Der Freitag
: Herr Erös, was läuft bei der Hilfe für das überflutete Pakistan schief?
Reinhard Erös
Die Auseinandersetzung mit den Taliban...
… führt doch ohnehin derzeit niemanden weiter. Warum nicht für zwei Wochen einen Waffenstillstand mit den Taliban versuchen, um den übrigens vorwiegend paschtunischen Betroffenen im pakistanischen Norden zu helfen? Es würde die Taliban in die Enge treiben, darauf nicht einzugehen. Die Politiker gefallen sich doch inzwischen darin, von AFPAK zu reden, weil Afghanistan und Pakistan zusammen gedacht werden müssen: Bitte schön, hier wäre es nötig.
Das Wasser ist mittlerweile allerdings im Süden angekommen.
Genau, dort leben weniger Paschtunen, sondern Angehörige der pakistanischen Eliten: Plötzlich interessiert sich deshalb auch die pakistanische Regierung erst wirklich für die Katastrophe. Die pakistanischen Bemühungen werden sich eher auf den Süden, den Sindh, richten. Im Norden aber, im Swat-Tal, ist das Wasser ja noch nicht weg, die Welle vielleicht, aber das Wasser steht dort, und wo es nicht steht, haben die Menschen nichts mehr, gar nichts. Die Ernte ist weg, das Saatgut ist weg, die Vorräte sind weg – und die Menschen sind doch schon geschwächt. Wenn nicht sofort wesentlich mehr passiert, erwarte ich in den kommenden vier bis fünf Wochen eine sechsstellige Zahl von Todesopfern.
Ein erstes AWACS-Flugzeug der Nato ist am Sonntag vom Stützpunkt Geilenkirchen mit Hilfsgütern gestartet, ist das nichts?
Nein, das ist nichts, denn bislang habe ich erstens von keinem einzigen weiteren Flugzeug gehört. In Aussicht gestellt wurde der Transport von 500 Tonnen Material pro Woche, das ist lächerlich! Das ist an Gewicht die Hälfte davon, was die Bundeswehr jährlich allein an Alkohol für die Soldaten nach Afghanistan fliegt.
Es hat mehr als ein Geschmäckle, wenn jetzt die Notwendigkeit der westlichen Hilfe damit begründet wird, dass man den islamistischen Parteien zuvorkommen müsse, die sonst mit ihrer Hilfe auch die Herzen der Menschen gewännen.
Und doch ist es das Wichtigste, Naheliegendste und Drängendste, jetzt eine ganz große Katastrophe zu vermeiden, indem man den Menschen zeigt, was Nato-Hubschrauber auch noch alles können. Lufttransport ist nun einmal die entscheidende Fähigkeit, die die Nato den Islamisten und übrigens auch allen anderen Institutionen voraus hat, und wenn damit am wirksamsten geholfen werden kann, umso besser. Und warum nicht die Tornados zur Aufklärung einsetzen, wo überall noch Menschen von der Außenwelt abgeschnitten sind?
Wo, denken Sie, liegt die Hauptblockade?
Jedenfalls nicht bei den Soldaten. Ich wette, dass von 100 Bundeswehrsoldaten 95 glücklich wären, ihr Lager in Afghanistan sofort zu verlassen und in Pakistan mit anzupacken. Katastrophenhilfe mit der Nato hat in den vergangenen Jahrzehnten immer auch daran gehangen, welches Interesse die Spitzenmilitärs dafür mitbrachten. Das schwankt daher mit der enormen Personal-Fluktuation im Apparat.
Das Gespräch führte Ulrike Winkelmann
Der ehemalige Bundeswehrarzt Reinhard Erös und seine Frau Annette Erös betreiben mit ihren mittlerweile erwachsenen Kindern die "Kinderhilfe Afghanistan", die seit vielen Jahren ausschließlich mit gespendetem Geld Schulen und Waisenhäuser in Afghanistan baut. Gegenwärtig ist Erös in den afghanischen Flüchtlingslagern in Nord-Pakistan, um dort an der Fluthilfe teilzunehmen