Auf Facebook grinsen mir Atomsonnen entgegen. Als ging’s um eine Party. Alle, lauter kluge, nein, das ist nicht ironisch: Wirklich kluge Menschen wissen schon, welche Lehren aus der Katastrophe zu ziehen seien. Es gibt überhaupt keinen „Ja, bitte!“-Button, mit dem ich antworten könnte, außer einen, der selbst schon polemischerweise von den „Nein, danke“-Wissern gestaltet wurde (als Totenkopf). Also verprelle ich meine Facebook-Freunde mit hyperpolemischen oder extrem kryptischen Kommentaren.
Was ich schreiben will, ist: Bitte seid ratlos! Dort sind schon viele Menschen gestorben, ohne dass dies etwas mit Kernenergie zu tun hatte; vielleicht sterben dort noch mehr Menschen, dann womöglich, weil dies etwas mit Kernenergie zu tun hat. Beides ha
Beides hat erst einmal keinen Sinn, weder das eine noch das andere, und eine Lehre daraus zu ziehen, ist schwierig.Sache der ParteipolitikAber für Ratlosigkeit ist offenbar kein Platz. Man positioniert sich schnell. Alle, jedenfalls alle, von denen ich bisher weiß – und ich habe schon ziemlich verzweifelt nach anderen Möglichkeiten des Sprechens darüber gesucht – positionieren sich innerhalb dessen, was in Deutschland diskutiert wird. Diskussionen im Ausland werden entweder mit Befremden oder mit Befriedigung wahrgenommen. Mit Befremden, wenn etwa US-Umweltschützer Atomenergie befürworten, weil sie das für immerhin auch eine Möglichkeit halten, CO2-Konzentrationen, die sich mit anderen Mitteln nicht schnell genug reduzieren lassen, in Bahnen zu halten. Oder mit Befriedigung, wenn etwa erzählt wird, dass es ja auch in Frankreich oder China endlich etwas Kritik an Kernenergie gebe. Grünen-Chef Özdemir erklärte neulich im Fernsehen, dass Kernenergie nur in nichtdemokratischen Staaten noch eine Chance habe.Als sei das Ganze eine Sache von Parteipolitik. Ob die Hubschrauber über Fukushima noch Erfolg haben oder nicht, ist nur relevant, weil es über die Sitzverteilung in Landtagen in bundesrepublikanischen Bindestrich-Bundesländern entscheidet. Zweifellos rudert die CDU herum und interpretiert die jüngste Provinzialgeschichte aberwitzig um. Das ist aber so offensichtlich, dass Jürgen Trittin, als er am 17. März im Bundestag auf Angela Merkels Regierungserklärung antwortete, es gar nicht ausdrücklich betonen musste. Ihm glaube ich, wenn er sagt, dass er Fukushima nicht erwartet hat. Soweit sich sehe, ist er der einzige Grüne, der das gefährdete Leben von einigen Hunderttausend Menschen nicht als Bestätigung seiner eigenen Ansichten verwendet, sondern sich mit Atomenergie als einem Realen im Doppelsinn konfrontiert: mit einer Realität, die man mit einzelnen Verordnungen im Alltag zu beherrschen versucht, und mit einem Realen, das sich allen Vorstellungen entzieht. Kommentatoren wundern sich darüber, dass Trittin nicht die Gelegenheit zum K.-o.-Schlag gegen „Schwarz-Gelb“ genutzt hat; das ist so die Ebene, auf der hierzulande die Welt verhandelt wird.In BangladeschNatürlich hatte Merkel ihre Ratlosigkeit zu großen Teilen wegzuschwindeln versucht. Aber einen kleinen Teil zeigte sie. Warum schätzt man nicht diesen kleinen Teil? Ist nicht Ratlosigkeit das wertvollste Gut in dieser Situation? Was ist denn falsch daran, wenn sie sagt, dass wir es kürzlich noch für ziemlich wichtig hielten, den Klimawandel aufzuhalten, und dass es überhaupt nicht klar ist, wie wir das schaffen wollen, ohne zumindest noch ein, zwei Jahrzehnte die vergleichsweise (wenngleich nicht ganz) klimaneutrale Kernenergie zu nutzen?Man könnte doch einmal einräumen: Merkel schwindelt in den meisten Punkten, aber hier berührt sie ein sachliches Problem, einen