Die Allianz von Macht und Gemächt

Dominique Strauss-Kahn Sexuelle Übergriffe haben weniger mit männlichem Trieb als mit Gewalt und Dominanzwillen zu tun. Dass solche Fälle ohne Ansehen der Person untersucht werden, ist geboten

Am vergangenen Wochenende wurde die spektakuläre Racheaktion von Ameneh Bahrami verschoben. Vor sechs Jahren war die Iranerin durch ein Säureattentat eines von ihr verschmähten Mannes erblindet und stark verunstaltet worden. Nach iranischem Recht darf sich die Geschädigte auf die gleiche Weise an ihrem Peiniger rächen, und Bahrami besteht auf dem Vollzug der Blendung, weil sie hofft, andere Männer dadurch abzuschrecken.

Am selben Wochenende holte die New Yorker Polizei einen Mann aus dem Flugzeug, dem vorgeworfen wird, er habe kurz zuvor in seinem Hotel ein 32-jähriges Zimmer„mädchen“ zu sexuellen Handlungen genötigt und vergewaltigt. Es handelte sich nicht um irgendeinen Mann, sondern um den mächtigen Chef des IWF, um Dominique Strauss-Kahn (DSK), der als sozialistischer Präsidentschaftskandidat in Frankreich antreten wollte. Sein Wort steht gegen die Aussage einer Hotelangestellten aus der Bronx. Dennoch wird der Mann inhaftiert und nicht einmal gegen hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt.

Die beiden Fälle scheinen wenig mit­einander zu tun zu haben. Doch zwischen ihnen spannt sich auf, was man den Jahrhunderte andauernden Prozess der Zivilisation nennt, bei dem unter anderem das archaische Prinzip Auge und Auge, Zahn um Zahn ersetzt wurde durch rechtsstaatlichen Verfahren. Das ist, bei allem Verständnis für die geschundene Iranerin und bei allen kulturrelativistischen Zugeständnissen, ein unbedingter Fortschritt, der darin gipfelt, dass dieses Recht wie im Fall von Strauss-Kahn ohne Ansehen der Person durchgesetzt wird. Wie viele Generationen von Dienstmägden waren bis dahin ihren Herren ausgeliefert gewesen, wie viele sexuelle Übergriffe an Frauen ungesühnt geblieben!

Dass sexuelle Nötigung und Vergewaltigung überhaupt als strafbare Delikte verfolgt werden, ist Frauen zu verdanken. Sie pochten darauf, dass derartige Vergehen weniger mit männlichem Trieb als mit Gewalt und Dominanzwillen zu tun haben, und das ist noch immer nicht reziprok. Die Vorstellung, Angela Merkel könnte sich an einem 30 Jahre jüngeren Hotelangestellten vergehen, reizt nicht nur wegen ihrer asexueller Ausstrahlung zum Lachen, sondern weil die hegemonial-männliche Kultur, die auf Gemächt und Macht basiert, dafür keine Phantasien bereitstellt.

Allerdings hat die Politisierung des Privaten den Lebenswandel der Mächtigen öffentlich und damit instrumentalisierbar gemacht. Wenn ein Jörg Kachelmann, ein Julian Assange oder eben ein DSK dem Vorwurf der Vergewaltigung ausgesetzt sind, zielt das, unabhängig von der beweisbaren Wahrheit, auf die Integrität der Betroffenen – auch private Rachegelüste und politisches Kalkül können mit dieser Art von Ehrabschneidung verbunden sein. Der Steuerhinterzieher, der Meineidige, der Plagiator kann wiederkehren; die Rückkehr eines Vergewaltigers zumindest in die Politik ist problematischer, auch wenn es für die öffentliche Bewertung solcher Tat-Sachen in den USA und in Frankreich unterschiedliche Maßstäbe geben mag.

Insofern ist die mit dem Gemächt verbundene Macht die Achillesferse mächtiger Männer, weil sie erpressbar werden; vorausgesetzt, es gibt einen Rechtsstaat, der die Vorwürfe blind, ohne Ansehen der Person verfolgt. Doch selbst wenn diese sich als unhaltbar erweisen und es beim Rufmord bleibt, kann das kein Argument gegen seine Intervention sein. Sonst nämlich fielen wir irgendwann zurück auf das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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