Der bayerische Grant

Tatort: Sonntagabend Grantig ist der Grantler nämlich nur zu denen, die es nicht anders verdienen: Der erste und letzte Auftritt des großen Jörg Hube als Polizeiruf-Kommissar in München

Erst einmal schnell einen Fall lösen, an dem sich ein anderer gerade die Zähne ausbeißt, und zwar inklusive einer kruden Geschichte über thailändische Stammesriten. Dann zum ohnehin nicht begeisterten Kollegium sagen: „Ich weiß, ich soll die Zwischenlösung sein, aber ich bin entschlossen, zum Dauerzustand zu werden.“ Und schließlich noch in der ersten Nacht den eigenen Assistenten feuern. Das alles geht natürlich nur, wenn man der Neue in der Stadt ist und deshalb einen starken Auftritt haben muss – und das hätte ohne die Nonchalance des Jörg Hube im Münchner Polizeiruf 110: Klick gemacht ganz schön deppert aussehen können.
Eine Ehrenrettung erfuhr damit der bayerische Grant, der längst zum grotesken Heimatkitsch mutiert ist und von dem folglich viel zu viele glauben, er habe mit der politischen Einstellung zu tun, sei gar eine typische Charaktereigenschaft der CSU und ihrer Anhänger. Grad das Gegenteil ist der Fall: Die grantigsten Bayern waren und sind meistens die Linken, denn die haben ausreichend Grund dazu, die Aufrechtigkeit, die der Grant eigentlich meint, beim Wort zu nehmen. Ein solcher Grantler ist auch der Neue beim Münchner Polizeiruf: schweigt viel, und wenn er was sagt, dann ist das unmissverständlich. Grantig ist der Grantler nämlich nur zu denen, die es nicht anders verdienen.
Sein Name weckt mal wieder so viele Assozationen, wie es sonst nur den weiblichen sonntäglichen Ermittlerinnen vergönnt ist. Wenn auch weniger poetische – Klara Blum! Charlotte Sänger! –, sondern recht ungewöhnliche: Der Neue in Bayern heißt tatsächlich Friedrich Papen. Und er ist wahrlich preußisch pünktlich (ein Hinweis auf Hubes brandenburgische Herkunft?). Schon kurz vor Mitternacht am Letzten des Monats tritt er an, räumt die Hinterlassenschaften seines Vorgängers Tauber zur Seite. Darunter nicht nur zwei rechte Handschuhe, sondern auch ein Buch über Amputationen, in dem er kurz blättert, halblaut das Wort „Phantomschmerzen“ liest.
Das ist so schön, dass es beinahe weh tut. Nicht weil daran alle Figuren in diesem Polizeiruf leiden – das Kommissariat, weil Tauber nicht mehr da ist; die Angehörigen der in Afghanistan gefallenen Soldaten, weil sie nicht wissen, wem sie die Schuld dafür geben sollen; Hauptmann Ulrike Steiger, weil sie nicht mehr so ehrlich lächeln kann wie noch auf den Fotos von früher, wenn ihr Vater sie im Arm hält. Sondern weil an diesen Phantomschmerzen vor allem der Film selbst leidet, da er einen Kommissar einführt, der keinen weiteren Fall mehr lösen wird. Die Zwischenlösung wurde kein Dauerzustand: Jörg Hube verstarb im Juni dieses Jahres.
Zum Glück, sonst hätten wir womöglich doch noch geweint, ist die Geschichte selbst alles andere als unheimlich oder menschlich abgründig, sondern eines dieser schlichten Settings à la Speed, die irgendwie immer funktionieren. Die Zeit läuft und die Bösen da droben sind die Bösen da droben. Dass Kameramann Thomas Benesch versucht, den Blick des Soldaten im Einsatz zu inszenieren, wie es sonst nur Kriegsfilme tun, nervt oft genug wegen des dauernden Hin- und Wegzoomens, hat aber allemal Konsequenz. Die Welt ist klein und eng, wenn einer am anderen vorbei will, muss er sich zwängen, und sogar der Wald erscheint als das Gefängnis, das er ist in diesem Fall.
Stimmt schon: Die Sache mit der Bundeswehr passt wieder einmal überraschend gut zur aktuellen Realität (nicht wahr, Franz Josef Jung?), ist jedoch mehr Ästhetik denn Semantik, zumal an den Nebenfiguren laut Drehbuch ziemlich viele Exempel statuiert werden mussten. Freilich gewann Papen mit seinem aufrechten Gang gegen das militärische Strammstehen und wechselte die Soldatentochter am Ende die Seiten zum neuen Papa Polizei-Papen. Ohne Vaterfiguren geht's nicht, wenn von Recht und Gesetz die Rede ist: Die Exekutive selbst, sie steht niemals in Frage. So wird nur das Private aufgeklärt, das Politische dagegen nicht, ein Gutteil der Wahrheit bleibt unter Verschluss. Oder anders, in der Metaphorik des Films gesagt: Die Bombe war nicht scharf, und stundenlanges Strammstehen sorgt höchstens kurzzeitig für Aufrichtigkeit.

Was wir über der Trauer über Jörg Hube irgendwie verpasst haben: Warum Klick gemacht Klick gemacht heißt
Was wir dafür verstanden haben: Die DDR ist ein Ideal, das man mit 18 hatte
Und was unbedingt noch gesagt werden muss: Die Uli Steiger, die darf bleiben, denn Stefanie Stappenbeck spielt eine wirklich perfekte zweite Geige.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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