immanenten Widerspruch. Kernenergie ist sehr gefährlich, noch dazu ist das Problem der Endlagerung ungelöst. CO2 ist an den Orten, an denen es freigesetzt wird, nicht ganz so gefährlich, entwickelt aber eine weltweite Dynamik. Dieser Widerspruch ist ja nicht ganz neu, er hat sich in den Achtzigern unter Namen wie ‚Waldsterben‘ und ‚Luftverschmutzung‘ abgezeichnet. Schon damals hat die Anti-Atomkraft-Bewegung jeden Hinweis auf diesen Widerspruch als Propaganda der „Atomindustrie“ abgetan. Heute ist es noch komplizierter geworden, weil man mehr über Fernwirkungen ahnt; es ist nicht mehr wie beim Bayerischen Wald, dessen Entlaubung sich halbwegs direkt auf benachbarte tschechische Kohlekraftwerke zurückführen ließ. Und weil Industriestaaten in Regionen mit etwas stabilerem Klima angesiedelt sind und sich gegen Naturkatastrophen etwas besser schützen können, bedroht die Erderwärmung wahrscheinlich ausgerechnet diejenigen Regionen auf der Erde besonders stark, in denen weniger CO2 freigesetzt wird. In Bangladesch, dem am dichtesten bevölkerten Flächenstaat der Erde, würde schon die Erhöhung des Meeresspiegels um einen Meter große Teile des Landes überfluten. In Lüchow-Dannenberg hingegen werden drei Grad mehr vor allem angenehmere Bedingungen beim Demonstrieren schaffen. Daher steht nicht von vornherein fest, wie hierzulande auf Fukushima zu reagieren sei. Ich weiß noch nicht einmal, ob es gut ist, jetzt schon ein anderes Gedankenspiel durchzuspielen. Wenn es in Fukushima doch noch schlimmer wird, ist auch dieses Gedankenspiel zynisch. Weil aber andere sowieso schon wissen, welche Konsequenzen dann zu ziehen sind, schlage ich vor, andere Konsequenzen immerhin auch für denkbar zu halten.Ein GedankenspielAlso: Japan muss auf absehbare Zeit 200.000 Barrel Öl täglich mehr verbrennen als vorgesehen, um die Stromproduktion der ausgefallenen Kernkraftwerke zu kompensieren. Damit wird sehr viel mehr CO2 freigesetzt als vorgesehen. Selbstverständlich setzen wir voraus, dass regenerierbare Energien rasch weiterentwickelt werden: Ich bin so ein Öko-Fantast, der selbst riesige Solarfelder in der Sahara für möglich hält. Ich glaube bloß nicht daran, dass ein solcher Plan am Widerstand der „Atomindustrie“ scheitern könnte: Die ist so was von out, dass sie nur noch in Verschwörungsfantasien allmächtig scheint. Aber, gerade wenn man die Sahara als Lösung voraussetzt: Wahrscheinlich brauchen wir trotzdem für ein, zwei Jahrzehnte relativ klimaneutrale Energie, sei es nur, um diese Solarzellen überhaupt erst zu produzieren, und ganz nebenbei: um die Überflutung großer Teile von Bangladesch aufzuhalten.Deutschlands Solidarität könnte gefordert sein. Vielleicht müssen wir unsere Kyoto- und (nie ratifizierten) Kopenhagen-Ziele nicht nur erfüllen, sondern, im globalen Ausgleich zu denen, die es nicht schaffen, übererfüllen. Also riskieren wir was: Wir überlegen, welche unserer Kernkraftwerke mit vergleichsweise großer Wahrscheinlichkeit nicht havarieren werden und betreiben diese mit Höchstleistung; Strommengen, die sich nicht direkt weiterleiten lassen, konservieren wir als Wasserstoff. Inzwischen richten wir eine wirklich weltweite Untersuchung ein, die feststellt, welche Kernkraftwerke am dringendsten abgeschaltet werden müssen und bei welchen am ehesten zu vertreten ist, dass sie – weil nun einmal nicht alle gleichzeitig abgeschaltet werden können – noch eine Weile laufen müssen. Wenn dann demonstriert wird, um zum Beispiel ein Kernkraftwerk in Krzkdng oder Ohu zur Abschaltung zu zwingen, weil es sich um das weltweit gefährlichste handelt, dann like ich die Atomkraft-Nein-Danke-Sonne.