Fahrten mit der Achterbahn

START-Vertrag Den Verhandlungen zwischen den USA und Russland über ein neues START-Abkommen bleibt noch eine Restlaufzeit. Solange feilen beide an ihren Nukleardoktrinen

Zwar haben die START-Unterhändler Rose Gottemoeller und Anatoli Antonow seit Wochen pausenlos verhandelt, aber das versprochene Nachfolgeabkommen für den vor wenigen Tagen ausgelaufenen START-Vertrag zum Abbau der strategischen Offensivwaffen lässt auf sich warten. Beide Seiten streiten, wie verifiziert werden soll, was künftig an Obergrenzen für Atomsprengköpfe und Trägersysteme gelten könnte. Beim bisherigen START-Vertrag brauchte es 700 Seiten, um das Kontrollregime zu skizzieren. Für das anstehende Abkommen darf mit einem ähnlichen Kompendium gerechnet werden, wenn es gilt, die Zahl nuklearer Gefechtsköpfe auf jeweils 1.675 bis 1.500 und deren Träger auf maximal 1.100 zu reduzieren.

Gewiss hat sich in den Beziehungen zwischen Washington und Moskau in diesem Jahr einiges bewegt. Der Kreml übernahm die von Obama verkündete Vision einer atomwaffenfreien Welt – die Obama-Regierung befreite sich von Erblasten der vorherigen Administration und verzichtete auf Anti-Raketensysteme vor Russlands Westgrenze. Auch der nach dem Kaukasus-Krieg vom August 2008 eingeschläferte NATO-Russland-Rat ist reanimiert.

Partner oder Alliierter

Bei alldem bleibt ungeklärt, ob Obama Russland als ebenbürtigen Partner will oder als hilfreichen Alliierten braucht, der einen amerikafreundlichen Part etwa in der Iran- oder Nordkorea-Politik übernimmt. Auch hat der US-Präsident bisher absolut nichts getan, um einem „Krieg der Sterne“ abzuschwören. Kein Wunder, wenn Staatschef Medwedjew die eigene Rüstungsindustrie anspornt, der Armee „die besten Waffen der Welt“ zu liefern, von deren Qualität das Leben russischer Soldaten abhänge: „Besonders gilt das angesichts möglicher Konflikte, die dort entstehen können, wo wir sie derzeit gar nicht erwarten.“ So wird die Nuklearstrategie auf Eventualitäten hin zugeschnitten. Nikolai Patruschew, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates: „In einer für unsere Sicherheit kritischen Lage ist ein Kernwaffenschlag gegen den Gegner – auch ein präventiver – nicht auszuschließen.“

2010 jedenfalls liegt Russlands Militärbudget bei einer Billion Rubel (23 Milliarden Euro), bekommt die Armee 30 land- und seegestützte ballistische Raketen zusätzlich, soll die Marine drei neue Atom-U-Boote in Dienst nehmen – unsere Streitkräfte werden möglichst schnell umgerüstet, um jedwedem Gegner gewachsen zu sein, beruhigt Medwedjew die Duma. Kurz zuvor hatte er ein Gesetz unterzeichnet, das Auslandseinsätze erleichtert. Demnach können russische Truppen intervenieren, um Angriffe auf eigene Soldaten oder eigene Staatsbürger abzuwehren. Und während des jüngsten APEC-Gipfels verkündete der Kremlchef von Bord des Raketenkreuzers Warjag, der gerade in den Hafen von Singapur einlief: „Russland kann nur dann als vollwertige Seemacht gelten, wenn es eine echte Seekriegsflotte hat.“

Abschreckung statt Abrüstung

Auf Seiten der USA machen die Abrüstungsgegner mobil, auch wenn die Rüstungsausgaben mit etwa 700 Milliarden Dollar astronomisch hoch bleiben. Das Pentagon argumentiert, ein Grundstock von mehreren tausend Nuklearwaffen werde für eine „erweiterte Abschreckung“ gebraucht. Mindestens noch 40 Jahre würden Kernwaffen für die USA unverzichtbar sein, meint der Kommandeur des für alle Nuklear-Streitkräfte zuständigen Strategic Command, General Kevin Chilton. Auf dem Spiel stehe das Vertrauen der Alliierten in die Bereitschaft zur Verteidigung Europas. Im Frühjahr hatte Obama den Haushalt für das Reliable Replacement Warhead-Program (zuverlässige Ersatz-Atomsprengköpfe) zur Modernisierung der B 61-Bombe in den nächsten Jahren gesperrt. Doch ließ es der US-Senat damit nicht bewenden und beschloss, das US-Atomarsenal nun über das Life Extension Program (Betriebszeitverlängerung) zu überholen. Kosten: 32,5 Milliarden Dollar. Weitere 15 Milliarden sollen fließen, sobald die Regierung in ihrem zum Jahresende fälligen Bericht zur Zukunft des US-Nuklearpotentials (Nuclear Posture Review) bestätigt, dass eine neue Bombe gebraucht wird. Die Initiatoren haben das Projekt raffiniert formuliert: Statt der vier alten Typen der B 61 solle es bald nur noch eine einzige Version geben. Man folge so der Vision von einer Welt ohne Atomwaffen und sorge dafür, auf dem Weg dorthin ein „sicheres und effektives Arsenal“ vorzuhalten, das jeden Gegner abschrecke. Eine schizophrenes Raster, erst aufrüsten und modernisieren, um danach – vielleicht – abzurüsten.

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