Es war vor einem Jahr, ein Streit „großer Männer“ hatte die Linke gerade in eine tiefe Krise geführt, da wurde Gesine Lötzsch gefragt, ob sie sich vielleicht selbst für eine gute Kandidatin im Rennen um den Parteivorsitz halte. „Wenn die Probleme am größten sind“, antwortete Lötzsch damals, „wird nach Frauen gerufen.“ Im Übrigen werde sie Entscheidungen treffen, wenn diese anstehen.
Dass es kurz darauf soweit sein würde, mag Lötzsch da längst geahnt haben. Oder gehofft. Von Anfang an dabei, hatte die Philologin in der PDS auch dann noch Erfolge vorzuweisen, als die Partei längst totgesagt war. Bezirksverordnetenversammlung, Landesvorstand, Abgeordnetenhaus, Bundestag – Lötzsch hol
;tzsch holte das Direktmandat im Jahr 2002, als die PDS aus dem Parlament flog. Die Bilder von ihr und Petra Pau, die an Beistelltischchen sitzend die Ehre der Partei retteten, sind an der Basis im Osten nicht vergessen. Es sind Erinnerungen, aus denen auch andere die Berufung zu Höherem ableiten würden. Wurde Lötzsch gerufen? Sie sei „dran“ gewesen, sagt man ihr jetzt wieder nach. Es soll heißen: Wäre es nach politischem Können gegangen, hätte die Wahl anders ausfallen müssen.Lötzschs Eignung wird öffentlich in Zweifel gezogen, weil die Partei nicht gut dasteht. Seit der Nominierung der 49-Jährigen sind die Umfragewerte ein wenig gesunken. Als Gradmesser politischer Amtsführung oder zur Ausmalung eines „Unterganges“ taugt die Abweichung wenig – es sei denn, man hätte einen deutlichen Schritt nach oben erwartet. Aber konnte man das denn?Keine Erfolgswelle ohne soziale UnterströmeEs gibt keine politische Bewegung, hat Karl Marx einmal gesagt, die nicht gleichzeitig eine gesellschaftliche wäre. Umgekehrt könnte man den Schluss ziehen dass, wo es an den sozialen Unterströmen fehlt, eine Partei vergeblich auf die Erfolgswelle hofft. Der Höhenflug der fusionierten Linken war politischer Ausdruck einer Vertretungskrise im sozialdemokratischen Milieu, hing zusammen mit der Empörung von Beschäftigten über ausbleibende Beteiligung in Zeiten des Aufschwungs und findet eine bis heute offenbar stabile Basis im Ärger der schon Ausgeschlossen. In Zeiten der repräsentationsfrustrierten Bürger, von Bahnhofsprotest und Atomkonflikt haben nun andere mehr Erfolg. Dass Claudia Roth und Cem Özdemir die Grünen um so viel besser führen als vorher, wird aber niemand behaupten. Wahrscheinlich besteht ein nicht nur in der Linken verbreiteter Irrtum darin, sich den Aufstieg der eigenen Partei als das Ergebnis planmäßigen Vorgehens eines Apparats vorzustellen. Wer aber so denkt, wird das Minus in den Umfragen allein auf Fehler des Managements zurückführen.Und die hat es ja auch gegeben: Die Linke vermochte es unter Führung von Klaus Ernst und Lötzsch nicht, ein Jahr mit nur einer Wahl zu nutzen, um die innerparteilichen Klärungsprozesse bis zu dem Punkt voranzutreiben, der genügend Zusammenhalt für ein Jahr mit sieben Wahlen bietet. Weder der Bayer noch die Ostdeutsche haben die Autorität eines Oskar Lafontaine oder Lothar Bisky erreicht, sind nicht mitreißende Redner noch programmatische Leuchttürme. Die doppelte Fixierung der Linken auf Lafontaine – als „unersetzbar“ verehrt oder als Patron abgelehnt –, wurde für seine Nachfolger zur doppelten Falle: Entweder waren die Schuhe des Vorgängers zu groß oder die Erwartungen, dass nun alles anders werden würde. Hinzu kam der Königsmacher, der „heimliche Vorsitzende“ Gregor Gysi, der neben sich nicht viel Platz lässt. Und als die neue Doppelspitze Monate nach der Nominierung gewählt wurde und also walten konnte, hatte Ernst bald seinen ersten „Skandal“. Weitere folgten, und es hat eine gewisse Tragik, dass es erst Lötzsch mit ihrem Kommunismus-Text gelang, den Gewerkschafter von schlechter Presse und innerparteilichem Druck zu erlösen. Beides lastete nun auf ihr. Aber es wäre auch ohne K-Wort für die Linkenvorsitzende ein schwieriges Jahr geworden.Das Bild, das man sich von ihr gemacht hatteDer Beitrag, in dem ungelenk der Kommunismus angesprochen wird, ist als Lötzschs Flirt mit dem Totalitarismus oder als ungeheuerliche Dummheit kritisiert worden. Oder als beides. Eher war es der gründlich misslungene Versuch, einen Text den Erwartungen eines bestimmten Publikums anzupassen und dabei außer Acht zu lassen, dass Medien den Skandal suchen und finden könnten.Mag sein, dass die Empörung bei manchen deshalb groß war, weil ein solcher Fehler mit dem Bild, das man sich von Lötzsch gemacht hatte, kollidierte: die studierte Mutter von zwei Kindern, die mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Niederlandistik promovierte und an der Berliner Humboldt-Uni Assistentin wurde; die erfahrene Politikerin, der man im schwierigen Proporzmodell der Vielfach-Linken eher die Vertretung der Reformer aus den ostdeutschen Ländern zugeschrieben hätte. Bei anderen wiederum existierte ein Bild von Lötzsch, das in ihrem „Outing als Leninistin“ bloß noch eine neue Bestätigung zu finden glaubte: von der Frau, die im „Stasi-Bezirk“ Lichtenberg angeblich immer zurückhaltend mit den „Unverbesserlichen“ umgegangen und deren Mann ja schließlich auch einem IM-Verdacht ausgesetzt war.Es war Anfang der Woche, Lötzsch stand beim Jahresauftakt ihrer Partei am Mikrofon und las eine Rede ab. „Ich wollte dem politischen Gegner keine Steilvorlage liefern“, sagte die Linken-Chefin, und ihre immer etwas eingeübt erscheinende energische Pose sah da noch ein wenig gespielter aus. Lötzsch hat wenig Chancen, sich selbst wieder in die Offensive zu bringen: Läuft es schlecht für die Linke bei den Wahlen, hat die Partei in ihr schon eine Schuldige gefunden. Läuft es dagegen gut, wird man Lötzschs Fehler zwar kaum noch erwähnen. Um den Erfolg der Linken streiten dann aber wieder viele Väter.