Oskar Schell heißt die kindliche Hauptfigur des Romans Extrem laut und unglaublich nah von Jonathan Safran Foer. So wie er dem Zuschauer in Stephen Daldrys Verfilmung des Buchs in Gestalt Thomas Horns erscheint, wirkt dieser Oskar allerdings wie einem dieser hochdepressiven Eltern-Lifestyle-Magazine (Nido) entsprungen. Deren zentrale Botschaft liegt bekanntlich darin, dass man das Beste für das eigene Kind wollen und nebenbei trotzdem noch gut aussehen und Sex haben kann.
Wie es sich für Kinder solcher Eltern-Lifestyle-Magazine-Leser gehört, hat Oskar Schell eine Modekrankheit (Asperger), die sein penetrantes Kluggescheiße erklärt und ihn zugleich mit einer Fantasie und Auffassungsgabe ausstattet, mit der man in der Schule Distinktionsgewinne verbuchen kann. Oskar liefert sich mit seinem drollig-schulterzuckenden Vater (Tom Hanks) „Oxymoronschlachten“, betreibt Basteln mit Papier und Faden in einer professionellen Weise, die manchem Gestaltungsbüro den Glauben an die eigene Spezialisierung rauben könnte („Aufklappbares-Sektoren-Register“), und verbringt viel Zeit an der frischen Luft bei seinen „Erkundungsexpeditionen“, die man sich als Schnitzeljagden vorstellen muss, wie sie hochbezahlte Agenturen für schicke Großanwaltskanzleien zur Mitarbeitermotivation designen würden.
Die Hauptschnitzeljagd in Extrem laut und unglaublich nah ist eine verkappte Bewältigung des Ereignisses, um das der Film kreist. Der drollig-schulterzuckende Vater war am Vormittag des 11. September 2001 in einem der Twin Towers und hat auf dem Anrufbeantworter aufmunternde Nachrichten hinterlassen, statt Sachen zu sagen, die man in Todesangst sagen würde. In einer Vase findet Oskar einen Schlüssel und einen Namen („Black“) und ahnt sehr bald, dass ihn die Lösung dieses letzten Rätsels mit dem Verlust des geliebten drollig-schulterzuckenden Vaters versöhnen könnte.
Schweigender Untermieter
Angefeuert vom sympathischen Schlüsselmacher um die Ecke („Das liebe ich an Schlüsseln, sie öffnen alle etwas“) begibt sich Oskar auf die Suche nach allen Menschen, die „Black“ heißen in New York, in der Hoffnung, jenen ominösen „sechsten Bezirk“ zu finden, von dem der Vater ihm erzählt hat. Begleitet wird er von seinem rasselnden Tamburin (die Nähe zum Trommelkind Oskar Matzerath bei Günter Grass ist offensichtlich) und dem schweigenden Untermieter (Max von Sydow) der Großmutter. Der stellt sich schließlich als deutscher Großvater von Oskar heraus, dessen Trauma aus dem Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg rührt und irgendwie zur schlechten Erziehung des drollig-schulterzuckenden Vaters geführt hat, die Oskar final rächt („Mein Dad war der beste und du der schlechteste Vater“), was ganz final aber nicht von Versöhnung abhält.
Die spielerische, aber schlecht verklausulierte 9/11-Bearbeitung, die das Trauma auf eine private Geschichte herunterbricht, um darüber wiederum gesamtgesellschaftlich ans Herz zu adressieren (Oskar schreibt allen Blacks am Ende rührende Briefe, deren Öffnen der Film in einer Rundumschalte einfängt) hat Daldry als Rührstück inszeniert, bei dem fast kein Moment von Sentimentalmusik unberührt bleibt. Am Ende entpuppt sich die ungeliebte Mutter (Sandra Bullock) als Engel der ganzen Geschichte, weil sie immer schon über Oskars Weg zum Frieden gewacht hatte. Was eine Lifestyle-Mutter halt so macht.
Etwas Schlimmeres kann man sich kaum vorstellen.
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