Die 2.000 am vergangenen Wochenende in Washington Versammelten nennen sich „Value Voters“. Wähler, die sich an „Werten“ orientieren. Sie sind die Feldwebel der Opposition, die bei Bürgerveranstaltungen zur Gesundheitsreform Befürworter niederbrüllen und warnen, es gehe Barack Obama gar nicht um die Gesundheitsreform, er wolle den Sozialismus einführen.
Die Rechten wittern Morgenluft. Der Ton ist scharf im Sheraton-Hotel. Die konservative „Sturmflut“ werde „die Elite“ aus Washington vertreiben, heißt es, und: „Wir werden unsere Nation zurückerobern.“ Nicht mit einem Bürgerkrieg, denn der letzte vor mehr als 100 Jahren habe 600.000 Menschenleben gekostet, beschwichtigt eine Rednerin. Die nach O
Die nach Obamas Wahlsieg orientierungslosen Republikaner setzen sich als die wahren Amerikaner in Szene, als die diskriminierte Mehrheit. Die Strategie ist nicht neu, hat einigen Erfolg und zieht auch Bürger an, die tatsächlich zu den Verlierern zählen. Männer und Frauen, die erstaunt sind, dass US-Notenbankchef Ben Bernanke Anzeichen eines Aufschwungs ausmacht, während die Arbeitslosenrate steigt und Hunderttausende ihr Eigenheime verlieren.Auch Paranoia macht sich breit. Der 60-jährige Rentner Jerry Frechette aus Maine sagt, er habe Angst um seine Gesundheits- und Altersversicherung. Er traue der Regierung nicht. Die Fundamente wackelten. Obama habe doch schon „die Autokonzerne und die Banken verstaatlicht“ – und wer profitiere? Meredith Jessup sitzt vor einem Banner, das eine „konservative Revolution“ verspricht. Die junge Frau ist bei townhall.com beschäftigt, einem konservativen Internet-Portal. Die Menschen verließen sich zu sehr auf „die Regierung“, klagt Jessup. Sie selber habe vor einem Jahr ihren Job verloren. Die Rezession, wissen Sie? Aber warum habe sie kein Arbeitslosengeld beantragt? – Nein, sie wolle nicht vom Staat abhängig sein, und irgendetwas finde man immer.Joseph Wiegund arbeitet in der Verwaltung der evangelikalen Liberty Univerität in Lynchburg (Virginia). Ja, die Konservativen hätten Aufwind. Es gebe aber noch keinen „Führer“ der Bewegung, denn Konservative misstrauten Politikern.Gegen Obamas Reform Amerikaner für Wohlstand, der Think Tank Heritage Foundation, die Koalition zum Schutz der Ehe, der Vermarkter eines Filmes über Raketenabwehr, Anti-Abtreibungsgruppen, der Verband Amerikanische Werte und gut zwei Dutzend gesinnungsverwandte Gruppen haben im Sheraton ihre Info-Stände aufgebaut. Aus dem großen Saal des Hotels dringt wilder Beifall. Es spricht der Abgeordnete Mike Pence. Die USA stünden „vor dem Abgrund zum Sozialismus europäischen Stils“, warnt er. Man müsse für „Freiheit, traditionelle Werte und freie Märkte kämpfen“. Auch gegen die gleichgeschlechtliche Eheschließung, gegen Abtreibung, gegen die Verschwendung von Steuergeldern für die Wall Street und vor allem gegen Obamacare – Obamas Gesundheitsreform. Sein Kollege Roy Blunt setzt nach. Konservative hätten wahrlich viel zu tun. Sie müssten halt „den Ball da aufheben, wo der Affe ihn hin geschmissen hat“, sagt er zum Gelächter der Versammelten.Die Gesundheitsreform hat die Rechten belebt. Ein vielschichtiges Thema. Existentiell nicht nur für die 46 Millionen Nicht-Versicherten, auch für die vielen Millionen gerade eben noch und schlecht Versicherten. Für viele Rentner, die Angst haben, „der Staat“ werde zum Finanzieren der Reform Geld abziehen von Medicare, der staatlichen Versicherung für Senioren. Dazu kommt eine ideologische Antipathie gegenüber dem Staat. Geschürt wird die Sorge von den großen Versicherungen, die Lobbykampagnen veranstalten und Spenden an vermeintliche „Graswurzelorganisationen“ gegen die Reform austeilen. Rupert Murdochs Fernsehsender FOX ist der Propagandasender gegen Obama. Bill O‘Reilly, ein FOX-Talker, spricht zu den Versammelten im Sheraton. Reporter müssen aber den Saal verlassen.Für die rechtschristlichen Veranstalter der Value-Voters-Gipfeltreffen – unter anderem sind das der Familienforschungsrat mit einem Jahresetat von zwölf Millionen Dollar und der Amerikanische Familienverband mit einem Budget von 22 Millionen – bringt das 21. Jahrhundert Probleme. Ihre traditionellen Themen ziehen nicht mehr. