Wirtschaftsexperten bereiten den angekündigten „Reformen“ der schwarz-gelben Regierungskoalition schon jetzt öffentlich den Weg, um den neuen Kurs hoffähig zu machen
Die Koalitionsverhandlungen von Union und FDP hatten noch nicht begonnen, da setzte in den Medien ein alt bekanntes Rauschen ein. „Wirtschaftsexperten“ ließen ihre Ratschläge in die öffentliche Debatte tröpfeln.
Da forderte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, die Rücknahme der Rentengarantie. Da plädierte Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für eine Agenda 2015, warnte vor Korrekturen an der rot-grünen Umbaupolitik und erklärte die Rente mit 67 zur verteidigungswürdigen „Vernunft“. Da wünschte sich Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut eine Mindestsicherung statt Mindestlohn und die „Grundsanierung der Sozi
g der Sozialsysteme“. Da verlangte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, „in drei Jahren muss der Staat wieder raus sein aus dem privaten Bankensektor“.Im Mittelalter tingelten Scharlatane von Hof zu Hof, sagten die Zukunft aus Tierinnereien voraus. Heute tingeln „Wirtschaftsexperten“ durch die veröffentliche Meinung, prognostizieren konjunkturelle Entwicklungen und geben Ratschläge, wie die Wirtschaft anzukurbeln sei. Dabei verfolgen sie meist das Interesse der Unternehmer. Das wäre in einer pluralistischen Gesellschaft nicht weiter schlimm – dumm nur, dass sowohl die Politik als auch der Wähler die Expertisen nur allzu oft für neutral und wissenschaftlich fundiert halten.Immer noch. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich die Branche blamiert. Als die Finanzkrise im Oktober 2008 ihren Zenit erreichte, erklärte das DIW die realwirtschaftlichen Folgen der Krise für „beherrschbar“. Das IW beruhigte Politik und Medien mit der Vorhersage, dass „keinesfalls“ eine Rezession drohe. Nicht lange danach brach die Wirtschaft um 7,1 Prozent ein.Wofür benötigt man eigentlich Konjunkturforscher, wenn sie die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten noch nicht einmal dann erkennen, wenn das Land schon mitten darin steckt? „Ich erwarte von einem Klempner keine Vorhersage, wann die Toilette zerbricht“, sagt der US-amerikanische Wachstumsökonom und Nobelpreisträger Robert Solow, „sondern eine Reparatur.“ Die deutschen Wirtschaftsklempner haben nicht nur mit den Vorhersagen, sondern auch und vor allem mit der Reparatur ihre Probleme.Wer kennt sie nicht, die Pop-Ökonomen der Republik? Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht das fragwürdige Vergnügen hat, ihre Weisheiten serviert zu bekommen. Klaus Zimmermann, Norbert Walter, Thomas Straubhaar, Michael Hüther und ein paar weitere ihrer Kollegen sind über die Jahre zur medialen Instanz in ökonomischen Fragen geworden. Wenn man Lieschen Müller beispielsweise fragt, ob Mindestlöhne ökonomisch sinnvoll sind, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man eine wiedergekäute Weisheit der „Wirtschaftsexperten“ zur Antwort bekommt. Dass Mindestlöhne von vielen internationalen Koryphäen der Volkswirtschaft für sinnvoll gehalten werden, und selbst in Deutschland viele Ökonomen völlig anders argumentieren als einige wenige öffentlichkeitswirksame Kollegen, wird Lieschen Müller wohl nie erfahren. Das ist auch ein Problem der Medien, die alternativen Ansichten zu wenig Raum geben.Für die immer wieder gefragten „Wirtschaftsexperten“ ist eine Volkswirtschaft so etwas wie ein Unternehmen – je geringer die Abgaben und Kosten, desto rosiger die Zukunft. Volkswirtschaften sind allerdings keine Firmen – wenn man die Löhne senkt, profitieren davon lediglich die exportorientierten Unternehmen, jeder Euro, der in den Taschen der Arbeitnehmer fehlt, kann nicht ausgegeben werden und so Arbeitsplätze sichern oder schaffen. Die These, dass die steigenden Gewinne der Unternehmen auch bei den Arbeitnehmern ankommen, kann niemanden mehr überzeugen – seit dem Jahr 2000 explodierten die Primäreinkommen der deutschen Kapitalgesellschaften um 443 Prozent, während die Arbeitnehmerentgelte nur um vier Prozent stiegen. Der Niedriglohnsektor wächst stetig, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse sind vor allem für die jüngere Generation häufiger die Regel als die Ausnahme. Dies alles ist eine direkte Folge einer Politik, die den apodiktischen Einflüsterungen der „Experten“ folgte.Wer sind die eigentlich und warum sind ihre Ratschläge so einseitig? Viele der deutschen Wirtschaftslautsprecher sind entweder Mitarbeiter einer Bank, eines direkt von den Arbeitgeberverbänden finanzierten oder eines arbeitgebernahen öffentlichen Think-Tanks. Das Institut der deutschen Wirtschaft heißt nicht nur so. Und Thomas Straubhaar ist Botschafter der Metallarbeitgeber-Kampagne „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt nicht nur, welche Lieder gespielt wird, sondern auch, wer die Musik intoniert. Natürlich muss man sich als Leser oder Zuschauer nicht wundern, wenn ein arbeitgebernaher Ökonom auch arbeitgebernahe Ratschläge erteilt. Dennoch ist es keinesfalls unumgänglich, dass diese Ratschläge dann zu politischen und medialen Scheinwahrheiten werden.Ein Blick über den Atlantik zeigt, dass es auch anders gehen kann. Wer amerikanische Medien verfolgt, bekommt ein ganz anderes Bild von gesamtwirtschaftlichen Fragen. Dort spielen die Prediger der neoliberalen Angebotspolitik schon seit langem nicht mehr so eine exklusive Rolle. Stattdessen wird die Debatte von Ökonomen wie Paul Krugman, George Akerlof oder Joseph Stiglitz mitbestimmt, anerkannte Koryphäen, die das Allgemeinwohl als Ziel wirtschaftlichen Handelns ansehen. Allesamt im übrigen Nobelpreisträger.In Deutschland sieht es dagegen so aus, als würden nach dem Höhepunkt der Krise jene die Schlussfolgerungen aus dem Schlamassel prägen, die mit ihren Ratschlägen die Rezession mit verursacht haben. Der Staat, fordert Norbert Walter von der Deutschen Bank, müsse sich schnellstmöglich wieder auf die Rolle als „Schiedsrichter der Wirtschaft“ beschränken. Die Öffentlichkeit hat bei der Rettung der Banken ihre Schuldigkeit getan. Bis zum nächsten mal.