Charlotte Lindholm gelangt in "Ein letzter Patient" an die Grenzen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wird aber getröstet damit, dass andere es nicht besser haben
Harte Zeiten für Supermom. Vielmehr Superwoman, denn die "Mom" ist nur ein Teil des Frauenbildes, das Maria Furtwänglers Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm vorstellt. Lindholm ist nicht die Mutter, die auch Kommissarin ist, sondern die Frau, die Mutter und Kommissarin sein kann.
Die Vereinbarkeit dieses Rollenmodells gründete auf der Assistenten-Rolle, die in dem Hannover-Tatort der so genannte Krimnalschriftsteller und, in erster Linie, Kinderbetreuer Martin (Ingo Naujoks) inne hatte – in dieser Tatort-Kritik nahe stehenden Kreisen wurde Ingo Naujoks, wie erst jetzt rauskam, fortwährend mit Detlev Buck verwechselt, ein trompe-l'oeil, dessen Reiz nicht von der Hand zu weisen ist.
in der letzten Folge angekündigt, weg, und zwar "ohne, auf Wiedersehen zu sagen", wie es beim seligen Kommissar geheißen hätte. Die Lücke, die er in der WG mit Kommissarin Lindholm und bei der Kinderbetreuung hinterlässt, beschäftigt diesen Tatort durchaus – dass der Abschiedsbrief, den Martin geschrieben hat, zugleich als Kündigungsschreiben des Schauspielers Naujoks gelesen werden kann ("das eine oder andere mag nicht so gelaufen sein, wie Du Dir das vorgestellt hast", spricht ihm Charlotte aufs Band), bezeugt einmal mehr die enge Verwandtschaft von Rolle und Schauspieler, mit der wir es gerade in Hannover zu tun haben.Das Hausmännchen ist keine AlternativeAuf sich allein gestellt, kriegt Lindholm zu spüren, was es heißt, tatsächlich ein Kind zu haben, das aus dem Kindergarten abgeholt werden muss und nicht bloß Accessoire einer Erfolgsfrauenbiografie ist, wie sie dem modernen Konservatismus vorschwebt. Kritik an der Rabenmutterhaftigkeit von Kommissarin Lindholm, die der traditionelle Konservatismus lange an den Herd zurückgepfiffen hätte, wird allerdings geschickt vermieden – in dem die drei konkurrienden Frauenmodelle der Lächerlichkeit beziehungsweise Unfähigkeit überführt werden.Da ist zum einen die im Fall der toten Ärztin Tannenberg lokal ermittelnde Anja Dambeck (Christina Große), deren Kleinfamilie dank total integriertem Hausmann wie am Schnürchen läuft: Dambecks Kinder genießen alles, was das neobürgerliche Herz aus ernst genommener FDP-Propaganda vor dem frühkindlichen Absturz auf die gesellschaftliche Verliererseite begehren zu müssen glaubt. Einher geht dieses harmonische Familienmodell mit sturer Beamtenhaftigkeit in Sachen Arbeitszeiten: Wenn die Tochter "Frühgeigenunterricht" hat, wird das Handy abgeschaltet. Diese ignorante Arbeitseinstellung ist ein Einfallstor der Kritik, die von einer allzuständigen Überfrau wie Lindholm geäußert werden kann – Lindholms never ending Arbeitsethos bewahrt sie vor dem Verdacht von Selbstwirklichung, die Vernachlässigung des eigenen Sohnes (die schließlich immer noch abgewendet werden kann, durch umsichtige Autoeinparker beziehungsweise die gütig-strenge Großmutter – gespielt durch Furtwänglers reale Mutter Kathrin Ackermann) geschieht immer im Dienste der höheren Sache: Dienst.Andererseits ist interessant, dass das Dambeck-Modell schon deshalb nicht zur Kritik am Lindholm-Lifestyle taugt, weil der Mann dabei so putzig rüberkommt. Wer Lindholms Figur für eine moderne Variante im Erwerbsfrauen-Diskurs hält, muss spätestens hier erkennen, dass die Normalität von miterziehenden Männern anders denn als Witz nicht zu haben ist. Dass die Pflegefamilie, aus der der retardierte Mord-Zeuge Tim stammt, kein Hort des Behütetseins ist, erschließt sich durch die den Fall bestimmenden Verwicklungen in Sex-Arbeitsdiensten bei lüsternden Männern, zu dem die Pflegefamilie ihre Zöglinge abstellt, die mitmachen, weil auch das besser ist als "das Heim". Ein Umstand, der weder vom "Heim" noch von der Pflegefamilie beruhigende Nachrichten liefert. Dabei fragt man sich schon, ob Pflegefamilien in Kollaboration mit devianten Jugendamtsangestellten im Tatort immer nur als Wir-AGs zu Finanzierung des eigenen, sonnigen Lebensstils auftauchen müssen.Stephanie zu LindholmDie tote Ärztin schließlich – die ihre unerträgliche Einsamkeit in unerträglichen Videotagebüchern festgehalten hat, die sich als engagierter Subtext des zu lösenden Falls lesen lassen – erscheint als Nemesis der Charlotte Lindholm. So traurig kann das Leben also sein, wenn man nicht einmal ein Kind und eine gütig-strenge Mutter und einen wenn auch abwesenden virtuellen Partner hat. Thank god that I am what I am, wird sich die Kommissarin denken.Am Ende zeigt sich die Folge auf der Höhe der Zeit. Mit der Drohung, im Knast zu verbreiten, welcher Straftat sich der Jugendamts-Zuhälter schuldig gemacht hat, fügt Kommissarin Lindholm The-Stephanie-Guttenberg-Way-of-brutalstmöglichem-Engagement-für-die-Schwächsten dem Portfolio ihrer unendlich erfolgreichen Superweiblichkeit hinzu.Ist eben kein bayrischer Tatort: Die Kindergärtnerin, die den spielenden David in Überstunden beaufsichtigen muss, zieht im Wintergarten genervt eine durchWenig einfühlsames Männerbild of our days: "Jammern, vögeln, wieder gehen"