Widersprüchlich war es schon, was Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin erklärte. Die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke solle überprüft werden, dabei gebe es „keine Tabus“. Gleichzeitig nahm Merkel das Ergebnis quasi vorweg: Die Reaktoren seien ihrer Überzeugung nach sicher. Das Moratorium bedeute auch keine Abkehr von der Laufzeitverlängerung; aber nach den drei Monaten sei die Situation anders als vorher. Und vor allem: Die Atomkraft sei eine notwendige Brückentechnologie – und trotzdem ist es jetzt anscheinend kein Problem, die älteren Reaktoren früher abzuschalten.
Handeln - oder zumindest so tun
Für dieses Herumlavieren gibt es einen Grund: Merkel weiß selber nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll. Um die anstehenden Landtagswahlen zu gewinnen, muss sie in irgendeiner Form handeln – oder zumindest so tun. Rückt sie aber von der Laufzeitverlängerung ab, müsste sie Fehler in der eigenen Politik einräumen.
Tatsächlich hat sie gestern ihre Atompolitik selbst entlarvt. Auf einmal kann Deutschland doch schneller auf erneuerbare Energien umsteigen – wenn drei der ältesten Reaktoren abgeschaltet werden, ist das auf einmal kein Problem mehr. Bislang hatte die Bundesregierung immer argumentiert, längere AKW-Laufzeiten seien nötig, weil die erneuerbaren Energien nicht rechtzeitig in ausreichendem Maße zur Verfügung stünden. Im Februar letzten Jahres sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU): „In dem Augenblick, in dem wir 40 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Deutschland haben, gibt es keine Notwendigkeit mehr für Kernenergie.“
Vor dem Energiekonzept wurde extra ein umfangreiches Gutachten mit verschiedenen Szenarien in Auftrag gegeben, um die Notwendigkeit des Weiterbetriebs der Reaktoren angeblich wissenschaftlich zu belegen. Die Wissenschaft als unhinterfragbare Autorität sollte dem unbeliebten Pro-Atom-Kurs der Bundesregierung zumindest einen Funken von Akzeptanz verpassen. Die Ergebnisse wurden ganz unterschiedlich gedeutet – selbst von den Regierungsmitgliedern.
Ein durchsichtiges Manöver
Am Ende einigte sich die Bundesregierung mit den Energiekonzernen auf längere Laufzeiten von durchschnittlich 12 Jahren pro Atomreaktor. Jetzt wird klar, dass die Argumentation mit der notwendigen Brückentechnologie bloß ein durchsichtiges Manöver war.
Damit bewahrheitet sich, was Umweltschützer schon lange behauptet haben: Längere Laufzeiten sind nicht das Ergebnis technischer Notwendigkeiten, sondern das Resultat einer Klüngelrunde mit den Energiekonzernen im Kanzleramt. Es geht der Bundesregierung weder um Sicherheit noch um eine „Revolution“ (Merkel) in der Energieversorgung, sondern bloß um Zusatzgewinne für die Kraftwerksbetreiber. Nichts deutet darauf hin, dass sich dieses Verständnis von Atompolitik in Zukunft ändern wird.