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften gewinnen soziale Akzeptanz, Kampagnen gegen vorehelichen Sex scheitern an der hormonellen Realität, und die „Pille danach“ hat die Abtreibung erleichtert. Vor allem junge Evangelikale engagieren sich für grüne Anliegen, demonstrieren für Darfur im Sudan und gegen Folter im Lager Guantánamo. Kevin McCullough, evangelikaler Radiomoderator, stellt bei den Value Voters in Washington eine Frage, die er nicht beantworten kann: Wie konnten „42 Prozent der Christen für einen Mann stimmen, der für Abtreibung und Homo-Ehe ist und Gottes Wort ablehnt?“Für Gott oder die RegierungSo sind die Rechtschristen mit ihrer von den Republikanern geschätzten Infrastruktur bei der Gesundheitsreform mit eingestiegen. Biblisch gesehen, muss man ausholen beim Aufbau der Argumente: Amerika sei von Gott ausersehen, Amerika gründe sich auf die freie Marktwirtschaft. Gott sei für die freie Marktwirtschaft, Obamas Reform würde der Regierung mehr Macht geben. „Man kann Gott dienen oder der Regierung“, erklärt Konferenzrednerin Star Parker. Die Afro-Amerikanerin wird als Ex-Wohlfahrtsbetrügerin (mit mehreren Abtreibungen) vorgestellt, die sich bekehrt habe und konservative Aktivistin geworden sei. Die Nation stehe vor der Wahl „zwischen der christlichen Rechten und der liederlichen Linken“, versichert Parker. Der Saal tobt. Finale Trumpfkarte ist die Abtreibung. Die Reform werde auch Abtreibungen finanzieren. Da kann Obama tausend Mal sagen, dass sei eine Unterstellung und treffe nicht zu.Man träumt von 2012. Der nächsten Präsidentschaftswahl. Mögliche Kandidaten sind auf der Konferenz. Der Ex-Baptistenprediger Mike Huckabee, Ex-Gouverneur Mitt Romney, der als Mormone Probleme hat bei Evangelikalen, der texanische Gouverneur Rick Perry und Gouverneur Tim Pawlenty aus Minnesota, der warnt, die Nation verliere ihre militärische Stärke wegen Obamas Nein zum Raketenabwehrsystem. „Schwäche verführt unsere Feinde“, das habe man vor 70 Jahren gesehen bei der „sowjetischen Invasion von Polen“.Die Value Voters schwelgen in Erinnerungen an die Anti-Obama-Kundgebung vom Wochenende zuvor. 1,2 Millionen Menschen seien nach Washington gezogen aus Angst, sie würden ihr Amerika verlieren, in dem „die Regierung für das Volk arbeitet und nicht umgekehrt“, verkündet Kevin McCullogh etwas inflationär. 50.000 bis 75.000 dürften es gewesen sein, aber immerhin.Bitterböse sind die Redner im Sheraton auf den „Erdnussbauer aus Georgia“. Jimmy Carter hat gerade erklärt, die heftigen Animositäten gegenüber Obama fußten auf der Tatsache, dass ein schwarzer Mann im Weißen Haus regiere. Viele Weiße, „nicht nur im Süden, sondern in den ganzen USA“, seien der Ansicht, dass „Afro-Amerikaner nicht qualifiziert sind, unsere große Nation zu führen“. Bei vielen Kundgebungen gegen die Gesundheitsreform sind „Rassenthemen“ in der Tat nicht zu übersehen. Obama-Darstellungen, bei denen der Präsident aussieht wie ein Affe. „Obama“ mit einem Hitler-Schnauzbart. Plakate mit dem Slogan: Schickt ihn zurück nach Kenia! Ein Moderator bei FOX hat geschimpft, Obama habe einen „tiefen Hass auf alle Weißen“. Und Rush Limbaugh, der meist gehörte Talker, äußerte sich kürzlich zu einem Vorfall in Belleville (Illinois), bei dem ein weißer Schüler von zwei schwarzen verprügelt wurde. Das sei „Obamas Amerika“, donnerte Limbaugh.Bei den Value Voters muss man denn auch lange suchen nach schwarzen Gesichtern. Der Rassismus-Vorwurf sei eine liberale Verleumdung, sagt Gary Bauer, einer der Koordinatoren der Values-Voters-Konferenz. Die Liberalen hätten auch behauptet, die Konservativen seien sexistisch. Aber das habe man gründlich widerlegt mit der Wahl von Sarah Palin!Die 2.000 im Sheraton wird Obama nie überzeugen können. Auch die Weißen nicht, die sich auf keinen Fall gewöhnen wollen an einen schwarzen Präsidenten. Auch nicht jene, die allen Ernstes an die „sozialistische Gefahr“ für Amerika glauben. Auf der Kippe stehen aber die Amerikaner, die vielleicht für Obama gestimmt haben, und jetzt gern überzeugt werden möchten, dass die Regierung ihre Interessen wahrnimmt.