Finanzthriller als Datenbank

Aufklärung Das Anti-Einflüsterer-Portal "Lobbypedia.de" startet. Der "Freitag" hat vorab einen Blick in die Datenbank geworfen

Auf den ersten Blick erinnert alles an Wikipedia. Das Layout, der Name, die Gliederung, die Einträge. Vielleicht etwas mehr Orange. Aber ansonsten kann man sich durchklicken vom "Politikfeld Rüstung" über Harmut Mehdorn bis zur Geschichte und Architektur des Regierungsviertels. Doch im Gegensatz zu Wikipedia hat Lobbypedia einen klaren Fokus: Informationen über Lobbygruppen und deren Strategien sammeln. Das Geflecht aus Politikern, Journalisten und Lobbyisten soll entknotet und einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht werden – und zwar gebündelt und sachlich. So erfährt man auf den Seiten, wann Joschka Fischer nach seinem Ausscheiden als Außenminister in die Dienste von BMW, Siemens und RWE eingetreten ist und dass Gerhard Schröder schon 2003 mit Bankern und Politiker darüber beraten hat, eine Bad Bank zu gründen. Am 28. Oktober um 10 Uhr 28 geht das Internetportal online.

Hinter dem Projekt steckt der gemeinnützige Verein Lobby Control aus Köln, der den Einfluss von Unternehmen und PR-Agenturen auf die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit transparent machen will. Die Idee für das Portal sei schon während der Weltfinanzkrise entstanden, sagt Projektleiter Elmar Wigand. Politiker hätten im Schnellverfahren Milliarden Euro an Banken gezahlt. Und kaum jemand konnte sagen, wie die Finanzleute die Politiker beeinflusst hatten. "Was wir bekämpfen wollen ist das Phänomen des Seitenwechsels, aber auch die Unterwanderung von Regulierungsbehörden durch die Finanzlobby", sagt Wigand.

Mittel gegen mediale Amnesie

Anfang des Jahres noch hatte Wigand überlegt, Lobbypedia in Wikipedia zu integrieren. Doch dann entschied er sich dagegen. Zwar ließe sich auch in Wikipedia-Einträgen der Bankensektor zuweilen kritisch analysieren. Doch Unternehmen und PR-Agenturen bearbeiteten inzwischen die Seiten, um ihre Positionen zu stärken. Das ist auch der Grund, warum bei der Lobbypedia Freiwillige zwar mitmachen sollen, aber erst nach Anmeldung: "Wir setzen uns nicht dem freien Spiel der Kräfte aus."

Nicht jeder kann bei Lobbypedia Einträge bearbeiten oder einstellen. Zu groß ist die Angst, dass Lobbyisten mitschreiben, ein paar hätten sich sogar schon gemeldet. So kümmern sich derzeit nur vier Redakteure um die Seite. Wer sich auf Lobbypedia anmeldet, kann lediglich auf den Diskussionsseiten ohne weiteres zu Wort kommen, die es zu den Artikeln gibt. Nach Experten für die Finanzwelt wird aber händeringend gesucht. "Die müssen nur anrufen", sagt Wigand. Bis dahin sammelt die kleine Gruppe im Alleingang Daten über Verbände, Konzerne, Lobbygruppen, PR-Leute, schreibt Einträge über deren Verwicklungen, Treffpunkte und Strategien.

Im Moment konzentriert sich die Arbeit vor allem auf drei Schwerpunkte: den Finanzsektor, den Konflikt um Stuttgart 21 und die Baulobby. Langfristiges Ziel sei es, eine Politik zu fördern, die am Gemeinwohl ausgerichtet sei und nicht an Einzelinteressen: "Lobbypedia soll als Werkzeug für kritische Bürger und Journalisten dienen, sowie als Langzeitgedächtnis gegen mediale Amnesie."

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