Nachdem die neue Unsitte der „Vorvorschauen“ (per Email) zu Ende gegangen ist, verschicken die Buchverlage nun die Vorschauen selbst. Es sind Hunderte von Katalogen mit dem Herbstprogramm, der Außenstehende macht sich ja keine Vorstellung. Jeder Tag bringt einen Packen so groß, dass auf Kosten einer Kollegin vom Vertrieb das Postfach vergrößert werden musste, und man möchte lamentieren, wie verkommen eine Welt ist, in der man uns mit dem Herbst kommt, wenn der Frühling sein schönstes Kleid trägt. Analog zum Weihnachtsgeschäft, das auch jedes Jahr früher anfängt.
Aber man kann sich dieses Lamento schenken. Die Vorschauen sind schlicht dazu da, dass wir, die Zimmermädchen des Literaturbetriebs, den Lesern das Bett machen können, und in ihrer Masse zeigen sie etwas sehr Schönes an: Dass enorm viele Menschen ein Buch schreiben und veröffentlichen. Das geht in Deutschland jährlich in die Zehntausende. Irre. Es sind so viele, dass die, auf von uns vorschnell behauptete These von Ende des Bücherlesens revidiert werden muss. Auch wenn immer mehr junge Menschen eine HBO-Serie einem Buch vorziehen, ändert das ja nichts an folgendem, der Literaturwissenschaft vertrauten Zusammenhang: Bücher bestehen primär aus Büchern, anders gesagt, wer Bücher schreibt, der liest auch Bücher.
Die Autoren selbst
Aber ein Autor muss nicht nur sein Buch quasi erlesen, er muss auch, will er nicht untergehen, die Konkurrenz beobachten. Dass diese Aufgabe das Lesen von Neuerscheinungen extrem befördert, leuchtet doch wohl ein, so dass man die Faustregel formulieren kann: Die Kernzielgruppe eines Buchs ist die fromme und prosperierende Gemeinde der Autoren selbst. Die Verlage mögen ihre Schlüsse ziehen.
Nehmen wir ein beliebiges Beispiel, hier aus dem Folio-Verlag, dessen Programm gestern im Postfach landete. Spitzentitel ist das Buch Unterm Messer von Eva Rossmann. „Ein Mira-Valensky-Krimi“. 1.) Die Autorin verschafft sich ein Bild von der Konkurrenz. Bei geschätzt 200 deutschsprachigen und weiteren 2000 Übersetzungen aus dem Schwedischen kann jeder selbst überlegen, wie intensiv man sich da einlesen muss. Sodann schreibt die Autorin 2.) ja ihr eigenes Buch, welches, so lesen wir, auf einer „Beauty-Oasis“ im „steirischen Vulkanland“ spielt. „Einst waren in dieser österreichischen Region vierzig Vulkane aktiv.
Explosiv wird es auch für die Wiener Journalistin…“ Meint, dass nicht nur ein Buch wie Steirisches Vulkanland: Auf den Spuren der Vulkane. Wanderführer mit Top-Routenkarten, sondern auch ein Klassiker wie die Theorie der Metapher (hg. Anselm Haverkamp) zum Lesepensum gehören, dazu kommen die Bücher von Peter Hahne („doch was, wenn nur noch die Gier nach Geld und Ruhm zählt?“) und vieles mehr. Last but not least will die Autorin auch einfach mal so etwas lesen, und da sie Autorenrabatt beim eigenen Verlag hat, liest sie, sagen wir, Lilys Ungeduld. An dieser Stelle müssen wir leider abbrechen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die große Gruppe der Schreiber, die für die Schulbade schreiben, sowie die Leser, die einfach gerne mal ein Buch lesen (soll es geben), noch gar nicht in die Überlegungen eingeflossen sind.
So gesehen müssten noch viel mehr Bücher gedruckt und noch weitere Postfächer des Vertriebs annektiert werden. Dass es nicht geschieht, dürfte ähnliche Gründe haben wie damals bei den Kettenbriefen, bei denen ja auch irgendwie der Wurm drin war.