Nie waren Beamte so mächtig: Niemand kontrolliert die Verwalter der Hilfsfonds, das Parlament hat keinen Einfluss. An der Spitze steht ein Quartett aus Staatssekretären
Krisen bringen ihre eigenen Redeweisen hervor. Oft wird derzeit von den Chancen gesprochen, die das Scheitern des Marktradikalismus mit sich bringen soll – für Linke, für die Gewerkschaften, für die Umwelt. Und für den Staat, dem die herrschende Meinung jahrelang eine bis zur Abmagerung gehende Schlankheitskur verordnete und der nun eine Renaissance erfährt. Der augenfälligster Ausdruck dieses Umdenkens sind die milliardenschweren Rettungsprogramme.
Dabei ist offenkundig, dass man es bei der Rückverschiebung der Gewichte von der Wirtschaft zur Politik vor allem mit einem Machtzuwachs der Regierung auf Kosten des Parlaments zu tun hat. Die Krise hat zwar das Thema Demokratisierung der Ökonomie in die öffentliche Debatte zurückkatapultie
katapultiert. Die Bewältigung des Desasters offenbart aber fließende Übergänge zur autoritären Problemverwaltung durch die Exekutive.Machtvolles KrisenquartettBesonders deutlich wird das an den beiden Rettungsfonds, welche die Bundesregierung aus Steuergeldern aufgelegt hat, die aber de facto jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen sind (siehe Kasten). Sowohl beim Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) für die Banken als auch beim Wirtschaftsfonds Deutschland für die Unternehmen werden die wichtigen Entscheidungen von Gremien getroffen, in denen einige wenige Regierungsbeamte das Sagen haben.Beim Soffin geht es um eine Summe, die fast doppelt so groß ist wie der Bundeshaushalt. „Noch nie in der Geschichte der Republik verfügten Beamte über eine derartige Machtfülle“, schrieb der Spiegel, „und noch nie war der Argwohn größer, dass die Beschlüsse der Staatssekretärsrunde einseitig den Interessen der Finanzindustrie dienen“. Zu den mächtigen Männern der Krise gehören neben dem Kanzlerinnen-Berater Jörg Weidmann der Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, Lutz Diwell aus dem Justizressort und Walther Otremba vom Wirtschaftsministerium.Von einem parlamentarischen Einfluss auf die Entscheidungen des Soffin-Lenkungsausschuss kann nicht die Rede sein. Zwar erfährt man beim Bankenschirm, dass das Finanzministerium ein aus neun Mitgliedern bestehendes Gremium „über alle den Fonds betreffenden Fragen“ unterrichtet. Aus den von großer Geheimhaltung begleiteten freitäglichen Sitzungen der Abgeordneten-Runde darf jedoch nichts nach außen dringen. Florian Toncar (FDP) zeigte sich enttäuscht, dass im Finanzministerium „der Geheimstempel reflexartig benutzt“ werde. Der grüne Abgeordnete Alexander Bonde sah sich einem „fortlaufendem Hinterzimmerkompromiss zwischen Banken und Regierung“ ausgesetzt. Und sogar der Vorsitzende des „Kontrollgremiums“, der CSU-Politiker Albert Rupprecht, klagte über das Gebaren der Regierung: Es sei „teilweise eine Zumutung“.Juristen haben die Beschränkung der Parlamentsrechte schon als verfassungswidrig kritisiert. Erinnert man sich zudem daran, wie das Finanzmarktstabilisierungsgesetz überhaupt zustande gekommen ist, wird der Eindruck einer Ent-Demokratisierung verstärkt: Das Rettungspaket wurde maßgeblich unter „Mithilfe“ von Bankern verabredet, den Gesetzentwurf besorgte eine Anwaltskanzlei, die mit Kreditinstituten kooperierte. Unter Umgehung der Fristen wurde das Vorhaben durch ein Parlament gejagt, das mit dem Hinweis unter Druck gesetzt wurde, jetzt müsse alles sehr schnell gehen.Ein weiterer Schritt zur „Abschaffung des Parlamentarismus“, von der bereits der Alt-Grüne Hans-Christian Ströbele sprach, wurde beim „Wirtschaftsfonds Deutschland“ getan. Eine Kontrolle der Ausgabe von Krediten und Bürgschaften an kriselnde Unternehmen durch gewählte Abgeordnete beschränkt sich auf die Vorlage von Sonderfällen im Haushaltsausschuss des