Ein Fehler weniger

Stadtschloss Der Baustopp als Chance für das Zentrum der Hauptstadt: Am Schlossplatz könnte Berlin einiges wieder gutmachen, was es anderswo an urbanen Chancen vergeben hat

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nun ausgerechnet eine bürgerliche Koalition einem Bau den Todesstoß verpasst hat, von dem sie sich ideologische Rückversicherung erhoffte. Den ikonoklastischen Furor, der am Berliner Schlossplatz seit Kriegsende herrschte, macht das nicht ungeschehen – zuletzt wurde hier der Palast der Republik dem Erdboden gleich gemacht.

Aber das schwarz-gelbe Sparverdikt könnte womöglich verhindern, dass die Republik in eine schauderhafte Retrofalle tappt: dass die Zwingburg der Hohenzollern so ungebrochen wieder ersteht, wie das der preisgekrönte Bau des italienischen Architekten Franco Stella vorsah – ein Dokument architektonischer Einfallslosigkeit ohne den leisesten Anflug von Ironie, ohne eine Ahnung von Zukunft. Der „Dialog der Weltkulturen“ müsste dann nicht hinter falschen Barockfassaden stattfinden. Es hatte immer etwas Groteskes zu glauben, dass man die Interkulturalität der Gegenwart in einem Gehäuse würde beschwören können, das derart vom Geist des Misstrauens gegen die Moderne beseelt war. Das Humboldt-Forum im Fake-Schloss war von Anfang an eine Mésalliance.

Dass der Schlossbau bloß ein paar Jahre verschoben wird, glaubt wahrscheinlich nur noch Hermann Parzinger, Präsident der federführenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Denn der Aufschub wird die ohnehin schwach ausgeprägten Sympathien des Volkes für das Schloss weiter sinken lassen. Das kulturpolitische „Armutszeugnis“, als das die Entscheidung jetzt überall beklagt wird, ist sie mitnichten. Denn solange wie Berlin, diese „Doppelstadt ohne Mittelpunkt, verwahrlost und arm“ (Karl Scheffler), gut ohne Stadtmitte ausgekommen ist, sowenig braucht die föderale Republik eine Zitadelle der Zentralidentität.

Auch das verkorkste Sammelsurium aus Bibliothek, ethnologischen Sammlungen und Relikten universitärer Wissenschaftsgeschichte, das dort unter dem Namen Humboldt-Forum zusammengepfercht werden sollte, hätte zuvörderst kompensatorischen Zwecken gedient. Nämlich: Der Nation selbst und dem Ausland an historisch belastetem Ort eine „Kompetenz in Weltverständnis“ (Hermann Parzinger) zu suggerieren, die erst noch entstehen muss. Dabei entstand schon länger der Eindruck, dass die Ethnophilie, die das Projekt befeuerte, zur neokolonialen Geste missraten könnte.

Eine einmalige Chance also, die Mitte radikal neu zu denken. Am Schlossplatz könnte Berlin das gutmachen, was es am Potsdamer Platz an urbanen Chancen vergeben hat. Neu zu verhandeln, was ein öffentlicher, was ein privater Raum ist, wo die Zivilgesellschaft anfängt und der Staat aufhört. Seit der Wende hat sich an der Spree mit mobilen Bauten, Spontan-und Zwischennutzungen eine Guerilla-Architektur entwickelt, die die Not der Beschränkung und das Vorläufige zur Tugend gemacht hat: die angemessene Ästhetik für finanzarme Zeiten wie diese.

Ganz ohne historische Reminiszenzen müsste das Neue, Bewegliche das hier entstehen könnte, nicht auskommen. Doch den Pionieren des Provisoire fiele für das Schlossareal gewiss mehr ein, als ihn mit historischem Katzengold zu plombieren. Es muss ja kein Badeschiff sein – wenn schon Weltkulturen hier ihr Zeichen erhalten sollen, dann vielleicht in einer transportablen Arche Noah. Noch lieber wäre uns eine Bretterbude der klassenlosen Utopie. Wieviel besser stünde dieses Hoheitszeichen einer Stadt zu, deren Schicksal es in allen Festtagsreden ist, „immerfort zu werden und niemals zu sein“.

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