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Film: "Micmacs – Uns gehört die Poesie" von Jean-Pierre Jeunet

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Als sein Vater 1979 gerade auf die nicht sehr gute Idee kommt, irgendwo in der Sahara eigenhändig Sand von einer Tretmine zu streichen, sitzt der kleine Bazil in seinem Kinderzimmer und bastelt an einem Spielzeugkriegsschiff. Eine vaterlose Jugend im katholischen Internat und wenige Schnitte später ist Bazil (gespielt von Danny Boon) zwar erwachsen, aber in einem eher adoleszenten Beruf stecken geblieben. Er arbeitet in einer putzig neon-blinkenden Videothek und erbringt im fehlerfreien Nachsprechen der französisch synchronisierten Dialoge von Tote schlafen fest einen Filmnerd-Qualifika­tionsnachweis.

Der Mann hat Filmgeschichte intus, aber wenig Sinn für die Realität, was zur Folge hat, dass einen Moment später eine Kugel in seinem Gehirn gerade noch vor den wirklich relevanten Regionen des Organs zum stehen kommt. Die Ereigniskette, die zu diesem beinahe letalen Wundkanal führt, inszeniert Jean-Pierre Jeunet in der Exposition seiner Märchengroteske Micmacs – Uns gehört Paris! nicht nur als überdeterminiert montiertes Kontingenzfestival, sondern auch als ironische Schlussszene: Vermeintlich tödlich getroffen sinkt Bazil nieder, während sich auf seinem Fernsehschirm der Howard Hawks-Klassiker mit dem vornehmen „The End“-Schriftzug von Warner Brothers verabschiedet.

Das Spiel mit der ausgestellten Willkürlichkeit filmischer Montage-Operationen, die Bezugnahme auf die Medienbilder der Filmgeschichte – all das sind Signale, die man mit gelassenem Desinteresse als Spätausläufer des „postmodernen Kinos“ verbuchen sollte. Hier eben dargereicht in der Variante des mit massiv überzuckerten Kuriositäten auf den Zuschauer einredenden Kinos von Jean-Pierre Jeunet, dessen penetrante Lieblichkeit seit Die fabelhafte Welt der Amelie (2001) jeden badischen Schoppenwein als vergleichsweise trockenes Vergnügen erscheinen lässt.

Hardcore-Süße ist denn auch das hervorstechende Kennzeichen von Micmacs, der aber immerhin deutlich macht, dass das vorgeblich zeichenbewusste „postmoderne Kino“ mittlerweile in seiner Retrophase angelangt, selbst ein Stil unter anderen geworden ist, der zitiert werden kann. Der ins Leere laufende Wille zur Originalität ist alles, was davon übrig zu sein scheint. Schwerfällige Gesten eines spießig gewordenen Arthouse-Pop.

Natürlich gibt es kaum etwas Anstrengenderes als ein Kino, das glaubt, die Kombination aus ironischer Montage und irgendwie dann doch wieder genuin gemeintem Ideenreichtum, würde gewitztes Entertainment ergeben. Dass Warner Brothers France den Film produziert hat, eine Abteilung des Konzerns, die für die Strategie einer nationalkinematografisch formatierten Ausdifferenzierung steht, ist kein Zufall: Es ging wohl um einen Film, der einen in Frankreich populären Star (Danny Boon) im globalen Arthouse-Kino etablieren sollte.

Dass Jeunet ein dafür geeigneter Schmiermittel-Regisseur sein könnte, ist nachvollziehbares Kalkül, das aber auch unter rein kommerziellen Gesichtspunkten wohl nicht aufgehen wird. Zu mühsam die Story um eine total kauzige Kleinkünstlergruppe mit Schrottplatz-Home-Base, die es gleich mit zwei ultrabösen Waffenproduzenten aufnimmt; zu anbiedernd die YouTube-Pointe am Schluss, mit der die beiden Schurken an den Pranger der weltweiten Netzöffentlichkeit gestellt werden. Ein Film, dem nur das Verdienst zukommt, eine Sackgasse des Kinos auszuleuchten. Simon Rothöhler

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