Trudys Testberichte

Spam-Kolumne Um glaubwürdig zu wirken, greifen Spammer immer öfter auf Techniken des seriösen Journalismus zurück. Nicht zu dessen Vorteil

Man sollte Spam-E-Mails als Pflichtlektüre für Journalisten und Reklamefachleute einführen. Sie sind die vorbildlichsten Indikatoren für diejenigen rhetorischen Mittel, derer man sich als seriöser Schreiber besser nicht mehr bedienen sollte. Ihr Gebrauch durch Spammer blamiert die Technik der Aufmerksamkeitsbuhlerei bis auf die Knochen: Wer viel Spam-E-Mails liest, erkennt bald auch in jedem Zeitungsartikel und jeder handelsüblichen Annonce dieselben elenden Versprechen von Exklusivität, Billigpreisen sowie diversen Formen der Potenzsteigerung. Über kurz oder lang wird sich die Masse also nicht mehr so einfach verführen lassen; die ersten Anzeichen dieser Glaubwürdigkeitserosion sind ohnehin längst sichtbar. Natürlich auch in Spam-E-Mails: Mit schlichten Sie-wurden-ausgewählt-Slogans versuchen heute nurmehr Online-Casinos, Kunden zu gewinnen (doch davon ein anderes Mal …).

Stattdessen fälschen Spammer mittlerweile lieber die journalistischen Techniken als solche. Sie gelten ihnen immerhin teilweise noch als Ausweis für Seriosität: Diejenigen Werbemails, die unter dem Link auch (echte oder erfundene) Nachrichten bereitstellen, die im typisch elliptischen Überschriften-Stil von den Iran-Plänen der USA, von medizinischen Forschungsergebnissen und den jüngsten Börsenereignissen berichten, halten sich im Übrigen ähnlich kurz, reden vor allem von Qualität, zitieren gern irgendwelche Statistiken und benutzen keine Ausrufezeichen. Die meisten davon werben für Medikamente. Die Nachrichten sind tatsächlich nur ästhetische Zugabe, ein Nebentext, der das edle Etikett digital substituiert.

Auch die Blogossphäre bliebt nicht verschont

Die Uhren-Spammer dagegen haben gerade die Imitation von Testberichten und Kundenerfahrungen für sich entdeckt. Zahlreiche Onlineshops werden empfohlen – allerdings nicht von diesen selbst, sondern von glücklichen und zudem auf der ganzen Welt beheimateten Käufern. "Lois Plummer (UK)", "Trudy Vickers (Norway)", "Dwayne Patterson (FR)", "Junior Spicer (US)" und "Orion Corbett (US)" sind voll des Lobes für die beiden Armbanduhren, die sie letzte Woche in diesem oder jenem Shop erworben haben – und benutzen dafür sogar exakt dieselben Worte! Das zeugt von einer wahrhaft gleichförmigen, ja gleichsam standardisierten Zufriedenheit dieser Kunden.

Die Demokratisierung der publizistischen Öffentlichkeit, die einst mit solchen Testberichten vermeintlicher Durchschnittskunden begann und gerne zur eigenen Glaubwürdigkeitssteigerung benutzt wurde, entwickelte sich freilich fort. In der jüngsten Zeit, man weiß es, hat sich der Verbraucherjournalismus gleichsam selbst outgesourct und dabei generalisiert.

Nun nennt er sich Blogosphäre, und die Nutzer berichten in eigener Regie und auf eigene Kosten, was sie von den Produkten dieser Welt – seien es nun Medien, Kochrezepte oder Apple-Zubehör – halten. Dass die alternative Öffentlichkeit als potenzielle Werbeplattform eine keineswegs kleinere Rolle spielt als die dort heftig geschmähten "Main Stream Media", wissen Spammer ebenfalls – womit wir wieder einmal bei der sagenumwobenen Acai-Beere wären: Für dieses alternative Heilprodukt wird nämlich seit neuestem mit Internetadressen geworben, die sich als Blogs ausgeben. Das bedeutet naturgemäß nicht das Ende des Graswurzeljournalismus. Aber es sagt doch einiges über den Ruf, den Blogs mittlerweile haben. Offenbar sind sie gerade im Begriff, ihren Authentizitäts-Vertrauensvorschuss einzubüßen.

In ihrer Kolumne öffnet uns Katrin Schuster regelmäßig den Blick in die Abgründe und Absurditäten der elektronischen Post. Letztes Mal beschäftigte sie sich mit dem veflixten Wörtchen Du

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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