Sadristen senken den Daumen

Irak Die Karriere von Nuri al-Maliki, des von den USA gestützten Premiers in Bagdad, ist de facto beendet. Eine parlamentarische Mehrheit bleibt ihm verwehrt

Die Sadristen, wie die Anhänger des schiitischen Predigers Muqtaba al-Sadrs genannt werden und denen bei der Bildung der nächsten irakischen Regierung die Rolle der Königsmacher zufällt, haben bestätigt, was sich schon lange abzeichnet. Sie werden eine Kandidatur von Premier Nuri al-Maliki für eine zweite Amtszeit nicht unterstützen. Damit ist die Karriere des von den USA gestützten Amtsinhabers de facto beendet. Die Entscheidung der Sadristen verlängert fünf Monate politischen Stillstand, der das Land seit der Parlamentswahl vom 7. März erfasst hat. Eine Situation, in welcher der Irak wohl führungslos sein wird, wenn 15.000 US-Soldaten am 31. August das Land verlassen werden.

Präferenz für al-Dschafari

Viele sehen die Absage der Sadristen als möglichen Befreiungsschlag, um einer festgefahrenen und vor allem destabilisierenden Lage zu entkommen, von der viele glauben, dass sie zu einer steten Zunahme der Gewalt geführt hat. Nasser al-Rubaie, Vorsitzender des politischen Blocks der Sadristen, teilt mit, er habe al-Maliki eröffnet, er müsse das Amt aufgeben, wenn seine Partei die Unterstützung der Sadristen für eine mögliche Koalitionsregierung erhalten wolle, die nur ohne den jetzigen Regierungschef denkbar sei.

In der Tat wäre ohne Plazet des anti-westlichen Geistlichen Muqtada al-Sadr keiner der beiden großen, rivalisierenden Blöcke in der Lage, eine Regierung zu bilden. Das gilt auch für den Kopf der Irakischen Nationalbewegung, Iyad Allawi, der noch im Juli bei einem Treffen in Damaskus öffentlich um al-Sadrs Beistand geworben hatte.

Andererseits deutete Nasser al-Rubaie auch an, der Gipfel in Damaskus habe die Sadristen nicht dazu veranlasst, sich vom schiitischen Block abzuspalten, der Allawis überkonfessionelle Allianz kaltzustellen droht. Vielmehr würden die 40 Parlamentarier der Sadristen im künftigen Parlament den ehemaligen Übergangs-Premier Ibrahim al-Dschafari unterstützen. Der regierte den Irak 2005 und damit am Vorabend des Ausbruchs eines ausgewachsenen religiösen Chaos.

Furcht der Amerikaner

Das Verhältnis zwischen den Sadristen und al-Maliki war seit geraumer Zeit angespannt, erstere werfen ihm vor, er habe es zugelassen, dass die USA 2007 und 2008 das Viertel Sadr City in Bagdad bombardierten, und sich nicht an sein Versprechen gehalten, 400 Sadristen freizulassen, die im Vorjahr von den US-Streitkräften an die Regierung ausgeliefert wurden.

„Wann immer wir ihn um etwas baten, stimmte er zu und hielt sich dann an keines seiner Versprechen“, so al-Rubaie. Die Bekanntmachung der Entscheidung gegen Maliki überließ er dem ehemaligen stellvertretenden Premier Ahmad Tschalabi, dessen Irakischer Nationalkongress (INC) sich mit den Sadristen verbündet hat. Doch sowohl Tschalabi als auch al-Dschafari sind bei der US-Regierung äußerst unbeliebt. Sie wirft Tschalabi vor, der habe falsche Informationen geliefert, von denen sich die damalige Bush-Administration ermuntert fühlte, 2003 im Irak zu intervenieren. An al-Dschafari wiederum hat man in Washington auszusetzen, dass es ihm seinerzeit als Regierungschef nicht gelungen ist, das Land vor einem Abgleiten in die religiöse Krise zu bewahren.

Unterdessen erklärten die irakischen Behörden, im Juli habe es die höchste Zahl von Todesopfern seit dem Sommer 2008 gegeben. 535 Menschen seien bei Attentaten und Schusswechseln getötet worden – 1.043 verwundet. Diese Angaben werden allerdings von US-Militärs angefochten, die von 222 Getöteten ausgehen. Die USA fürchten seit langem ein Szenario, wonach sie Ende August mit 15.000 Mann ein Land verlassen, das ohne handlungsfähige Regierung dasteht. Ebenso empfindlich reagieren sie auf den Befund, die Gewalt nehme zu und die Versorgung der Bevölkerung habe sich in den vergangenen sieben Jahren kaum verbessert.

Übersetzung: Christine Käppeler

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Geschrieben von

Martin Chulov | The Guardian

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