Die FDP will die Embryonenauswahl im Reagenzglas freigeben und fordert damit den Koalitionspartner heraus. Mittlerweile finden sich in allen Parteien PID-Anhänger
Der Streit ist so alt wie die Methode, und wenn es überhaupt einmal einen „Sündenfall“ gegeben hat, dann, als das erste Kind, Louise Brown, in der Retorte gezeugt wurde. Mittlerweile ist mit dem Nobelpreis für Robert Edwards nicht nur die Künstliche Befruchtung buchstäblich „nobilitiert“, sondern es gehört zum Alltag der gynäkologischen Praxis, dass der Fötus auf Krankheiten oder „Abweichungen“ untersucht und in einem relativ späten Stadium gegebenenfalls abgetrieben wird.
Vielen erscheint es im Hinblick auf die betroffenen Frauen und auch das ungeborene Kind deshalb humaner, den Zeitpunkt der Selektion möglichst weit nach vorne zu schieben, wenn noch vom Embryo die Rede ist und nicht vom Fötus. Dass
tus. Dass man bei der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) die Produkte im Reagenzglas einer genaueren Analyse unterziehen und den geeignetsten Vertreter des potenziellen Nachwuchses auswählen, zumindest aber schlimme Behinderungen, Erbkrankheiten und Mehrlinge ausschließen könnte, ist für die FDP ein Weg, den Menschen auf das Niveau seiner reproduktiven Möglichkeiten zu heben. Bestärkt fühlt sie sich durch das Urteil des Bundesgerichtshofs, das im Sommer entschied, das Präimplantationsdiagnostik (PID) genannte Verfahren widerspreche nicht grundsätzlich dem Embryonenschutzgesetz: Vor allem deshalb nicht, weil die Diagnostik 1990, als das Gesetz verabschiedet wurde, noch nicht bekannt war und deshalb gar keine Berücksichtigung finden konnte. Die FDP jedoch liest die Stellungnahme des Gerichtes als Aufforderung, die PID in Deutschland endlich salonfähig zu machen und bastelt an einem Papier, das vor allem den Koalitionspartner Union unter Druck setzen wird. Gefordert wird, dass Embryonen auf genetische „Fehler“ untersucht und aufgrund eines von einem Fachgremium (unter Umständen der Bundesärztekammer) aufgestellten Indikationenkatalogs ausgesondert werden können. So überraschend, wie mancher Kommentar dies nahe legt, ist dieser Vorstoß nicht, schließlich war es die FDP, die Mitte des Jahrzehnts erstmals die Freigabe der PID forderte und damit unwillentlich jene Aussprache im Bundestag provozierte, die wegen ihres Parteigrenzen überschreitenden Charakters als „Sternstunde“ in die Parlamentsgeschichte einging.Ob heute noch einmal ein Stern aufginge und sich eine vergleichbare Konstellation herauskristallisieren würde, die damals zur mehrheitlichen Ablehnung der PID geführt hat, darf bezweifelt werden. Wie sehr sich die Positionen verschoben haben, lässt sich in der demnächst erscheinenden Nummer des Genethischen Informationsdienstes (GID) nachlesen, in dem alle im Bundestag vertretene Fraktionen zur PID Stellung nehmen. Bemerkenswert ist nicht nur die argumentative Nähe zwischen FDP und Linkspartei, die beide auf die Rechte der Frau oder das „Selbstbestimmungsrecht der Eltern“ abheben, auch die biotechnologische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, kann sich die Anwendung „in einem genau definierten Rahmen“ vorstellen. Damit liegt sie auf Linie mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Enquete-Kommission, René Röspel (SPD), der wie die Grünen ein Fortpflanzungsmedizingesetz fordert, in dem auch andere Bereiche der Reproduktionstechnologie wie Eizellspende oder der Umgang mit eingefrorenen Embryonen geregelt werden soll.Am konsequentesten verweigert sich die Union der PID, die „unschuldiges menschliches Leben“ als „wertvoll und uneingeschränkt schützenswert“ befindet, wie Bioethikberichterstatter Rudolf Henke bekräftigt. Offiziell wird er unterstützt von CDU-General Hermann Gröhe, der auf das PID-Verbot im Grundsatzprogramm verweist. Möglicherweise wird in der Unions-Zentrale dabei nicht nur an christliche Grundüberzeugungen, sondern in der aktuellen Situation auch an den abbröckelnden rechten Rand der Partei gedacht. Es gibt nämlich andererseits eine Reihe vor allem jüngerer Unions-Abgeordneten, die sich einer bedingten Zulassung der PID nicht verschließen würden – darunter übrigens auch die wissenschaftsaffine Kanzlerin.Nun ist die Betroffenenperspektive in der Auseinandersetzung um bioethische Fragen immer das zugkräftigste Vehikel, denn wer wollte leugnen, dass es dramatische Schicksale gibt und das Leben mit kranken oder schwer behinderten Kindern nicht immer nur mit Sonne beschienen wird. Wenn aber Reproduktionsmediziner wie kürzlich wieder einmal Heribert Kentenich im Tagesspiegel die Freigabe der PID fordern, und dieser außerdem die vollständige Kostenübernahme der IVF durch die Kassen fordert, weil alles andere „Zweiklassenmedizin“ und nur so dem demographischen Menetekel ein Schnippchen zu schlagen sei, darf doch zumindest nach Interessen gefragt werden. Sollen sich eigentlich alle Frauen „bei Verdacht“ und um kranke und behinderte Kinder zu verhindern, künftig einer künstlichen Befruchtung unterziehen? Und muss erlaubt werden, was anderswo möglich ist, nur damit Paare nicht ins Ausland reisen?Individuelle Wahlmöglichkeiten stellen vor Entscheidungsaufgaben, von denen im Falle der PID auch diejenigen betroffen sind, die gar nicht mitentscheiden können, die noch ungeborenen Kinder. Die Eltern geraten dadurch in ein neues Verantwortungs- und Schuldverhältnis der nächsten Generation gegenüber. Gleichzeitig sind es aber Spezialisten, die begutachten, was lebenswert ist und was nicht, ihrem Urteil müssen Eltern vertrauen. Das das führt auch zu einer neuen, nicht zu unterschätzenden Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Wer die PID freigeben will und dafür die subjektiven Rechte der Eltern in Stellung bringt, sollte diesen Zusammenhang nicht unterschlagen.