Die Rehabilitierung von „Kriegsverrätern“ ist das letzte Tabu bei der Aufarbeitung von Naziurteilen. Nun hat Parteitaktik abermals eine Wiedergutmachung verhindert
Es war der 11. August 1944, als Adolf Hermann Pogede im Zuchthaus Halle unter dem Fallbeil starb. Das Vergehen des Obergefreiten im Ersatzverpflegungsmagazin Frankfurt (Oder): Der Wehrmachtssoldat hatte sich mit festgesetzten sowjetischen Soldaten unterhalten. Der erste Senat des Reichskriegsgericht verurteilte den Angeklagten daraufhin "wegen Kriegsverrats und verbotenem Umgangs mit Kriegsgefangenen zum Tode".
Pogede war einer von rund 30.000 Deserteuren, Verweigerern und "Kriegsverrätern", die von der NS-Justiz zum Tode verurteilt wurden. Mindestens zwei Drittel von ihnen starb bis Kriegsende 1945. Vor sieben Jahren hob der Bundestag die Urtei
er NS-Justiz zum Tode verurteilt wurden. Mindestens zwei Drittel von ihnen starb bis Kriegsende 1945. Vor sieben Jahren hob der Bundestag die Urteile gegen Deserteure und Verweigerer auf - die "Kriegsverräter" blieben außen vor. Seither wird über deren Rehabilitierung gestritten. Juristische Spitzfindigkeiten, politischer Unwille und Parteientaktik haben eine Wiedergutmachung bisher aber stets verhindert.Hardliner bestehen auf Einzelfallprüfung2006 hatte die Linksfraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine pauschale Aufhebung der NS-Urteile vorsah. Unterstützung kam von den Grünen, später auch aus der SPD. Doch der Antrag hängt seit langem im Rechtsausschuss fest. Vor allem die Hardliner in der Union bestehen bis heute auf einer Einzelfallprüfung. "Kriegsverräter" hätten auch der Zivilbevölkerung und den eigenen "Kameraden" geschadet und sich doch nur beim "Feind lieb Freund" machen wollen. Vor allem der Abgeordnete Norbert Geis machte sich als Vertreter dieser Linie einen fragwürdigen Namen.Experten halten das Argument für vorgeschoben. Der Historiker Wolfram Wette zum Beispiel, der eine Studie zum Thema veröffentlicht hat, spricht von "moralisch sinnvollen Widerstandshandlungen". In einer Stellungnahme für den Bundestag schreibt Wette, "selbst die einseitig von der Betrachtungsweise der NS-Militärrichter geprägten Quellen lassen erkennen, dass die meisten Fälle von ‚Kriegsverrat‘ politisch oder moralisch/ethisch motiviert waren."Das NS-MustergesetzDer Paragraf 57 des Militärstrafgesetzbuches leitete sich von der 1934 eingeführten Landesverratsbestimmung ab und lautete knapp: "Wer im Felde einen Landesverrat nach Paragraf 91 b des Strafgesetzbuchs begeht, wird wegen Kriegsverrats mit dem Tode bestraft." Die extreme Strafandrohung und die weit auslegbaren Tatbestandsmerkmale machten den "Kriegsverrat" zu einem nationalsozialistischen Mustergesetz.Inzwischen liegt auch eine Expertise des Verfassungsrechtler und CDU-Mannes Hans Hugo Klein vor, die von der "vielfach belegten barbarischen Handhabung" spricht und darauf hinweist, dass auch "vergleichsweise geringfügige Verstöße unterschiedlos mit der Todesstrafe geahndet" wurden. Der Paragraf, so Klein in seinem Gutachten, das dem Freitag vorliegt, habe die Grundlage für eine Vielzahl von "in die äußere Form von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsverbrechen" geliefert.Kleins Stellungnahme sorgte sogar im CDU-geführten Verteidigungsministerium für einen Sinneswandel. Dort hatte man sich bislang für die Einzelfallprüfung stark gemacht. Ende April sandte Minister Franz Josef Jung seiner SPD-Kollegin im Justizressort jedoch einen Brief: Zwar lehne man eine Aufhebung der NS-Unrechtsurteile ohne Einzelfallprüfung weiterhin ab, heißt es in dem der Freitag-Redaktion vorliegenden Schreiben. Da das Justizministerium nun allerdings auf "die rechtliche Erwägung einer fehlenden Bestimmtheit der damaligen Gesetzesnorm zum Kriegsverrat" abhebe, stünden "die bislang vorgebrachten Sachargumente einer entsprechenden Gesetzesänderung" nicht mehr entgegen.Mit anderen Worten: Das Verteidigungsministerium hatte seinen Widerstand gegen eine pauschale Rehabilitierung aufgegeben.SPD ist der Koalitionsfrieden wichtiger Bei der Unionsfraktion kam Jung damit dennoch nicht an. Bereits Mitte März hatte das Ministerium "dem Kollegen Geis" mitgeteilt, "dass es von hier aus keine Vorbehalte" mehr gegen die Aufhebung der Urteile gebe. Doch die Union blockiert weiter die Annullierung der Unrechtsurteile - mit Unterstützung der SPD-Fraktion. Denn die Sozialdemokraten mögen zwar in der Sache dafür sein, wollen im Wahlkampf aber keinem Antrag der Linksfraktion zustimmen. In der vergangenen Woche verhinderten Union und SPD-Fraktion zum wiederholten Male gemeinsam, dass der Rehabilitierungsantrag der Linken auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt wird.Inzwischen wird die Zeit knapp. Für eine Beschlussfassung im Bundestag stehen nur noch drei Sitzungswochen zur Verfügung. Die SPD hat nun zwar einen eigenen Gesetzentwurf in der Schublade, dem die Linksfraktion auch zustimmen würde. Der SPD-Abgeordnete Carl-Christian Dressel ließ jedoch keinen Zweifel, dass man sich lieber einen gemeinsamen Vorstoß der Koalition wünsche. "Die Frage ist, ob die Union noch dazu zu bewegen ist", heißt es. Bei einem "Koalitionsfrühstück" Anfang Mai wurde keine Einigung erzielt.Obwohl eine Mehrheit im Parlament für die Rehabilitierung ist, kommt diese nicht zustande. Jan Korte, der für die Linkspartei die Initiative vorangetrieben hat, appellierte vergangene Woche noch einmal vor allem an SPD und Grüne, die längst überfällige Aufhebung der Urteile zu ermöglichen. Parteientaktik sei in dieser Frage das letzte, woran ein Gesetz scheitern dürfe. Ende Mai will seine Fraktion die Behandlung des Themas im Plenum erzwingen - über einen Passus in der Geschäftsordnung des Bundestages. Eine Entscheidung über das letzte Tabu der NS-Aufarbeitung wird es dann allerdings wieder nicht geben.