wird. „Asylbewerber und Geduldete sollen sich erlaubnisfrei im gesamten Gebiet des Bundeslands Nordrhein-Westfalen aufhalten dürfen“, heißt es in der Vorlage, der SPD und Grüne geschlossen zustimmten, nach dem ein Passus aus der Antragsbegründung auf Wunsch von Rot-Grün gestrichen worden war. „Die Landesregierung wird daher insbesondere dazu aufgefordert, alle Möglichkeiten für eine Lockerung der räumlichen Beschränkungen, denen Asylbewerber und geduldete Ausländer im Land NRW aufgrund des Asylverfahrensgesetzes und des Aufenthaltsgesetzes unterliegen, auszuschöpfen.“ Die Erteilung der so genannten Verlassenserlaubnisse („Urlaubsscheine“) soll künftig „weitgehend im Sinne der Antragsteller gehandhabt“ werden.

Wie die rot-grüne Minderheitsregierung, ihr neuer Innenminister Ralf Jäger von der SPD, vor allem aber der „Apparat“ diese Parlamentsentscheidung umsetzt, wird sich zeigen. Ungeachtet dessen ist die Zustimmung ein weiterer Schritt auf dem mühsamen Weg zu einer bundesweiten Abschaffung der Residenzpflicht.

In Brandenburg hatte die rot-rote Landesregierung bereits Anfang des Monats per Kabinettsverordnung entschieden, die EU-weit einmalige Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen für die dort knapp 1.200 Asylbewerber aufzuheben. Auch das rot-grün regierte Bremen will die Regelung kippen - einen entsprechenden Gesetzentwurf haben SPD und Grüne in die Bürgerschaft eingebracht. In Niedersachsen hat die Linkspartei in den Landtagen einen entsprechenden Vorstoß unternommen, die Linksfraktion im Bundestag will die Residenzpflicht ersatzlos streichen. In Schleswig-Holstein fordern Grüne, SPD und SSW eine Abschaffung, die Linksfraktion in Kiel setzt sich für die Gebührenfreiheit bei den Urlaubsscheinen ein. Auch die sächsische SPD setzt sich inzwischen für ein Ende der Residenzpflicht für Flüchtlinge ein.

Der sozialdemokratische Bundesvorstand hatte sich im Juni für „die grundsätzliche Abschaffung der heutigen Residenzpflicht“ ausgesprochen, will aber an einer Wohnort-Regelung festhalten. Ohne diese sei "zu befürchten dass es zu einer besonders hohen finanziellen Belastung der urbanen Ballungszentren kommt“, heißt es bei der SPD. Allerdings trete man für eine „neue Freizügigkeit“ ein, die nur noch in Einzelfällen eingeschränkt werden soll.

Für eine komplette Streichung der Residenzpflicht hatten sich im Frühjahr im Rahmen einer Online-Petition beim Bundestag über 11.000 Menschen eingesetzt, die Eingabe befindet sich derzeit in der „parlamentarischen Prüfung“. Mit dem am Donnerstag beschlossenen Antrag in Nordrhein-Westfalen wird nun auch eine Bundesratsinitiative wahrscheinlicher. Länder wie Baden-Württemberg lehnen Vorstöße wie jenen aus Brandenburg zwar bislang ab. Aber die Front der Gegner wird langsam breiter. Was nicht zuletzt mit einem sich langsam verändernden öffentlichen Klima zusammenhängt. Waren es erst vor allem Initiativen gegen die Residenzpflicht, die sich seit Jahren gegen die Regelungen stark machten (etwa hier und hier), wird die „Gefangenschaft im Asyl“ heute selbst von Zeitungen kritisiert, die bisher nicht als besonders flüchtlingsfreundlich aufgefallen sind.

Einen Überblick über das Ausmaß der Residenzpflicht in Deutschland hatte unlängst eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zutage gefördert: Nach der Antwort der Bundesregierung unterlagen Ende Mai 2010 bundesweit über 126.000 Menschen den räumlichen Aufenthaltsbeschränkungen. Schwarz-Gelb sieht diese weder als politisch noch juristisch fragwürdig an: „Das Bundesverfassungsgericht hat die räumliche Beschränkung und ihre Strafbewehrung in vollem Umfang für verfassungsmäßig erklärt“, heißt es in einem Schreiben des Innenministeriums vom Juni. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe die Regelung für zulässig erklärt. Es bestehe daher kein Anlass, „das grundsätzliche Festhalten an den Regelungen zur räumlichen Beschränkung“ aufzugeben.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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