Bundestags. Die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Lötzer kritisiert, eine parlamentarische Aufsicht sei von Wirtschaftsminister Theodor Guttenberg (CSU) „gezielt verhindert“ worden. Die wichtigen Entscheidungen des 115 Milliarden Euro schweren Hilfspakets trifft ein Lenkungsausschuss. Dass dem Staatssekretärsquartett ein Lenkungsrat zur Seite gestellt ist, macht die Sache kaum besser. Diese Prominentenrunde hat eher schmückende Funktion, sie ist die Staffage, die den Schein gesellschaftlicher Mitentscheidung wahren soll. In Wahrheit ist das Gremium, das nur Empfehlungen abgibt, machtlos und zudem politisch einseitig besetzt. Es will etwas heißen, dass ausgerechnet der „pragmatische“ Chef der Chemiegewerkschaft Hubertus Schmoldt hier ganz allein die linke Flanke bildet.Im Mai hatte der Fonds den Eingang von über 1.000 Anträgen verzeichnet – mit, so hieß es, rasch steigender Tendenz. Von den Hilfswünschen über 4,5 Milliarden Euro entfielen zu diesem Zeitpunkt etwa 1,9 Milliarden auf Mittelständler, 2,5 Milliarden auf große Unternehmen. Von der veröffentlichten Entscheidungsstatistik kann man sonst nicht viel lernen: Bis zum 19. Mai waren 304 Anträge bewilligt und 177 abgelehnt worden.Wirtschaftsfonds desavouiertAus den Medien hat man seitdem erfahren, dass ein Begehren des Autobauers Porsche als „nicht entscheidungsreif“ zurückgewiesen wurde. Bewilligt wurden Hilfen für den Maschinenbauer Heidelberger Druck, der eine Bürgschaft von 400 Millionen Euro und einen staatlichen Kredit über 300 Millionen Euro beantragt hatte. Unterstützung erhält ebenso die Werftengruppe Wadan. Wirbel hatte es um den Antrag des Wormser Autozulieferers Aksys gegeben. Ein Kredit im zweistelligen Millionenbereich war zunächst von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau abgelehnt worden – was politische Lobbyisten auf den Plan rief. Mitglieder der bayerischen Landesregierung sollen sich dafür eingesetzt haben, dass der Wunsch doch noch vor den Lenkungsausschuss kam. Der beschied dann abschließend negativ. Die Firma hat inzwischen Insolvenz angemeldet.Ein „führendes Regierungsmitglied“ war in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert worden: „Wenn es tatsächlich zu rein politisch motivierten Zusagen für Staatshilfen kommt, ist der gesamte Wirtschaftsfonds desavouiert.“ Das war als Mahnung an alle Beteiligten zu verstehen. Aber was heißt das eigentlich? Ist nicht jede Entscheidung des quasi-geheimen Krisenkabinetts politisch motiviert?Justus Haucap, Chef der Monopolkommission, hat vor der Gefahr gewarnt, „dass mit Steuergeldern Industriestrukturen künstlich am Leben gehalten werden, die dann später ohnehin untergehen“. Solche „grundsätzliche Bedenken“ sind nicht selten – aber sind sie deshalb richtig? Ein politischer Eingriff in Marktmechanismen und Wettbewerbslogik, dies sich als alleinige Ordnungsinstrumente gerade schwer blamiert haben, wäre durchaus sinnvoll, will man mehr als nur die vorübergehende Rettung von Arbeitsplätzen aus Wahlkampfgründen – zum Beispiel einen ökologischen Umbau überkommender Branchen.Eine der nächsten wichtigen Entscheidung des Wirtschaftsfonds könnte den Handelsriesen Arcandor betreffen. Staatshilfen für den Kaufhaus-Konzern wurden innerhalb der Union bereits abgelehnt. Die SPD hat die Wahlkampfgunst der Stunde erkannt und Peer Steinbrück erklären lassen, man dürfe keine „ideologischen Vorfestlegungen“ treffen – im Fall Arcandor seien mit 50.000 Jobs schließlich direkt mehr Stellen betroffen als bei Opel. Gibt es darüber hinausgehende Gründe für eine Überlebensgarantie für Konsumtempel und Luxusläden?Unter welchen Gesichtspunkten über Kredite und Bürgschaften für den Konzern entschieden wird, erfährt die Öffentlichkeit wohl ohnehin nicht. Das Parlament dürfe beim Bürgschaftsprogramm der Regierung nur zusehen, klagt der Grünenpolitiker Bonde und nennt die deutsche Krisenverwaltung eine „Black Box“.