Ja wo laufen sie denn?

Nachruf Er war ein Meister der Übertreibung, aber ohne aggressiven Unterton: Loriot wird als der Kronzeuge des deutschen Humors der Nachkriegszeit in Erinnerung bleiben

Er ist wohl der bekannteste deutsche Satiriker unserer Tage. Das dürfte mehrere Gründe haben: Loriot war ein Meister des geschriebenen und gesprochenen Wortes ebenso wie des Zeichenstifts, insbesondere aber der skurrilen Kombination von sprachlichen und grafischen Gestaltungsmitteln. Er eignete sich auch das Medium Film an. Vor allem aber: er war im Fernsehen präsent, das heute an erster Stelle steht, wenn es um die Schaffung von Bekanntheit und Prominenz geht. Hier fand er auch seine kongeniale Partnerin in Evelyn Hamann.

Es kommt noch einiges hinzu. Er war kulturkritisch, ohne wirklich, im engeren Sinne, politisch zu sein. Anders als die radikaleren Satiriker der Neuen Frankfurter Schule war Loriot, Jahrgang 1923, zu früh geboren, um von der Politisierung um 1968 geprägt zu werden. Sein bürgerlicher Name war adelig: Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow oder „einfach“ Vicco von Bülow, und aristokratisch war auch sein Auftreten, ja seine Haltung, die man bei Zeitgenossen von kleinbürgerlicher Herkunft vielleicht schnöselhaft genannt hätte. Loriot machte sie zu einem Instrument der Komik, indem er sie ironisierte, gerade so weit, dass sich auch jene noch darüber amüsieren konnten, die Woche für Woche nachlesen, was die Royals gerade tragen oder tun. Kurz: Loriot verletzte keine Gefühle, er war ein Satiriker des Konsens. Sein Humor war liebevoll, nicht spöttisch.


Loriots Zeichenstil ist sofort identifizierbar, wie der des um ein Jahr älteren Flora oder jener von Sempé. Die Knollennase, die er seinen Figuren verpasste, ist von einer putzigen Drolligkeit – eine Übertreibung, wie sie für die Karikatur konstitutiv ist, aber ohne aggressiven Unterton. Die „Geschmacklosigkeit“ eines Manfred Deix war sicher Loriots Sache nicht. Seine publizistische Heimat fand Loriot mit Diogenes in jenem Schweizer Verlag, der wie kein anderer den Bereich der Karikatur als ernst zu nehmende grafische Gattung pflegt.

Im Fernsehen konnte sich Loriot mehr und mehr als talentierter Komiker mit einer Leidenschaft für die Verkleidung und Maskierung und als Stimmenvirtuose profilieren. Auch als Opernregisseur hat er sich, wie es einem von Bülow geziemt, versucht.

Einige seiner Sketche wurden zu Klassikern des deutschen Humors, etwa jener mit der Nudel, auf deren unstatthafte Existenz die Tischdame mit allerlei unauffälligen Andeutungen vergeblich hinweist, oder auch der Zeichentrickfilm zu Wilhelm Bendows „Auf der Rennbahn“ mit dem immer wieder zitierten Spruch „Ja wo laufen sie denn?“. Loriot profitierte von der Freude an der Wiederholung von Bekanntem wie es auch der Silvesterklamauk „Dinner for One“ tut. Dieses merkwürdige Phänomen scheint die Theorie zu widerlegen, dass Witz die Überraschung benötigt. Loriots Humor entfernte sich von der Pointe und näherte sich dem Ritual.

Am vergangenen Montag ist der Brandenburger Loriot 87jährig in Bayern am Starnberger See gestorben. Wird seine Wirkung seinen Tod überdauern? Schwer zu sagen. Wer kauft heute noch Bände von Th. Th. Heine oder von Olaf Gulbransson? Wer lacht noch über Curt Goetz oder Franz Arnold und Ernst Bach? Auch sie waren einst außerordentlich populär. Vielleicht wird Loriot in Erinnerung bleiben als ein Kronzeuge des deutschen Humors der Nachkriegszeit. Kein Edward Gorey und kein Ronald Searle, aber doch ein Multitalent, das gegen das Vorurteil, die Deutschen hielten sich beim Lachen die Hand vor den Mund, Widerspruch angemeldet hat.

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