Mut zur Lücke

Spam-Kolumne Schtzngrmm: Was dem Dichter Ernst Jandl Recht war, kann den Spammern nur billig sein. Und die Hirnforschung haben sie auch auf ihrer Seite, Vrdmmt!

Wenn wilde Jungpferde über eine dürre Prärie galoppieren, dreitagebärtige Cowboys am Lagerfeuer zusammensitzen und Männlichkeit in ihrer US-amerikanischsten Form zelebriert wird, weiß man, welche Zigarettenmarke mit diesen Bildern gemeint ist – sogar ohne, dass deren Name auf der Leinwand erscheint. Auf das menschliche Gehirn ist eben Verlass: Was es kennt, erkennt es eben, und füllt Leerstellen und Fehler notfalls mithilfe des eigenen Bewusstseins auf. Diese Fähigkeit, das Ausgelassene sinnvoll zu ergänzen, ist grundlegend auch für das Lesen, das normalerweise nicht Buchstabe für Buchstabe vonstatten geht, sondern als Wiedererkennen von Mustern, die mit dem eigenen Bestand abgeglichen werden.

Weil dieses Verfahren bislang noch von keiner Maschine ordentlich reproduziert werden konnte, bedienen sich auch die Spammer solcher Einsparungen, um ihre Konsumaufforderung an den Mann (und manchmal auch die Frau) zu bringen. Junk-Filter erkennen nur, was sie Buchstabe für Buchstabe kennen, deshalb verdichten Spam-Mails nicht nur stetig unser metaphorisches Vokabular für Körperteile und -funktionen, nein, sie üben sich auch im Mut zur Lücke. "They need you to …" oder "Mehr …" lautet etwa der Betreff, denn Abwesenheiten – ob nun reale oder nur vermeintliche – müssen schließlich als solche gekennzeichnet sein, um als Versprechen auf eine erlösende Fortsetzung des Satzes überhaupt wahrgenommen zu werden.

Es geht freilich auch weniger heilslogisch, nämlich: "We s.ip wor...ide. No pr...ripti.n needed. Vi..t our sh.p". Dass man sofort versteht, was da gemeint ist, liegt nicht zuletzt daran, dass man solche Texte dank Spamüberflutung bestens kennt und also erkennt. Entsprechend ist oft genug statt von Viagra nurmehr von "Via" die Rede; "Man lebt nur einmal, probier's aus" ermutigt in dem Fall der zugehörige Betreff. Nicht nur die Buchstaben werden knapp, sondern auch die Lebenszeit!

Oder vielmehr umgekehrt: Mit der Beschleunigung der Kommunikation durch SMS und Internet kamen solche Verkürzungen groß in Mode, man denke nur an dieses elende Akronym "LG", das "Liebe Grüße" bedeuten soll, oder an Chat-Shorties wie "rofl" (für "Rolling on (the) floor laughing") und ähnliches. Solche Buchstabenauslassungen haben eine lange Tradition, die ersten Schriften und damit die ersten religiösen Texte kamen ohne Vokale aus – was Ernst Jandl sicher bedachte, als er sein Gedicht "Schtzngrmm" schrieb. Dass dieses Überantworten der Sinnproduktion an den Empfänger der Botschaft einmal ein transzendentes Moment darstellte, ist heute – da Handys, Zeitschriften, Popbands, Onlineportale auf die Vokale verzichten – kaum mehr zu glauben. Es dauert einfach nur ein paar Millisekunden länger, bis wir verstanden haben, worum es geht. Darum, dass unser Gehirn mit den Spammern gemeinsame Sache macht. Und um unsere wie immer mangelhafte Potenz natürlich. Ein Schelm, wer da einen Zsmmnhng vermutet…

In ihrer Kolumne öffnet uns Katrin Schuster regelmäßig den Blick in die Abgründe und Absurditäten der elektronischen Post. Letztes Mal beschäftigte sie sich mit der Reizüberflutung

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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