Seit Wochen ringen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig. Die Hartz-Reform kann für die SPD eine Chance sein – wenn sie beim Mindestlohn hart bleibt
Wir erleben derzeit ein Medienschauspiel besonderer Art. Nach dem ergebnislosen Spitzengespräch zu Wochenbeginn werfen sich CDU und SPD gegenseitig eine Blockade der Hartz-Reform vor. Dabei werden die dürftigen Ergebnisse, etwa die überfällige Übertragung des Bildungspaketes auf die Kommunen, schöngeredet. Bei den harten Themen – Höhe der Regelsätze und der Mindestlöhne – ist die Regierungskoalition offenbar selbst zerstritten.
Seit Wochen ringen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und SPD-Vize Manuela Schwesig, beide Hoffnungsträgerinnen ihrer Parteien, um die politische Hoheit bei der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Neuregelung. Dass es hierbei um das Schicksal von sieben Millionen Menschen in Hartz IV und 2,3
V und 2,3 Millionen Kinder geht, gerät in den Hintergrund.Von der Leyen von der CDU hat ihre beschämende Mini-Erhöhung der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II um fünf auf 364 Euro damit hinausgezögert, monatelang über impraktikable Vorschläge zur Einführung einer Chipkarte für Freizeit- und Bildungsleistungen zu reden. Jetzt ist sie in Bedrängnis: Ohne eigene Mehrheit im Bundesrat konnte sie ihr zustimmungsbedürftiges Gesetz nicht termingerecht zum Jahresbeginn durchsetzen – Ende offen. Gestrichen wurde den Hartz-IV-Betroffenen jedoch pünktlich zum 1. Januar das Eltern- sowie das Übergangsgeld beim Abstieg von Arbeitslosengeld I auf Alg II.Bloß nicht platzen lassenDie SPD kann die Hartz-Reform maßgeblich mitgestalten und so politische „Aufholarbeit“ nach den verlorenen Bundestagswahlen leisten. Besonders schwierig sind die politischen Balanceakte zwischen der Bundesarbeitsministerin mit ausgeprägtem Instinkt für soziale Themen auf der einen, und der Linkspartei, deren Aufstieg eng mit der Empörung vieler Menschen über Hartz IV verbunden ist, auf der anderen Seite. Schwesig erhielt die Chance eines Auftritts auf der bundespolitischen Bühne nach den Hartz-IV-Gesetzen. Allerdings muss sie den notdürftig gekitteten Riss in der SPD im Umgang mit der Reform überspielen. Bisher konnte sie für ihre Partei mit klaren Forderungen verhandeln: Transparenz und Verbesserung der Regelsätze; Sozialarbeiter in allen allgemein- und berufsbildenden Schulen; Mindestlöhne – insbesondere bei der Leiharbeit.Die SPD hat aber noch einen weiteren Balanceakt zu bestehen: Jede Verzögerung der Reform bedeutet, dass die zusätzlichen Minileistungen Millionen betroffenen Menschen vorenthalten werden, die mit jedem Cent rechnen müssen. Die Regelsatzerhöhung kann zwar nachträglich zum 1. Januar ausgezahlt werden, nicht jedoch die vorgesehenen Bildungsleistungen für Kinder. Dabei wird der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes in keinem Fall gerecht. Die SPD ist deshalb gut beraten, konsequent und sachbezogen weiter zu verhandeln – egal wie lange. Platzen die Verhandlungen, darf es nicht an ihr liegen, sondern muss es auf Ursula von der Leyens Konto gehen. Soll diese doch eine Reform vorlegen, die nicht wieder in Karlsruhe landet.Rückzugsgefecht schadetIm schwarz-gelben Gesetzentwurf werden die Verbrauchsausgaben willkürlich herunter gerechnet. Dies bedeutet eine weitere „Entkoppelung“ der Hartz-IV-Empfänger von der Mehrheitsgesellschaft. Eine ganze Liste von Ausgaben wird einfach ausgeschlossen – nicht nur Alkohol, Tabak und Gaststättenbesuche, sondern auch Verkehrsmittel. Letzteres würde die Aufnahme einer Arbeit und vielfach die lebensnotwendige Mobilität erheblich erschweren. Weiterhin sollen die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden. Auch im Ehrenamt wird es dann eine Zweiklassengesellschaft geben. Die Absurdität der vorgesehenen Pauschalierung einmaliger Ausgaben wird an einem Beispiel deutlich: Für die Anschaffung eines gebrauchten Fahrrades von 60 Euro müsste sechs Jahre lang Hartz IV bezogen werden. Fortgesetzt wird diese Diskriminierung durch die Stigmatisierung der Kinder, wenn nur sie Freizeit- und Bildungsleistungen über Gutscheine oder Chipkarten in Anspruch nehmen sollen.Unverzichtbar sind tarifliche und gesetzliche Mindestlöhne. Hartz IV wird immer mehr zu einem ausufernden Kombilohnmodell, auf das sich die Wirtschaft einrichtet. Sie verlangt nach Armutslöhnen durch Leiharbeit, 400- und Ein-Euro Jobs sowie nach ergänzenden Hartz-IV-Leistungen. Am Vorabend der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit aus und nach Mittel- und Osteuropa wächst jedoch auch bei den Arbeitgeberverbänden die Angst vor der Schmutzkonkurrenz. Die Vorschläge aus dem Bundesarbeitsministerium zur Leiharbeit sind völlig ungeeignet: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ soll gelten, wenn à la Schlecker Mitarbeiter(innen) entlassen werden, um sie als Leiharbeiter(innen) wieder einzustellen. Dies ist eine Einladung zum Missbrauch: Demnach können Belegschaften mit ausdrücklicher Billigung des Gesetzgebers aus einem Normalarbeitsverhältnis heraus und in die Leiharbeit gedrängt werden, wenn keine Dumpinglöhne gezahlt werden.Die SPD muss ihre Forderungen nach Ausweitung tariflicher Mindestlöhne auf alle Branchen und nach einer gesetzlichen Lohnuntergrenze glaubhaft vertreten, ohne als „Blockierer“ für die Verbesserung von Regelsätzen und Kinderleistungen abgestempelt zu werden. Das sich abzeichnende Rückzugsgefecht der SPD auf eine halbherzige Lösung bei der Lohnuntergrenze für die Leiharbeit stärkt die Glaubwürdigkeit jedoch überhaupt nicht.Die vom DGB geforderten 8,50 Euro in der Stunde wären die Untergrenze, wenn Armut bei Arbeit und im Alter verhindert werden sollen. Damit würde auch das Argument gegen höhere Regelsätze bei Hartz IV entfallen, wonach das „Lohnabstandsgebot“ eingehalten werden müsse. Für die Kinder in Hartz IV sind die Zukunftschancen am größten, wenn die Eltern eine existenzsichernde Arbeit haben.