Vor dem Kanzleramt: Rot-Rot-Grün und die Atomdebatte

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Mit der Ausrufung ihres dreimonatigen Moratoriums für die Laufzeitverlängerung wird Schwarz-Gelb die atompolitische Debatte nicht eindämmen können. Im Gegenteil: Am Montag mobilisierte die Entscheidung der Regierung erst recht die Menschen zu den über 400 Mahnwachen gegen Atomkraft. Bundesweit nahmen über 100.000 Menschen daran teil, vor dem Kanzleramt in Berlin fand sich beinahe die komplette rot-rot-grüne Prominenz ein.

Das hatte schon etwas Symbolisches an sich, auch wenn die Parteispitzen nicht immer gute Mine zum gemeinsamen Spiel machten. Noch in dieser Woche wird die Opposition Anträge zum Ausstieg aus der Atomenergie im Bundestag zur Abstimmung stellen, ob es diesmal, wo schon die Mehrheit im Parlament fern liegt, wenigstens zu gemeinsamen Initiativen reicht, bleibt abzuwarten. Die Anti-AKW-Bewegung wird ihre Proteste auf jeden Fall fortsetzen, im Gespräch sind nun vier Großdemonstrationen am Vorabend der Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Wenn mit Blick auf die Frage einer Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linken zu Recht immer davon die Rede war, dass arithmetische Umfragemehrheiten dazu nicht ausreichen, sondern es eine gesellschaftliche Stimmung geben müsse – der politische Atomkonflikt trägt womöglich einen Teil dazu bei.

Linkenchefin Gesine Lötzsch machte am Montagabend vor dem Kanzleramt „SPD und den Grünen das Angebot: Lasst uns das Trennende zurückstellen. Lasst uns gemeinsam gegen die Atom-Parteien und gegen die Atomlobby kämpfen“. Zuvor hatte ihr Ko-Vorsitzender Klaus Ernst zwar noch an die Schwächen des rot-grünen Kompromisses von 2001 erinnert. Die atompolitische Debatte wird aber auch von Oskar Lafontaine als Brücke zu gemeinsamem Koalitionen betrachtet, oder jedenfalls als Möglichkeit, angesichts der medialen Zuspitzung auf Schwarz-Gelb versus Rot-Grün politisch im Gespräch zu bleiben. Der genesene Ex-Parteichef sagte in der Saarbrücker Zeitung, ein Regierungswechsel in Baden-Württemberg sei nur mit der Linken sicher. Die angedeutete Offerte der SPD für Rot-Rot-Grün hält Lafontaine für glaubwürdig, „weil die Sozialdemokraten – siehe Hessen und Nordrhein-Westfalen – keine guten Erfahrungen gemacht haben, vor Wahlen eine Zusammenarbeit mit der Linken auszuschließen“. Gerade für eine neue Energiepolitik im Südwesten werde die Linke gebraucht, „weil sie nicht mit der Atomlobby im Bett liegt“. Klaus Ernst brachte Volksentscheide über die Atomkraft auf Landesebene ins Spiel, diese sollten zunächst in Baden-Württemberg und Bayern durchgeführt werden, dann auch in den anderen Ländern mit AKW-Standorten.

Im Brennpunkt bleibt zunächst aber das Merkelsche Moratorium vom Montag. SPD-Chef Sigmar Ggabriel sprach von einem „Trick, um über die Landtagswahlen zu kommen“. Die Vorsitzende der Grünen Claudia Roth vermutete, die Kanzlerin wolle mit ihrer Entscheidung nichts aussetzen, sondern die Debatte aussitzen. Ähnlich äußerte sich die Spitze der Linken. Die energiepolitische Sprecherin der Linskfraktion, Dorothée Menzner, sagte, eine Aussetzung der Laufzeitverlängerung könne nur ernst meinen, wer „sofort die Abschaltung des AKW Neckarwestheim I“ veranlasst. „Ansonsten sind die atompolitischen Verrenkungen der Koalition nichts als das Auftragen weißer Salbe.“

Es könnte nun sein, dass tatsächlich unter dem Druck der Ereignisse einige alte Meiler vom Netz genommen werden. Ein Beschluss zu Neckarwestheim soll noch am Dienstag gefasst werden. Schon reiben sich viele die Augen, dass plötzlich binnen Tagen möglich sein soll, was gestern noch bei der Regierung als falsch galt. Ein größeres Umdenken wird man Merkel aber nicht attestieren können, noch am Montagabend erklärte sie, nicht zum rot-grünen Ausstieg von 2001 zurückzukehren.

Und doch scheint sich hier ein politischer Spielraum geöffnet zu haben, die Möglichkeit zu einer Art hegemoniepolitischen Verschiebung, die in der Atomdebatte ihren Motor findet, etwas, das 2001 noch gefehlt hat, eine Mehrheit nicht nur in Wahlen, sondern auch in Aktion, im alltäglichen Denken. Es ist eine Chance, mehr nicht. Eine, in der die unterschiedlichen Akteure, Parteien wie Bewegungen, ihren Platz haben, wo aus der unterschiedlichen Reichweite eine Spannung resultiert, die das Ganze voranbringen könnte. Die Opposition, nicht nur die parlamentarische, müsste in jedem Fall jetzt über den rot-grünen Ausstieg hinaus mobilisieren – das könnte SPD und Grünen die Glaubwürdigkeit verschaffen, aus den Fehler von einst gelernt zu haben, und wird von der Linken, von den Anti-AKW-Initiativen und von der Bevölerung ohnehin gefordert. Und: Die Parteien sollten nicht nur auf die Landtagswahlen schielen. Auch 1986 hatte es kurz nach Tschernobyl eine Wahl unter dem Eindruck der Endlager-Diskussion gegeben – in Niedersachsen erlitt die Union damals zwar Verluste, konnte aber weiter regieren.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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