Politische Eiszeit

Minarett-Verbot Nicht die direkte Demokratie der Schweiz ist das Problem, sondern dass rechte Parteien sich ihrer bedienen und Ressentiments gegen „Fremde“ mobilisieren

Zunächst haben sich die wirtschaftlichen und politischen Eliten der Schweiz mit ihrem Kampf für das Bankgeheimnis, für Steuerbetrüger und Fluchtgeldschieber demontiert. Was den Oberen recht ist, ist den Unteren allemal billig: Jetzt schritt das Volk in der Abstimmung über eine Initiative, die den Bau von Minaretten verbieten und das baurechtliche Detail gleich in der Verfassung verankern will, zur Selbstdemontage. 57 Prozent der Bürger, die an der Abstimmung teilnahmen (53,4 Prozent), stimmten für das Verbot. Und auch die zweite Mehrheit, diejenige der 26 Kantone, wurde erreicht. Einzig die drei französischsprachigen Kantone Genf, Waadt und Neuenburg sowie Basel, die einzige weltoffene Stadt in der deutschsprachigen Schweiz, sagten Nein zum Verbot.

Natürlich ging es nicht um die Minarette, von denen es in der Schweiz ganze vier gibt. Die Kampagne setzte auf Ressentiments gegen Muslime und den Islam und mobilisierte angesichts steigender Arbeitslosigkeit in der Krise den alten alpenländischen Chauvinismus gegen Fremde. Die Kampagne, vom der deutschen Werbeagentur Goal und ihrem Geschäftsführer Alexander Segert konzipiert, trug teils rassistische, teils gar hetzerische Züge. Dies gilt insbesondere jenes Plakat, das eine Frau in einer Burka zeigt, die neben sieben Minaretten steht, die aus einer Schweizerflagge sprießen wie Raketen und angeblich die Schweiz bedrohen.

Das Resultat ist eine Sensation, denn außer der Blocher-Partei SVP und ein paar rechtsradikalen Sekten waren alle Parteien, alle Kirchen, die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände gegen das Verbot. Besonders peinlich ist die Niederlage für das Parlament, das die Initiative mit 70 Prozent der Stimmen ablehnte, aber die Volksabstimmung zuließ, obwohl das Minarett-Verbot gegen die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot verstößt. Da es in der Schweiz aus logisch-systematischen Gründen kein Verfassungsgericht gibt – in der direkten Demokratie hat das Volk das letzte Wort, nicht ein Gericht – wird nun der Europäische Gerichtshof entscheiden.

In Zürich und in Bern demonstrierten noch am Sonntagabend jeweils mehrere hundert, zumeist junge Menschen mit Transparenten, auf denen „Peinlich, Schweizer zu sein“ zu lesen war. Das ist ein kleiner Trost, verglichen mit der Tatsache, dass in 15 Kantonen jeweils zwischen 60 und 71 Prozent für das Verbot stimmten. Zum miserablen Ergebnis passt, dass am gleichen Tag eine Initiative, die den Kriegsmaterialexport verbieten wollte, mit mehr als einer Zweidrittelmehrheit (68 Prozent) abgelehnt wurde.

Was bedeutet das Resultat der Minarett-Abstimmung? Erstens: Die von der Frankfurter Allgemeinen lancierte Parole, wonach die direkte Demokratie und Volksabstimmungen automatisch einen „populistischen Faktor“ enthielten, ist falsch. Die direkte Demokratie hat nicht den Populismus eingebaut, sondern rechte und rechtsradikale Formationen bedienen sich des Instruments der direkten Demokratie gegen deren eigene Intentionen, um ihre trübe Suppe aufzukochen. Zweitens: Politisch isoliert sich die Schweiz, weil sie mit dieser Entscheidung das zivilisatorische Mindestniveau von Rechtsstaatlichkeit und Toleranz unterbietet. Die zu erwartende Ohrfeige vom Straßburger Gerichtshof wird das Image des Landes vollends ruinieren. Drittens: In der Wahlnacht brach in den Alpen der Winter ein. Politisch könnte es eine Eiszeit werden.

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