Ein Dutschke ohne Botschaft

Medientagebuch Das ZDF will sich in einem Dokudrama der Person Rudi Dutschke nähern. Der Film erzählt aber nicht, wofür der Studentenführer wirklich stand

Der tote Dutschke ist auf dem besten Weg zu dem toten Guevara– eine neutralisierte Ikone, vom Flair des Gefährlichen, des Aufrechten, des Abenteuers umweht, doch ohne jede Spur einer subversiven Kraft. Fallen wir zurück in die finsteren Tage einer linken Vulgärsoziologie, wenn wir vermuten, dass die entwickelte Warengesellschaft mit ihren unvermeidlichen Verflachungstendenzen gewissen Überdrusserscheinungen entgegenwirkt, indem sie revolutionäre Ikonen unter die leicht gelangweilten Verbraucher wirft – im Zweifel und im Staatsfernsehen gar auf höherem Niveau? Nein, wenden wir uns schnell ab von diesen finsteren Gedanken und freuen uns über einen Film, der der jungen Generation Zugang zu verschaffen versucht zur Person Rudi Dutschkes.

Für das Apo-Bashing-und-Jubeljahr 2008 gab das ZDF einen Film über Rudi Dutschke in Auftrag, der am heutigen Dienstag um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird. "Dutschke" schneidet Interviewpassagen und inszenierte Szenen des Lebens von Rudi Dutschke zusammen, gestützt vor allem auf Dutschkes Tagebücher und auf das Erinnerungsbuch von Gretchen Dutschke-Klotz. Freunde und Kampfgefährten wie Bernd Rabehl, Helga Reidemeister, Peter Schneider oder Gaston Salvatore, auch der unvermeidliche, zu spät geborene archivalische Oberlehrer Wolfgang Kraushaar und der Oberbürgermeister i. R. Eberhard Diepgen beziehen Position zu Dutschke. Sympathischerweise verzichtet die Dokumentation darauf, Eitelkeiten aller Art, konträre Auffassungen und eifersüchtige Animositäten zu vertuschen. Der Film setzt ein bei der Tschombé-Demonstration 1964 und der Aufnahme Dutschkes in den SDS. Neben der antiautoritären Phase widmet er sich ausführlich dem Jahrzehnt nach dem Attentat 1968, den Jahren des Exils und der Gründung der Grünen. Der sensiblen Dutschke-Darstellung von Christoph Bach gelingt das unmöglich Scheinende – dem Zuschauer das Gruseln vor einem geschauspielten Rudi Dutschke zu nehmen.

Nur Person, keine Ziele

Regisseur Stefan Krohmer, Jahrgang 1971: „Es ist weniger ein Film über Dutschke als einer, der dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, seinen Machern und Zeitzeugen dabei zuzusehen, wie sie ihrerseits versuchen, sich ein Bild von Rudi Dutschke zu machen.“ Das Frappierende ist, dass die Produktion dieses Bildes von Rudi Dutschke sein Denken und seine Ziele fast vollständig im Dunklen lässt. Unumwunden bekennt Krohmer: „Ich habe keinen Message-Film gemacht, weil ich keine Message habe. Rudi hatte eine große Glaubwürdigkeit, weil er das, was er gepredigt, gelebt hat.“ Der Film zeigt aber weder, was Dutschke „gepredigt“, noch was er gelebt hat, noch etwas über die Ziele der Revolte. Tschombé ist ein Mörder, Springer hetzt die Menschen auf, in Vietnam ist auch was nicht in Ordnung.

Zur Kategorie Glaubwürdigkeit: Genügt sie, um Dutschke heute gerecht zu werden, um seine Zukunftsfähigkeit zu prüfen? Wäre das Spürbarmachen von Aktualität nicht die Voraussetzung, um Aufmerksamkeit in der Gegenwart zu erzeugen? Aber gibt es überhaupt etwas an dem Phänomen Dutschke, das heute noch Aktualität beanspruchen kann? Vielleicht liegt seine Zukunftsfähigkeit nicht, oder nur indirekt da, wo man sie zunächst vermutet: auf dem Feld des Politischen. Dutschke wird identifiziert mit dem Widerstand gegen Konditioniertheit, Ungerechtigkeit und Entmündigung, aber dieser Widerstand ist immer aktuell und auch kein „Alleinstellungsmerkmal“ Dutschkes. Näher kommen wir dem, was an ihm zukunftweisend sein könnte, wenn wir von einer Ausbalanciertheit von Wille, Gefühl und Denken als Eigenart und Triebfeder seiner politischen Praxis sprechen. Er verkörperte einen Ausgleich, der uns Bewohnern der reichen Welt verloren gegangen ist: ein Gleichgewicht zwischen innerer und äußerer Realität, zwischen individueller und kollektiver Sphäre, zwischen Aufklärung und Religion, Politik und Privatheit – eine Balance, ohne die unsere Kultur ihre Zukunftsfähigkeit einbüßen könnte. An diese Eigenschaft Dutschkes kommt der Film nur in einigen Szenen, meist den häuslichen, ansatzweise heran. Dabei ermöglichte es wohl gerade dieser Wesenszug, dass Dutschke zum Repräsentanten der antiautoritären Bewegung werden konnte. Vielleicht war die verborgene Matrix der Revolte der Auszug aus dem Irrgarten der psychischen und kulturellen Teilungen und Trennungen, Kainsmal der bürgerlichen Gesellschaft und Ursache der Beschädigungen, die die Antiautoritären an sich selbst erkannten und nicht hinzunehmen bereit waren.

Dutschke Regie: Stefan Krohmer, Buch: Daniel Nocke, Darsteller: Christoph Bach, Emily Cox, u.a., ZDF, 20.15 Uhr

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