Löschen und leben lassen

Medienethik Menschenrechtler haben Wikileaks gebeten, Namen aus den Afghanistan-Protokollen zu tilgen. Die Reaktion von Sprecher Julian Assange deutet auf ein schweres Zerwürfnis hin

Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben die Enthüller-Plattform Wikileaks aufgefordert, mehrere tausend Namen aus den so genannten Afghanistan-Protokollen zu entfernen, da sie „tödliche Konsequenzen“ für darin genannte Afghanen fürchten. Fünf Organisationen, darunter "Amnesty International" und das "Open Society Institute", haben laut dem Wall Street Journal Wikileaks angeschrieben, um Bedenken angesichts der kürzlich veröffentlichten Protokolle anzumelden.

In ihrer E-Mail schreiben sie: „Wir sehen, welche negativen, teilweise tödlichen Konsequenzen es für Afghanen hat, wenn bekannt wird, dass sie für die internationalen Streitkräfte arbeiten oder mit ihnen sympathisieren. Wir bitten dringendst darum, dass ihre Freiwilligen und Angestellten alle Dokumente untersuchen, um sicher zu stellen, dass diejenigen, die identifizierende Informationen enthalten, entfernt oder redigiert werden.“

Erica Gaston, Afghanistan-Expertin der "Open Society Initiative" bestätigte, dass ihre Stiftung beunruhigt darüber sei, dass Wikileaks die Namen nicht unkenntlich gemacht hat. „Wir sind besorgt über die Konsequenzen. Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA, hat einen Bericht über den Schutz der Zivilbevölkerung in Afghanistan veröffentlicht. Einer der erschreckendsten Trends, die darin beschrieben werden, ist, dass die Zahl der Morde im vergangenen Jahr in die Höhe geschnellt ist“, sagte Gaston dem Guardian.

"Neue Angriffsziele"

„Die Taliban haben angekündigt, dass sie die Dokumente auf Namen überprüfen werden. In der Vergangenheit haben sie Menschen getötet, wenn bekannt wurde, dass sie mit den internationalen Truppen zusammenarbeiten. Das ist unsere größte Sorge. Alle, die sich schon einmal hilfesuchend an Wikileaks gewandt haben, begrüßen den Gewinn an Transparenz. Aber alle, die vor Ort in Afghanistan arbeiten, wissen, dass man dafür garantieren muss, Quellen und Zivilisten durch das eigene Vorgehen nicht in Gefahr zu bringen. Bei der Veröffentlichung von Dokumenten kann in bestimmten Fällen die Transparenz auch dann gewährleistet bleiben, wenn die beteiligten Namen geändert werden“, so Gaston.

"Wir fürchten, dass die Namen neue Angriffziele schaffen können“, erklärte nach Angaben von AFP auch der Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, Nader Nadery. Wikileaks-Sprecher Julian Assange antwortete auf den Brief, indem er die Organisationen darum bat, Wikileaks zu helfen, die Namen zu redigieren. Dem Wall Street Journal zufolge soll er damit gedroht haben, Amnesty bloßzustellen, sollten sie sich weigern, Personal zur Verfügung zu stellen, das bei dieser Aufgabe hilft.

Das Pentagon hat vergangene Woche den Druck auf Wikileaks verstärkt, die Dokumente zu löschen. Assange wiederum sagte, Wikileaks habe versucht, einer vertraulichen Anfrage aus dem Weißen Haus nachzukommen, die Namen der Informanten vor der Veröffentlichung zu redigieren, doch die US-Behörden hätten es abgelehnt, dabei behilflich zu sein. Am Sonntag verlieh er seinem Frust via Twitter Ausdruck: „Das Pentagon will uns zu Grunde richten, indem es sich weigert, bei der Nachbearbeitung zu helfen. Die Medien wollen keine Verantwortung übernehmen. Amnesty auch nicht. Was sollen wir tun?“, twitterte er.

Schweres Zerwürfnis

15.000 der 91.900 Dokumente hat Wikileaks bisher nicht veröffentlicht, um Informanten zu schützen. Der Guardian, die New York Times und der Spiegel konnten die Dokumente vor der Enthüllung durch Wikileaks einsehen und veröffentlichten nur überarbeitete Auszüge, in denen Details zu Individuen entfernt worden waren. Guardian-Redakteur Chris Elliot hat kürzlich erklärt, welche Schritte die Zeitung unternahm, bevor sie die Auszüge veröffentlichte.

Der Streit zwischen Assange und den Menschenrechtsorganisationen deutet auf ein schweres Zerwürfnis hin. Im vergangenen Jahr hatte Assange noch den Media Award in der Kategorie New Media von "Amnesty International" für die Enthüllung von Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren in Kenia verliehen bekommen.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Matthew Weaver | The Guardian

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