Manche Bücher suchen ihre Bedeutung durch die Behauptung zu unterstreichen, das Thema werde beschwiegen. Es sind Bücher die unterstellen, es werde falsch über ein wichtiges und alle betreffendes Problem diskutiert. In denen der Eindruck erweckt wird, niedere Gründe hätten den Diskurs auf eine alte Holzplatte festgenagelt, die im Meer überkommener Gewissenheiten dümpelt. Und deshalb, so sagen diese Bücher, müsse erst jemand den Weg zum Ufer neuer Erkenntnis weisen.
Bernd Ulrich hat solch eine „Streitschrift“ geschrieben – die große Auseinandersetzung, die sie eröffnen wollte, blieb aus. War die Behauptung, „seit acht Jahren gibt es keine ernstzunehmende Debatte mehr“ über das Kriegführen bloß
bloß eine Marketingidee, die trotz günstiger Publikationsumstände – das zehnjährige Jubiläum des deutschen Afghanistaneinsatzes – fehlschlug? Ist das eher geringe öffentliche Interesse am Ende vielleicht doch die Bestätigung der zugrunde liegenden Behauptung? Gibt es die falschen Antworten? Oder ist das Buch einfach schlecht?Eitle SelbstbespiegelungVielleicht von jedem etwas. Ulrichs Buch ist gut zu lesen, und es nervt doch in seiner eitlen Selbstbespiegelung, bei der sich der Ressortleiter Politik der Zeit an der Prominenz von Helmut Schmidt bedient. Aber das ist lässlich. Ulrich nimmt die Leser mit auf eine Tour durch die deutsche Friedensgeschichte. Er zeichnet nach, wie sich in der bundesrepublikanischen Gesellschaft erst ein Antikriegskonsens herausbildete, der angesichts der historischen Erfahrung unumstößlich schien und in Grundgesetz wie Völkerrecht seine wetterfesten Stützen hatte. Mit der deutschen Einheit begann dieser Common Sense aufzuweichen, schließlich sei er, so formuliert es Ulrich, nach einer „Phase der Verwirrung“ ab 1998 abgelöst worden von einem neuen, „verantwortlichen“ Verhältnis zum Waffengang: Vor allem unter Gerhard Schröders Regierung, die sich am ersten deutschen Krieg seit 1945, gegen Jugoslawien, nicht nur beteiligte, sondern in der auch jene Partei saß, die das Reden über den Krieg im Deutschland der letzten zwölf Jahre mehr als alle anderen beeinflusst hatte: die Grünen.Ulrichs Buch ist eines nicht nur über den Menschenrechtsbellizismus, sondern eines in diesem Geiste. Wo vorher noch das historische Erbe bemüht wurde, um zu begründen, warum Deutschland nicht Krieg führen dürfe, galt seit Ende der neunziger Jahre das Gegenteil – ausgedrückt in Joschka Fischers berühmt-berüchtigtem Satz auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen 1999: „Wir haben immer gesagt: Nie wieder Krieg. Wir haben aber auch gesagt: Nie wieder Auschwitz.“ Auch wenn Ulrich das Argument bezogen auf Slobodan Milošević für falsch hält, so hat er doch diese Wendung an sich selbst vollzogen – als jemand, der in der Friedensbewegung aktiv war, zu den Grünen ging, der mit der Wiedervereinigung aufhörte, „ein richtiger deutscher Linker zu sein“ und schließlich ein Buch schrieb, das dazu auffordert, sich dem Krieg nicht länger zu verweigern.Richtige und falsche KriegeAls Selbstauskunft eines Wandels, bei dem Biografie und Weltgeschehen in Widerstreit geraten, alte Überzeugungen fallen gelassen und neue angeeignet werden, hätte das Buch seine Stärke entwickeln können – wäre Ulrich nicht darauf verfallen, seinen Weg (und den der Grünen) zu einer Art logischen Konsequenz zu verallgemeinern. Ulrich stellt Kriterien für den „richtigen Krieg“ auf, zu denen er jene auf dem Balkan und in Libyen zählt, während er die in Afghanistan und in Irak zu „falschen Kriegen“ erklärt.Ein Regimewechsel als Ziel eines Krieges gilt ihm als legitim, wenn entweder Massenmord droht und oder die Aussichten auf „eine bessere Regierung“ gut sind, weil es bereits relevanten Widerstand vor Ort gibt. Dass auf diese Weise das Völkerrecht schon unterhöhlt ist, weil mit der Unverletzlichkeit auch der schurkenhaftesten Staaten einer der Grundpfeiler dieses Rechts weggeschlagen wird, ist für Ulrich kein Argument: Das Völkerrecht hält er ohnehin für überaltert, er führt das Wort jener Reformer, die mit Responsibilty to Protect die Formel für „humanitäre Interventionen“ bereits gefunden haben. Ja, Ulrich schlägt sogar vor, der Westen solle „ein Völkerrecht der Zukunft“ formulieren, aus dem sich, obgleich es noch keine allgemeine Geltung hätte, die gegenwärtigen Kriege schon legitimieren sollen.Zugegeben: Ulrich spricht viele der Fragen an, die eine nachdenkliche Diskussion verdient haben. Begriffe wie Ruanda stehen als schreckliche Landmarken herum, unsicher umschlichen auch von jenen, die sagen, es müsse durch wirtschaftliche und demokratische Entwicklung im Voraus ein Abschlachten verhindert werden. Man möchte Ulrich auch nicht widersprechen, wenn er schreibt, dass Kriege hin und wieder aus unlauteren Motiven abgelehnt werden. Und er lässt die ökonomischen Interessen und Profiteure nicht weg. Sein Appell aber, eine Debatte zu führen, ist nicht sehr glaubwürdig – man wird beim Lesen den Eindruck nie los, dass Schlussfolgerungen, die nicht in Ulrichs Ratgeberkatalog für kriegführende Regierungen passen, mit dem Buch bereits als erledigt gelten.