Der Streit um den Kandidaten Gauck hat die rot-rot-grüne Eiszeit auf Bundesebene verlängert. Das war so gewollt. Die Gegner eines Bündnisses werden frohlocken
Für Angela Merkel und die Bundesregierung wurde der Mittwoch zur Niederlage. Deutlicher kann ein Signal des Misstrauens kaum ausfallen – und dabei spielt es weder eine Rolle, ob es Unionsvertreter oder Liberale waren, die Christian Wulff in den dritten Wahlgang schickten, noch dass der Niedersachse am Ende dann doch die Wahl zum Bundespräsidenten gewann. Das ohnehin angeschlagene schwarz-gelbe Bündnis geht mit einer schweren Hypothek in die Sommerpause. Aber die Opposition trottet mit ebensolchem Gepäck hinterher.
Man muss nicht in Euphorie ausbrechen, wenn von rot-rot-grünen Optionen die Rede ist. Wer an der Regierung ist, hat noch nicht die Macht. Rechnerische Mehrheiten machen noch keine gesellschaftliche Hegemonie. Namen ersetzen keine politischen Projekte
n Projekte. Und doch kann man die Meinung vertreten, dass sich auf dem Spielfeld parlamentarischer Politik nur etwas ändern wird, wenn SPD, Grüne und Linkspartei zusammenfinden.Das geht den einen nicht weit genug, den anderen ist es schon zu viel. Und es sind diese Pole auf beiden Seiten des Oppositionslagers, spielbildliche Brüder im entgegengesetzten Geiste, die nun als Sieger dastehen: Die Debatte um den Kandidaten Joachim Gauck und der Verlauf der Bundesversammlung verlängert die rot-rot-grüne Eiszeit, sie gibt jenen für die Zukunft „Argumente“ in die Hand, die wie – maßgebliche Sozialdemokraten und Grüne – entweder andere Koalitionsfarben anstreben oder – wie manche in der Linkspartei – darauf setzen, in der Daueropposition besseren Zeiten entgegenzuwachsen.Die Szenen, die sich im und um den Reichstag herum nach dem zweiten Wahlgang abspielten, erzählen daher nicht nur die Geschichte eines Politkrimis, der von großem medialen Echo begleitet wurde. Sondern auch das Drama einer anhaltenden und gewollten Entfremdung. Da traten SPD-Wahlmänner vor die Kameras und warfen der Linkspartei „Hass“ vor. Da platzten Grüne einfach so in die Pressekonferenz der Linken – worauf Gregor Gysi empört zurückkeilte. Man muss sich nur anschauen, was Bundestagsabgeordnete und ihre Entourage an diesem Mittwoch so alles twitterten. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck sagte vor der entscheidenden dritten Runde, die Bundesversammlung werde „für die nächsten Jahre klimatisch viel determinieren“. Er wird Recht behalten.Schuldvorwurf gegen die LinkeAnders als die meisten Sozialdemokraten und Grüne mit ihrem Gebetsmühlenvorwurf, die Linkspartei trage die alleinige Schuld. Woran eigentlich? Dass es im ersten Wahlgang für Gauck zur absoluten Mehrheit gereicht hätte, wenn er auch die 126 Stimmen für Luc Jochimsen bekommen hätte? Oder daran, dass sich schon im zweiten Wahlgang abzeichnete, dass auch keine Drohungen etwas an den rechnerischen Verhältnissen in der Bundesversammlung ändern würden und Wulff spätestens dann, wenn eine einfache Mehrheit reichen würde, ohnehin gewinnt? Mal abgesehen davon, dass jene am lautesten gegen die Linkspartei krakeelten, denen es nicht so wichtig war, dass Landesregierungen zustande kommen, die weit mehr hätten bewegen können als ein Bundesnotar. Zudem: Wer ein gemeinsames Leuchtsignal gegen Schwarz-Gelb verlangt, hätte auch bei der Auswahl des Fackelträgers auf Kooperation setzen müssen. SPD und Grüne haben das nicht getan und später verlangt, die Linke solle sich ihrem Willen beugen. Hinzu kommt, dass Joachim Gauck als Mann selbst eines ganz zaghaft verstandenen Politikwechsels eine Fehlbesetzung war. Das Gerede vom „Präsidenten der Herzen“ täuscht darüber nicht hinweg.Umgekehrt muss sich die Linkspartei ihre Strategie vorwerfen lassen, zu der sie griff, nachdem Gauck nominiert war. Was wird von ihrem Auftreten im Gedächtnis bleiben? Die wenigen Versuche, sich einmal wirklich mit dem Freiheitsbegriff des rot-grünen Konservativen auseinanderzusetzen, an dem man den eigenen so trefflich hätte schärfen und popularisieren können? Die Kritik, der Mann stehe für den Afghanistankrieg und die Agenda 2010? Die eigene Kandidatin, von der mancher der Parteifürsten in Interviews nicht einmal sprach? Eben nicht. Die Linkspartei hat bei dem – aus ihrer Sicht völlig berechtigten – Versuch versagt, eine Bundesversammlung und die ihr vorausgehende, mehr als sonst politisierte Debatte, als Bühne eigener Vorstellungen zu nutzen.Ruinierter MaßstabSie kann das nicht allein auf die Medien schieben. Sie hat auch mit sich machen lassen, dass daraus ein geschichtspolitischer Zirkus wurde – und zu wenige haben bemerkt, dass es die eigene Partei ist, welche da durch die Manege gezogen wird. Natürlich ist der Vorwurf unsinnig, die Linke habe sich als eine Art altstalinistischer Verein präsentiert, der seine DDR-Vergangenheit nicht abstreifen könne. Weder ist das eine richtig, noch kann das andere verlangt werden. Aber die Linke hat dem Kandidaten Gauck selbst seine DDR-Vergangenheit vorgehalten. Ein Vorwurf, der genau auf der Linie undifferenzierten Umgangs mit DDR-Biografien liegt, die an ihm, dem Aktenverwalter stets kritisiert wurde. Die Linkspartei hat zu Recht immer wieder bemängelt, dass ihr 20 Jahre nach der Wende die Vergangenheit vorgehalten wird – statt mit ihr über jene Themen zu streiten, welche die Menschen hier und jetzt interessieren. Diesen Maßstab für die politische Auseinandersetzung hat man mit dem „Privilegien-Vorwurf“ gegen Gauck nun selbst ein Stück ruiniert.Der lange Tag der Bundesversammlung kennt viele Verlierer. Als Sieger können sich nur wenige fühlen – darunter sind jene, die einer rot-rot-grüne Optionen auf Bundesebene möglichst viele Steine in den Weg legen wollen.