Die erschütterte Sicherheit

Gau Erdbeben sind auch hierzulande für die AKWs eine Gefahr. Das Umweltministerium wiegelt aber lieber ab, um den Pro-Atom-Kurs der Regierung nicht zu gefährden.

Mit Spaß und Freude gegen die Atomkraft – so hatten sich Umweltschützer die Menschenkette zwischen Stuttgart und dem Atomkraftwerk Neckarwestheim vorgestellt, zu der für den heutigen Samstag tausende Teilnehmer erwartet werden. Doch nun werden die meisten wohl eher besorgt um die Situation in Japan alle paar Minuten einen Blick auf ihr Smartphone werfen, Freunde anrufen oder gespannt den Durchsagen während der Anti-Atom-Demonstration zuhören.

Wie auch immer die Vorgänge im japanischen Fukushima ausgehen werden: In den nächsten Tagen werden die deutschen Kraftwerksbetreiber beteuern, hierzulande könne so etwas nicht gesehen. Und damit haben sie zum Teil auch recht: Der exakte Ereignisverlauf wird sich wahrscheinlich nicht wiederholen. Dennoch: Die Erdbebengefahr ist auch in Deutschland ein Problem für die Reaktoren.

Beispiel Biblis: Die atomkraftkritische Ärzte-Organisation IPPNW klagt seit Jahren gegen den Weiterbetrieb – auch mit der Begründung, das Uralt-AKW halte einem Erdbeben nicht stand. Die Organisation verweist auf zahlreiche Erdbeben, die sich in der Umgebung bereits ereignet haben. Die Anlage in Biblis ist zwar gegen Erdbeben ausgelegt, aber nur bis zu einem gewissen Grad. In der Umgebung von 100 Kilometern kam es laut IPPNW bereits zu zwei Beben, die diese Grenze überschritten haben.

Beispiel Neckarwestheim: Dort gibt es Zweifel, ob der Untergrund bei der Genehmigung des Atomkraftwerks richtig eingeschätzt wurde. Offiziell handelte es sich um „Fels“, der Geophysiker Gerhard Jentzsch aus Jena geht aber davon aus, dass der Untergrund aus „mittelsteifen, halb verfestigten Sedimenten“ bestehe. Der Boden neige daher zu stärkeren Schwingungen. Zum dem Ergebnis kam er 2005, als er die Gutachten zur Genehmigung des lokalen Zwischenlagers für Atommüll durchsah.

Das Bundesumweltministerium hat bereits damit begonnen, Beruhigungspillen an die Bevölkerung zu verteilen: Die Reaktoren würden „bei Überschreiten bestimmter sicherheitsrelevanter Grenzwerte automatisch abgeschaltet“, außerdem seien sie „gegen die bei uns zu erwartenden Erdbeben“ ausgelegt. Hier zeichnet sich bereits ab: Egal, was in Japan noch passiert – die schwarz-gelbe Bundesregierung möchte an ihrem Pro-Atom-Kurs festhalten.

Ob die Katastrophe in Japan auch politische Konsequenzen in Deutschland nach sich ziehen wird, ist derzeit noch unklar. Nach dem GAu von Tschernobyl forderte die SPD im Herbst 1986 einen vorzeitigen Atomausstieg, die Anti-Atomkraft-Bewegung erstarkte, der Neubau von Reaktoren war in Deutschland fortan undenkbar. Heute wird Atompolitik strikt nach Lobbyinteressen betrieben. Dass die alten Reaktoren schon lange nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen, hat die Bundesregierung schon im letzten Herbst nicht gestört, als sie die Laufzeiten verlängert hat.

Auch die Proteste von Umweltschützern haben Bundeskanzlerin Merkel, Umweltminister Röttgen und Wirtschaftsminister Brüderle schlicht ignoriert – obwohl selbst Wähler von Union und FDP mehrheitlich für einen Atomausstieg sind. Massenproteste reichen anscheinend nicht aus, es bräuchte eine kleine Revolution: Erst wenn es in Japan tatsächlich zur Katastrophe kommt und dann die halbe Bundesrepublik für das Abschalten der deutschen Reaktoren auf die Straße ginge, würde sich an der Atompolitik der Regierung vielleicht etwas ändern.

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