Kinder, Kinder, Kinder

Film Immer oben: Marc Bauders Spielfilmdebüt "Das System" zeichnet nüchtern das Bild korrupter Machenschaften ehemaliger Stasimänner in den neuen Hinterzimmern der Macht

Was sucht der Junge in der Villa? Marc Bauders Film Das System beginnt mit dem Bild eines Einbruchs: zwei Jugendliche, die sich ihr Abhängen mit Kleinkriminalität finanzieren, Mike (Jacob Matschenz) und Dustin (Florian Renner), in schnieker Villa, sich mit Golfschläger duellierend, Zigarre im Mundwinkel behauptend, bis der Hausbesitzer Böhm (Bernhard Schütz) sie ertappt.

Es ist kein großes, aber ein sinnhaftes Kinobild (Kamera: Daniela Knapp): Die unbedarfte Jugend dringt in den Raum des alten Geldes ein, um die Posen des Erfolgs einzunehmen, den sie sich als leichten Lebensweg vorstellt. Böhms Wohlstand ist aber das Resultat von harter Arbeit in den Hinterzimmern der Macht. Böhm war Stasimann und hat nach 1990 seine Kontakte in ein Netzwerk verwandelt, kraft dessen er sich durch die Welt der Deals zwischen Politik und Wirtschaft bewegt.

Das System ist auf der einen Seite ein bemerkenswerter Film, der mit nüchternem Blick auf die Vergangenheit ein Thema gefunden hat, das zumeist als Frage von Moral missverstanden wird: die Stasi (und was aus ihr wurde). Es ist das Spielfilmdebüt von Bauder, der bislang, allein oder gemeinsam mit Dörte Franke (die mit Kyhana el Bitar das Drehbuch verfasst hat), dokumentarisch gearbeitet hat.

Abgebrühtheit, Herrschaftswissen, schmutzige Tricks

In dem Fernsehfeature Hauptsache Arbeit – Der Top-Manager (2007) begleitete er eine Führungsfigur von heute durchs rastlose Leben, in Nach der Revolution (mit Franke, 2010) drei Protagonisten von 1989 beim Weg in die Gegenwart. Mit Das System zieht Bauder diese Linie nun mit den Mitteln der Fiktion – wohl weil sich der Stoff dokumentarisch nicht hätte realisieren lassen: Es geht um die Kontinuität von Eliten, um Leute, die immer sind, wo oben ist, unabhängig vom Oben.

Böhm stellt Mike als Lehrling ein, weil er in dem Sohn den einstigen Stasi-Kollegen wiedererkennt. Mike darf sich beeindruckt zeigen von der Macht Böhms, den Großauftrag für ein interstaatliches Pipelineprojekt zu bekommen, was mithilfe der alten Akten gelingt, die der unauffällige Rentner Zschernigk (Jürgen Holtz) in einem Hochsicherheitsbunker bei seiner Datsche lagert. Abgebrühtheit, Herrschaftswissen, schmutzige Tricks. Gleichzeitig zeigt Bauders Film die Grenzen der alten Seilschaften und von Böhms Karrierestreben auf, was die Glaubwürdigkeit erhöht: Das System behauptet keine klandestine Stasimacht als große Verschwörungstheorie, sondern zeichnet eine korrupte Wirklichkeit, in der sich Leute wie Böhm, den Bernhard Schütz verbittert-aasig spielt, eingerichtet haben.

Auf der anderen Seite ist Das System leider auch ein Heranwachsendenfilm, der seinen Stoff unter den Maßgaben eines Mutter-Sohn-Konflikts erzählt. Der kryptische, wolfgangthiersehafte Untertitel (Alles verstehen, heißt alles verzeihen) deutet dabei eine Gewichtung an, die der Geschichte nicht bekommt: Man versteht die Strukturen, um die es Bauder geht und deren Inbild auch real das Hotel Neptun in Warnemünde ist, nicht besser, wenn man sie aus der Perspektive und durch die Psychologie eines Menschen erzählt bekommt, der 1989 in der Schule war.

Jacob Matschenzens Mike wirkt wie die Konzession an ein vermutetes Zuschauerinteresse, das in kleinen Filmen Kinder erwartet, die mit ihren Eltern nichts anfangen können, um erwachsen zu werden. Wenn es im deutschen Kino ein Bewusstsein fürs Genre gäbe, wäre Das System ein durchweg brisanter Thriller. Was sucht der Junge in dem Film?

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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