Ratifizieren in Zeitlupe

Polen Auch wenn Polens Staatschef Kaczyński den EU-Reformvertrag nächste Woche unterzeichnen will, ist das Thema kaum abgehakt und wird die Präsidentenwahl 2010 überlagern

Wie Polens Präsident Lech Kaczyński auf das Abstimmungsergebnis in Irland unmittelbar reagierte, ist nicht bekannt. Doch es ist unbestreitbar – das "Ja" der Iren zum Lissabon-Vertrag zwingt ihn zum Handeln. Obwohl der Sejm bereits im April 2008 den Reformvertrag verabschiedete, verweigerte der EU-Skeptiker Kaczyński bisher seinen Segen, will das aber in einer Woche nachholen. "Erst wenn die Iren dem EU-Vertrag zustimmen, werde auch ich den Vertrag ratifizieren. Und dies sofort", erwiderte Kaczyński zuletzt seinen Kritikern in der EU und in Polen.

Im Duell mit Donald Tusk

"Wann unterschreibt Kaczyński denn endlich?", fragte nach dem irischen Referendum die polnische Presse und bekam zunächst aus dem Präsidialamt eine aus europäischer Sicht enttäuschende Antwort. "Der Präsident wird den Vertrag unterschreiben, doch diese Unterschrift eilt nicht", so Władysław Stasiak, Chef der Präsidialkanzlei. Eine Ankündigung, die vor allem Premier Donald Tusk beunruhigen musste. Seit April 2008 insistiert er, der Präsident möge doch endlich das Abkommen abnicken. Dies würde die Position Polens innerhalb der EU stärken, wurde Tusk nicht müde, seinen Appell zu begründen.

Doch der polnische Regierungschef wusste stets, dass die Weigerung Kaczyńskis mit seiner Person verbunden war. Seit seinem deutlichen Erfolg bei den Parlamentswahlen 2007 liefern sich Tusk und Kaczyński einen vorgezogenen Präsidentschaftswahlkampf, der eigentlich erst 2010 ansteht. Und zum Leidwesen Brüssels ist der Umgang mit der EU zu einer der Vorlagen der Konfrontation geworden. Diese Erfahrung machten die europäischen Partner nicht nur bei der Weigerung Kaczyńskis, den EU-Vertrag zu ratifizieren, sondern auch bei den regelmäßigen Gipfeltreffen der EU. In denen beansprucht Lech Kaczyński die Federführung, die er aus der gerade vom Verfassungsgericht bestätigten Richtlinienkompetenz des polnischen Staatschefs in der Außenpolitik ableitet. Das hat bereits dazu geführt, dass Polen bei diesen Konferenzen mit zwei Stimmen spricht. Dieser Streit überlagere auch die Ratifizierung des EU-Vertrags, ließ Regierungssprecher Władysław Stasiak keinen Zweifel.

Gegenleistungen beanspruchen

Es kommt hin, dass wegen einer "Glücksspiel-Affäre" und dem Rücktritt des Sportministers die Regierung Tusk momentan schwer angeschlagene ist. Wie am 6. Oktober bekannt wurde, hat Sejmmarschall Bogusław Komorowski dem vom Staatsbesuch in Rumänien zurückkehrenden Präsidenten ein so genanntes "Kompetenzgesetz" vorgelegt, das die Befugnisse des Präsidenten und die des Premiers klar voneinander trennt. Dies soll Lech Kaczyński so sehr entgegenkommen sein, dass es für ihn keine Barrieren mehr geben konnte, den EU-Vertrag zu ratifizieren.

Ob mit der angekündigten Unterschrift Kaczyńskis das Thema EU-Vertrag in Polen endgültig vom Tisch kommt, bleibt jedoch fraglich. Einige Abgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), aus deren Reihen Lech Kaczyński kommt, hatten an den Präsidenten appelliert, mit der Ratifizierung noch zu warten. "Irland hat mit der Ratifizierung des EU-Vertrags gezögert und davon profitiert. Als Gegenleistung für die zweite Abstimmung erhielt Irland von der Europäischen Union nicht nur Freiheiten bei der Gesetzgebung, sondern auch enorme Finanzhilfen. Es wäre besser, sich ein Beispiel daran zu nehmen und aus der EU soviel herauspressen, wie es nur geht", sagte Zbigniew Girzyński dem Online-Portal der polnischen Newsweek. Eine Meinung, die zwar nicht der offiziellen Haltung der nationalkonservativen PiS entspricht, die jedoch in den Reihen der Partei durchaus geteilt wird. Deshalb dürfte die PiS ihre EU-kritischen Politiker auch nicht zurückrufen, wenn diese, wie von Girzyński angekündigt, auch jetzt noch vor das Verfassungsgericht ziehen.


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